Dieser Internet-Auftritt kann nach dem Tod des Webmasters, Peter Strutynski, bis auf Weiteres nicht aktualisiert werden. Er steht jedoch weiterhin als Archiv mit Beiträgen aus den Jahren 1996 – 2015 zur Verfügung.

Tragödie im Norden Sri Lankas

Situation in der belagerten Kriegszone wird stündlich schrecklicher

Von Hilmar König, Delhi *

Aus aller Welt hagelt es Proteste und Appelle auf die Regierung Sri Lankas, die Militäroffensive zu stoppen, um den Tausenden unter katastrophalen Verhältnissen in der Kriegszone im Norden festsitzenden Zivilisten Hilfe leisten zu können.

»Das Töten muss aufhören. Die Regierung Sri Lankas trägt die Verantwortung, ihre eigenen Bürger zu schützen. Und die LTTE muss ihren barbarischen Versuch aufgeben, Zivilisten als Geiseln zu halten.« Das erklärte am Wochenende Indiens Außenminister Pranab Mukherjee. Doch Staaten, Organisationen und Persönlichkeiten versuchten bislang vergeblich, Colombo zum Einlenken zu bewegen. Sri Lankas Regierung und Militär stellen den greifbar nahen Sieg über die ausblutenden Befreiungstiger von Tamil Eelam (LTTE) über alles. Das Ersuchen um Schutz und Fürsorge für die Notleidenden stieß – trotz gegenteiliger Versicherungen – bis dato bei den Herrschenden auf taube Ohren.

Letzte Meldung

Sri Lanka verbietet Schwedens Außenminister die Einreise

Die Regierung in Sri Lanka hat den europäischen Bemühungen um einen humanitären Waffenstillstand im Konflikt mit den Rebellen des Landes einen Dämpfer erteilt. Colombo lehnte es ab, dem schwedischen Außenminister Carl Bildt ein Visum für die Einreise für einen Besuch mit seinem französischen und britischen Kollegen zu erteilen. London und Paris wollen dennoch an der für Mittwoch (29. April) vorgesehenen Visite ihrer Minister festhalten. Die Tamilen-Rebellen in Sri Lanka warfen der Armee vor, entgegen ihren Ankündigungen weiter schwere Waffen einzusetzen.

Der Besuch der europäischen Außenminister soll dazu dienen, die Bemühungen der UNO für einen Waffenstillstand zu unterstützen, um Zivilisten die Flucht aus dem Kampfgebiet zu ermöglichen. Im Norden Sri Lankas rücken die Regierungstruppen seit Wochen gegen die Rebellen der Befreiungstiger von Tamil Eelam (LTTE) vor und haben sie auf ein kleines Gebiet zurückgedrängt. Dort sind nach UN-Schätzungen noch 50.000 Zivilisten eingeschlossen, deren Leben durch die Kämpfe und fehlende Nahrungsmittel bedroht ist.

Colombo habe zunächst nur Frankreichs Außenminister Bernard Kouchner eingeladen, sagte ein Vertreter des srilankischen Außenministeriums der Nachrichtenagentur AFP. Dann habe sich der britische Außenamtschef David Miliband angeschlossen, was die Regierung gleichfalls genehmigt habe. "Dann wollte der schwedische Außenminister auf den Zug aufspringen. Da haben wir 'Nein' gesagt."

Bildt zeigte für die Entscheidung Unverständnis. Er habe keine Erklärung für die Ablehnung seines Besuchs erhalten, sagte er in Luxemburg. Er sprach von einem "äußerst befremdlichen Verhalten". Bildt berief Schwedens Geschäftsträger aus Colombo ab, um sich mit ihm zu beraten.

Die Tamilen-Rebellen in Sri Lanka warfen der Armee vor, entgegen ihren Ankündigungen weiter schwere Waffen einzusetzen. Wie eine der Rebellenorganisation Befreiungstiger von Tamil Eelam (LTTE) nahestehende Website berichtete, feuerten die Truppen Raketen und Mörsergranaten auf das Rebellengebiet im Nordosten der Insel. Der Beschuss sei aus "vielen Richtungen" erfolgt, dadurch seien 139 Menschen verletzt worden, meldete Tamilnet. Die Armee widersprach den Darstellungen. Am Montag hatte die Armee angekündigt, vorerst auf den Einsatz schwerer Waffen und Luftangriffe zu verzichten.

AFP, 28. April 2009



Am Sonnabend (25. April) traf John Holmes, der UN-Chef für humanitäre Angelegenheiten, zu einem dreitägigen Besuch in Sri Lanka ein. Er will für mehr Schutz der Zivilisten und für eine Waffenruhe plädieren, damit Hilfsorganisationen Zugang zu den Notleidenden ermöglicht wird. In Bangkok hatte er vor seinem Abflug erklärt, die Menschen in der Kriegszone und in den Flüchtlingslagern litten unter Mangel an Nahrungsmitteln, Trinkwasser und medizinischer Versorgung. Die Lage sei »grauenhaft« und es gebe eine »sehr hohe Opferrate«. Die UNO korrigierte inzwischen die Zahl der seit Januar getöteten Zivilisten von 4500 auf 6500. Mindestens 14 000 seien verwundet worden und über 150 000 geflüchtet. In der sogenannten Sicherheitszone halten sich noch zwischen 10 000 und 50 000 Menschen auf. Die Organisation »Ärzte ohne Grenzen« berichtete von einem Krankenhaus in Vavuniya, das nur 400 Betten hat, aber mit 1700 Patienten belegt ist. In 24 Stunden waren dort am Wochenende 71 große Operationen, meist Schuss- und Minenverletzungen, vorgenommen worden.

Am Freitag (24. April) durfte eine Gruppe von Journalisten erstmals an das Randgebiet der Kriegszone, aus der noch immer unablässig Menschen auf Regierungsgebiet fliehen. Der in dieser Zone tätige Gesundheitsbeamte Thangamuttu Satyamurthi bestätige den LTTE- Notruf vom Sonnabend, dass Tausende Zivilisten am Verhungern seien. »Es gibt keine Nahrungsmittel und Medikamente mehr«, sagte der Beamte. Rajeshwari, eine der Geflohenen, erklärte den Journalisten: »Es waren schreckliche Verhältnisse, da wir nichts mehr zu essen hatten. Da riskierten wir die Flucht.« Die 70 Jahre alte Kamala Karan berichtete: »Wir waren seit Monaten auf der Suche nach einem sicheren Platz unterwegs. Wir wurden von den Befreiungstigern gezwungen, mit ihnen zu ziehen, als Mitte 2008 das Militär seine Offensive verstärkte. Sie versicherten uns immer wieder, sie würden uns unter allen Umständen beschützen. Schließlich wurde jede Familie gezwungen, ein Kind in die Reihen der LTTE abzustellen.«

Colombo rief die Bevölkerung zu Spenden auf und schickte einen Konvoi aus sieben Lastwagen mit Trockenrationen und Trinkwasser nach Vavuniya, wo die meisten der Flüchtlinge in Notlagern hausen. Wie es dort aussieht, beschrieb ein Augenzeuge. Der prominente hinduistische Guru Sri Sri Ravi Shankar fasste seine Eindrücke nach seiner Rückkehr aus Sri Lanka von einer Friedensmission so zusammen: »Die Operation war erfolgreich. Doch der Patient ist tot. Wir erlebten eine ungeheure menschliche Tragödie.« Dem prominenten Verfechter von Brüderlichkit und Harmonie unter den Menschen war es gelungen, Zutritt zu ein paar der überfüllten Flüchtlingslagern zu bekommen. In ihnen hausen hinter Stacheldraht und bewacht von Soldaten und Polizisten über 100 000 ausgemergelte, ausgehungerte, gehetzte, körperlich und seelisch geschundene Menschen. Der Guru war schockiert vom Ausmaß der Katastrophe. Staatspräsident Mahinda Rajapakse erklärte gegenüber Sri Sri Ravi Shankar, dass es mindestens drei Jahre dauernd wird, bis die Flüchtlinge sozial rehabilitiert sind und in ihre Dörfer heimkehren können.

* Aus: Neues Deutschland, 28. April 2009 (Dokumentation)


Vergessenes Sri Lanka

Von Roland Etzel **

Die Vertreter der 27 EU-Staaten haben sich am Montag in Luxemburg getroffen, um, wie es hieß, »einen Ausweg aus der humanitären Notlage im Krisengebiet Sri Lankas« zu finden. Drei Außenminister fliegen nun auf die Insel, in der Hoffnung auf eine Waffenruhe, wie verlautete. Es ist nicht unwahrscheinlich, dass sie an politischer Konzeption tatsächlich nicht mehr im Köcher haben als diese vage Hoffnung, denn immerhin hält das Morden in Sri Lanka jetzt schon viele Wochen an, ohne dass die EU dazu etwas substanzielles mitzuteilen hatte.

Die EU hat den Konflikt nicht verursacht, lässt man außer acht, dass die Wurzel des singhalesisch-tamilischen Konflikts durchaus sehr viel mit der vorherigen britischen Kolonialherrschaft zu tun hat. Sie ist insofern nicht vorrangig verpflichtet, in Südasien als Feuerwehr aufzutreten. Allerdings hätte sie auch kaum weniger tun können. Die sonst so omnipotenten EU-Außengewaltigen gebärden sich in Sachen Sri Lanka wie gelähmt vor Desinteresse. Allein seit Monatsbeginn sind dort an die 10 000 Menschen getötet worden. Doch die EU spricht nur von Bürgerkrieg. Das aber ist der Kampf in Sri Lanka schon lange nicht mehr. Denn das Verhältnis zwischen der übermächtigen Armee und den Tamilen-Rebellen ist dafür viel zu ungleich geworden. Auch verhängt die EU kein Waffenembargo gegen Sri Lankas Regierung, sondern führt stattdessen die militärisch vernichteten Tamilen-Separatisten weiter auf ihrer Terrorliste.

Nicht immer wird so offensichtlich, wie wenig interessant für »Europa« die Menschenrechte in einem Land werden, wenn es dort nichts für sie zu holen gibt.

** Aus: Neues Deutschland, 28. April 2009 (Kommentar)




Zurück zur Seite Sri Lanka

Zurück zur Homepage