"Warum haben sie uns das angetan?"
Sri Lanka steht die Versöhnung zwischen Singhalesen und Tamilen noch aus
Hintergrundbericht der Generalsekretärin von pax christi *
Ein Jahr nach dem offiziellen Ende des Bürgerkriegs in Sri Lanka ist eine Politik der
Versöhnung zwischen der singhalesischen Mehrheit und der tamilischen Minderheit noch
nicht in Sicht. Die Politik von Präsident Mahinda Rajapakse galt in den vergangenen zwölf
Monaten vor allem der Festigung der eigenen Macht und nahm eine Vertiefung der Spaltung
der Nation dabei bewusst in Kauf.
Das System Rajapakse – Von der Demokratie zur Familiendiktatur
Rajapakse, der noch 2005 den Kampf um die Präsidentschaft nur knapp gegen Ranil
Wickremesinghe – seinen Vorgänger als Ministerpräsident unter der damaligen Präsidentin
Chandrika Kumaratunga –gewinnen konnte, steht nun unter den Singhalesen unangefochten
da. Zum Teil genießt er als Sieger im Bürgerkrieg gegen die Tamilen-Rebellen LTTE
(„Befreiungstiger von Tamil Eelam“) tatsächlich Anerkennung im Süden des Inselstaates,
allerdings hat er seine Macht auch rabiat unter Beschädigung der demokratischen
Institutionen durchgesetzt. Das ganze Land ist militarisiert, die Pressefreiheit eingeschränkt,
der Justiz fehlt es an Unabhängigkeit, die politischen Institutionen sind gelähmt, politische
Gegner werden eingeschüchtert und verfolgt.
Die vorgezogene Präsidentschaftswahl Ende Januar entschied Rajapakse zwar deutlich
gegen seinen früheren Armeechef Sarath Fonseka, der unerwartet das Lager gewechselt
hatte, doch ließ er diesen unmittelbar nach dem Wahlgang unter fadenscheinigen
Anschuldigungen verhaften. Bei der ebenfalls vorgezogenen Parlamentswahl im April konnte
Fonseka nur aus der Untersuchungshaft heraus agieren; seine Democratic National Alliance
(DNA) gewann nur sieben von 225 Parlamentssitzen. Wickremasinghes United National
Party (UNP) erreichte als stärkste Oppositionskraft mit 29,3 Prozent der Stimmen nur noch
60 Mandate. Allerdings galt die Wahl im ganzen Land von vornherein als Farce; der Sieg der
von Rajapakse geführten United People‘s Freedom Alliance (UPFA) stand nach verbreiteter
Meinung außer Frage, offen blieb nur, ob sie eine Zweidrittelmehrheit erreichen würde (mit
144 Sitzen blieb sie knapp unter dieser Marke). Dieser zweite Wahlgang zeigte noch stärker
als der erste – unabhängig von der Sitzverteilung – die fortdauernde politische Spaltung des
Landes: In der mehrheitlich von Tamilen bewohnten Provinz Jaffna lag die Wahlbeteiligung
im April bei 23 Prozent, landesweit gingen nur gut die Hälfte der Wähler an die Urnen.
Wie das System Rajapakse funktioniert, zeigt die Regierungsbildung: Das grotesk
überdimensionierte Kabinett sollte zunächst auf 37 Minister und 39 Vizeminister verkleinert
werden (die vorherige Regierung umfasste 51 Minister, 39 Minister ohne Geschäftsbereich
und 19 Vizeminister). Bereits eine Woche später wurde die Ernennung von 5 weiteren
Ministern und 6 Vizeministern angekündigt. Hinzu kommen 40 Staatssekretäre. Allein die
Zahl der Spitzenposten ist damit mehr als halb so groß wie das Parlament des 20-Millionen-
Einwohner-Staates; die Regierung kontrolliert sich somit selbst. Bei der Vergabe der Posten
geht es offensichtlich nicht um die zu lösenden Aufgaben, sondern um die Versorgung bzw.
Einbindung und Beschäftigung von Politikern. Die Größe des Kabinetts macht eine sinnvolle
Regierungsarbeit unmöglich.
Die eigentliche Macht liegt denn auch nicht im Kabinett, sondern konzentriert sich in der
Familie des Präsidenten. Er selbst hat u.a. die Ressorts Verteidigung und Finanzen unter
direkter Kontrolle. Sein jüngerer Bruder Gotabhaya – von „Reportern ohne Grenzen“ soeben
auf der Liste der 40 „Feinde der Pressefreiheit“ aufgeführt – leitet das
Verteidigungsministerium als Staatssekretär. Ihr Bruder Basil ist Minister für Wirtschaftliche
Entwicklung und ein einflussreicher Präsidenten-Berater, ihr ältester Bruder Chamal ist jetzt
„Speaker“ des Parlaments. In diesem ist auch bereits die nächste Generation des Clans
vertreten: Der älteste Sohn des Präsidenten, Namal, hat als 23-Jähriger ein Mandat und
damit eine Voraussetzung für eine spätere „Thronfolge“ errungen. Mit einem Vize-
Ministeramt (zuständig für die Wasserversorgung) wurde auch eine Kusine der Rajapakse-
Brüder, Nirupama, betraut, weitere Verwandte sind ebenfalls im Parlament vertreten.
Es überrascht angesichts dessen nicht, dass die Tamilen in Regierung (drei Minister bzw.
Vizeminister) und Parlament (17 Abgeordnete) deutlich unterrepräsentiert sind. Und unter
allen überflüssigen Ressorts ist nicht einmal eines, das sich, zumindest zeichenhaft, mit der
Aufgabe der nationalen Versöhnung befasst, wie es sich manche Beobachter gewünscht
hätten. Für die Tamilen ein Beleg dafür, dass die Regierung nicht ernsthaft an der Lösung
des ethnischen Konflikts interessiert ist.
Im Norden dominiert weiterhin das Militär
In den nördlichen Provinzen Jaffna, Mannar und Vavunyja ist die Lage auf den ersten Blick
entspannter als in der Vergangenheit, von Normalität sind die ehemals von der LTTE
beherrschten Regionen aber noch weit entfernt. Tag für Tag spüren die Tamilen, dass sie
Bürger zweiter Klasse sind. Es gibt immer noch häufige Kontrollen und Straßensperren
durch das Militär, aber ihre Zahl hat abgenommen und die Durchführung ist weniger rigoros.
Die Versorgung mit Waren und Lebensmitteln hat sich verbessert, viele Märkte sind offen,
aber die Preise sind teilweise deutlich höher als im Süden, und das bei geringeren
Einkommen der Bevölkerung. Über 60 Prozent haben kein regelmäßiges Einkommen.
Von den über 300.000 Tamilen, die nach dem Ende der Kampfhandlungen in Lager
eingesperrt wurden, sind mittlerweile gut 200.000 entlassen und teilweise in ihre Heimatorte
zurückgekehrt, die anderen bei Verwandten untergekommen, die dafür selbst die Kosten
tragen müssen. Mehr als 80.000 sind immer noch interniert. Außerdem gibt es noch
schätzungsweise bis zu 15.000 „Kriegsgefangene“, d.h. angebliche oder tatsächliche LTTEKader
– Männer und Frauen –, die in Gefängnissen untergebracht sind. Ein Teil von ihnen
darf einmal monatlich Besuch von Angehörigen empfangen, bei anderen ist ihr genauer
Aufenthaltsort und ihr Schicksal unbekannt. Gerüchte über Folterungen sind verbreitet.
Die Rückkehrer in die Provinz Kilinochchi, der ehemaligen LTTE-Hochburg, fanden häufig
ihre Häuser zerstört vor und mussten völlig neu anfangen. Dafür wurden ihnen nur
unzureichende Mittel zur Verfügung gestellt. Als einmalige Hilfen wurden pro Familie 20.000
Rupien (etwa 150 Euro) sowie 24 Quadratmeter Blech für neue Hütten ausgegeben. Vielen
wurden kleine Grundstücke in der Nähe von Armee-Lagern zugeteilt, so dass sie
permanenter Kontrolle unterliegen. Ein Schutz der Intimsphäre ist häufig nicht gewährleistet;
so müssen sich die Menschen unter freiem Himmel waschen und können dabei von
Soldaten beobachtet werden. Vor allem die Frauen empfinden dies als demütigend. Viele
trauen sich auch bei Dunkelheit nicht, ihr Haus zu verlassen.
Das ganze öffentliche Leben wird vom Militär dominiert. Dies gilt sogar für das Betreiben von
Kaufläden. Es gibt kaum zivile Strukturen, geschweige denn repräsentative Institutionen der
Bevölkerung. Internationale Nichtregierungsorganisationen haben weiterhin keinen Zugang
zu den Gebieten, einheimische nur eingeschränkt. Dies gilt auch für kirchliche
Organisationen. Diesen fehlt es zudem an Mitteln, um die vielen Hilfsbedürftigen zu
versorgen. Nur eine Handvoll Seelsorger sind zurzeit in dem Gebiet tätig, ihre
Handlungsmöglichkeiten sind auf Anweisung des Militärs auf Seelsorge im engen Rahmen
begrenzt. Inzwischen wurden die ersten staatlichen Schulen wieder geöffnet. Über die Zahl
der Kinder, die damit erreicht werden, gibt es keine offiziellen Angaben.
Was bisher fehlt, ist ein Plan der Regierung zum Wiederaufbau und zur Entwicklung in den
ehemaligen Kriegsgebieten und vor allem eine Beteiligung der tamilischen Bevölkerung
daran. Es gab zwar – vor allem im Wahlkampf – viele Ankündigungen und
Versöhnungsrhetorik, aber wenige praktische Schritte. So wurde der tamilische Politiker
Douglas Devananda, der mit der Rajapakse-Partei zusammenarbeitete und bereits der
vorigen Regierung angehörte, jetzt mit dem unbedeutenden Ressort für Handwerk und
Kleinindustrie abgespeist; viele hatten gehofft, dass er eine größere Rolle bei der
Versöhnung des Landes spielen könnte.
Als Hohn empfinden es viele Tamilen, dass die Regierung den Tourismus der Singhalesen
aus dem Süden des Landes in den Norden ankurbelte (ausländische Touristen haben
dagegen keinen Zugang dorthin). Dieser wird mit 15.000 Rupien pro Person subventioniert.
Aus Sicht der Tamilen finanziert damit der Präsident die Besichtigung der „befreiten Gebiete“
durch die Sieger des Krieges. Das Geld fließt dabei nicht in die lokale Wirtschaft, sondern
bleibt in singhalesischer bzw. militärischer Hand. Dass die Touristen dabei selbst in seit
Jahren gesperrte und für die Einheimischen verbotene Gebiete dürfen, schafft zusätzlich
böses Blut. Es fällt auch auf, dass die Beschilderung der Straßen im Norden zunehmend auf
Singhalesisch erfolgt. Die Unterdrückung der tamilischen Sprache gehörte vor Jahrzehnten
zu den Auslösern des bewaffneten Kampfs der LTTE.
Für weiteren Unmut sorgt die Praxis der Regierung, Friedhöfe von LTTE-Angehörigen in
Kilinochchi mit Bulldozern nieder zu walzen. In den vergangenen Wochen wurden mehrere
solche Aktionen, auch im Distrikt Jaffna, bekannt. Damit wird die Trauer um die Toten
unterbunden. Für die Angehörigen eine erneute Demütigung und der Versuch, ihre Identität
zu zerstören.
„Was geschah im Mai 2009?“
Spricht man mit Tamilen im Norden Sri Lankas – die dabei alle auf gar keinen Fall
namentlich zitiert werden wollen –, zeigt sich neben dem Ärger über die alltäglichen
Unzulänglichkeiten und die verfehlte Politik der Regierung vor allem ein Thema, das die
meisten bewegt: Die Frage nach der Gerechtigkeit.
Gemeint sind damit hauptsächlich die bisher unaufgearbeiteten Ereignisse in der Endphase
des Krieges im Mai 2009. Damals waren mehrere hunderttausend Zivilisten mit den letzten
LTTE-Kämpfern auf einem immer kleiner werdenden Gebiet vom Militär eingekesselt. Bis
heute ist unklar, wie viele Menschen in den letzten Kriegswochen zu Tode kamen, die
Schätzungen liegen zwischen 7.000 und 40.000. (Insgesamt sind es seit 1983 an die
100.000 Tote.)
Fast jede Familie aus der Region beklagt mehrere getötete Verwandte. In vielen Fällen ist
der Verbleib einzelner Angehöriger bis heute ungeklärt; ob sie tot sind oder noch leben, ist
für die Familie oft nicht zu ermitteln. Die staatlichen Stellen leisten wenig konkrete Hilfe bei
den Nachforschungen. Wer nachfragt, wird dazu noch oft verdächtigt, ein Sympathisant der
LTTE zu sein. Die Angst vor Verfolgung ist weit verbreitet.
Laut Augenzeugenberichten wurde in den letzten Kriegstagen, als die LTTE bereits ihre
Kapitulation erklärt hatte, viele Menschen wahllos von Regierungs-Soldaten erschossen, als
sie aus dem eingeschlossenen Gebiet fliehen wollten. Eine Frau erzählt, wie dabei die
Familie ihrer Schwester ausgelöscht wurde: Sie wurden von Artilleriegeschossen getroffen,
mit denen die Soldaten in die Menschenmenge zielten. Die ganze Familie – Mutter, Vater
und zwei kleine Kinder – starb dabei, sie hatten keine Chance, in Sicherheit zu gelangen.
Auch gezielte Massaker soll es gegeben haben: Auf eine Gruppe von Menschen, die sich an
einem vermeintlich sicheren Ort befand und in einer Reihe standen, wurde von Soldaten
gezielt mit Gewehren geschossen; viele von ihnen wurden getötet.
Dokumentiert sind solche Fälle noch nicht, aber die Hinterbliebenen stellen immer wieder die
Frage: Warum haben sie uns das angetan? Für sie sind die Soldaten brutale Mörder, sie
fordern von der Regierung Aufklärung und Gerechtigkeit. Viele sind durch das, was sie
gesehen oder am eigenen Leib erfahren haben, traumatisiert.
* Christine Hoffmann
Generalsekretärin pax christi - Deutsche Sektion
Berlin, den 17.05.2010
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