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Gewalt überschattet Jubiläum

60 Jahre Unabhängigkeit Sri Lankas sind 60 Jahre Ringen der Tamilen um Anerkennung ihrer nationalen Identität

Von Hilmar König, Neu-Delhi *

Die Explosion einer durch Handy gezündeten Bombe am Samstag in einem Bus in Dambulla, ein Bombenanschlag auf dem Hauptbahnhof der Hauptstadt Colombo am Sonntag sowie die anhaltenden Bombardements und das Artilleriefeuer auf Gebiete der tamilischen Rebellen im Norden Sri Lankas sind die schrille »Begleitmusik« zum 60. Jahrestag der Unabhängigkeit des Landes, der auf den heutigen Montag fällt. Bei dem Anschlag auf den Bus wurden 20 Passagiere getötet und 80 verletzt. Die Explosion auf dem Bahnhof in Colombo riß mindestens acht Menschen in den Tod und verletzte 100 weitere. Die Zahl der Toten an den Fronten im Norden läßt sich nur schätzen. Sie geht in die Hunderte. Laut nicht überprüfbaren Angaben des Verteidigungsministeriums in Colombo waren es allein im Januar um die 1000 Tote. So steht das Unabhängigkeitsjubiläum des einstigen Ceylon denn auch im Zeichen des Krieges. Von Festtagsstimmung kann in der Bevölkerung keine Rede sein, denn auf der einen Seite ist die Furcht vor weiteren Terroranschlägen zu groß, und auf der anderen Seite müssen die im Gebiet der Befreiungstiger von Tamil Eelam (LTTE) lebenden Tamilen immer damit rechnen, von Colombos Kriegsmaschinerie heimgesucht zu werden.

Viele Angehörige der tamilischen Minderheit, die etwa 20 Prozent der 20-Millionen-Bevölkerung Sri Lankas ausmacht, sehen ohnehin keinen Grund, die Unabhängigkeit zu feiern. »Es ist nicht unsere Unabhängigkeit«, lautet der Tenor. Um diese Haltung zu verstehen, muß man auf das Entstehen des ethnisch-sozialen Konflikts verweisen. Er wurzelt in der britischen Kolonialzeit, die mit der Ostindien-Kompanie Ende des 18. Jahrhunderts begann und bis 1948 währte. Die Kolonialherren befaßten sich aus einem einzigen Grund besonders intensiv mit den Tamilen: durch ihr schon in anderen Gebieten der Welt praktiziertes Prinzip, die Untertanen der Krone gegeneinander auszuspielen, um sie besser beherrschen zu können. So favorisierten sie einerseits die Tamilen bei den Bildungsmöglichkeiten und stellten sie bevorzugt als Beamte ein. Damit war die Saat für den Zwist mit der singhalesischen Mehrheit gelegt. Andererseits »importierten« die Engländer zusätzlich zu den seit Jahrhunderten ansässigen einheimischen Tamilen aus dem Süden Indiens billige tamilische Arbeitskräfte für die Tee- und Kautschukplantagen. Damit veränderten sie zugleich die Bevölkerungsstruktur.

Mit dem Erlangen der Unabhängigkeit gerieten die Tamilen ins Hintertreffen. Die Singhalesen zögerten nicht lange, sich nun als Herren im Hause zu etablieren und eine Vielzahl von diskriminierenden Maßnahmen zu erlassen. Die von ihnen dominierten Regierungen machten Singhalesisch zu alleinigen Amtssprache. Sie verstießen die Tamilen aus den Ämtern. Sie errichteten ein Quotensystem für den Zugang zur höheren Bildung, das die Tamilen benachteiligte. Sie akzeptierten in der neuen Verfassung von 1978 zwar Tamilisch als zweite Amtssprache, setzten diesen Grundsatz in der Praxis jedoch bis heute nicht durch. Sie forcierten die Ansiedlung singhalesischer Bauern in traditionellen tamilischen Gebieten. Sie behandelten die Plantagentamilen als Staatenlose und integrierten erst nach langwierigen Verhandlungen mit Indien einen Teil von ihnen in die Gesellschaft Sri Lankas, allerdings immer noch als skrupellos Ausgebeuetete. Tausende kehrten nach Indien zurück.

Vor diesem Hintergrund entstand und entwickelte sich eine nicht homogene tamilische nationale Bewegung, die Selbstbestimmung, Autonomie und schließlich einen Separatstaat forderte. Von den verschiedenen Gruppierungen und Parteien blieb nur die LTTE konsequent militant. Sie begann 1983 den bewaffneten Kampf, zeigte sich zwischenzeitlich jedoch wiederholt zu einer Lösung am Verhandlungstisch bereit. 60 Jahre Unabhängigkeit bedeuten aus tamilischer Sicht 60 Jahre Ringen um Gleichberechtigung, um Anerkennung der nationalen Identität und um ein eigenes Heimatland.

* Aus: junge Welt, 4. Februar 2008

Sri Lanka feiert 60 Jahre Unabhängigkeit – zwölf Menschen sterben bei Bombenexplosion

Unter strengen Sicherheitsvorkehrungen hat Sri Lanka am Montag (4. Februar) den 60. Jahrestag der Unabhängigkeit von Großbritannien gefeiert. In der Hauptstadt Colombo wurden am Morgen zahlreiche Straßen gesperrt.

Präsident Mahinda Rajapakse sagte bei der Eröffnung der Feierlichkeiten, den »Terrorismus« zu besiegen, sei die Herausforderung, die die Vergangenheit dem Land hinterlassen habe. Er meinte damit die Fortsetzung der Unterdrückung und Diskriminierung der Tamilen mit allen Mitteln. Symbolisch zelebrierten Eliteeinheiten der Armee ihre Stärke im Kampf gegen die Bestrebungen der Befreiungstiger von Tamil Eelam (LTTE) für einen eigenen Staat im Nordosten der Insel. Der Bürgerkrieg hat bereits mehr als 70 000 Menschen das Leben gekostet.

Auch der Tag der Unabhängigkeit wurde von einem Bombenanschlag überschattet. Der Sprengsatz zerriß einen Bus im Nordosten des Landes. Zwölf Zivilpersonen seien getötet und weitere 17 verletzt worden, erklärte ein Militärsprecher.(AP/jW)

junge Welt, 5. Februar 2008




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