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Ungehörte Friedensappelle

Mit 70 Toten im Dezember erreichte Gewalt in Sri Lanka Höchststand

Von Hilmar König, Delhi*

Am Ende eines unruhigen Monats nahm Sri Lankas Polizei bei einer Razzia in der Hauptstadt Colombo 900 angebliche tamilische Rebellen fest. Friedensaktivisten appellierten zum Jahreswechsel an Militär und Rebellen, den Waffenstillstand einzuhalten.

Am Silvestertag führten Polizei und Armee eine Großrazzia im Tamilenviertel Wellawatte der srilankischen Hauptstadt Colombo durch, um »Kriminelle aufzustöbern«, wie es offiziell hieß. Mindestens 900 Personen wurden vorübergehend festgenommen.

Zur gleichen Zeit setzten Mitglieder der Nationalen Antikriegsfront in Colombo mit Kerzen und einer Mahnwache ein Zeichen für den Frieden. Sie riefen das Militär beider Seiten – die Soldaten der Armee und die tamilische Guerilla – zur Minderung der Gewalt auf.

Von der Regierung wie von den tamilischen »Befreiungstigern« der LTTE forderten die Friedensaktivisten die »Wiederaufnahme von Gesprächen ohne weitere Verzögerungen«. Und zugleich verlangten sie einen »sofortigen Mechanismus, um Hilfe und Rehabilitation für die vom Tsunami heimgesuchten Gebiete im Norden und Osten zu gewährleisten.«

Verletzungen der seit 2002 geltenden Waffenruhe hatten sich in letzter Zeit gehäuft. So wurden bei Auseinandersetzungen im Dezember 25 Zivilisten und 45 Angehörige der Sicherheitskräfte getötet. Für die Zunahme der Gewalt machen sich LTTE und Regierung gegenseitig verantwortlich. Für Colombo besteht kein Zweifel, dass die Anschläge gegen Soldaten allein das Werk der Guerilla sind. Die jedoch konterte, sie habe damit nichts zu tun, denn die tödlichen Vorfälle hätten sich alle in Gebieten unter Kontrolle der Regierung ereignet.

Ein Beispiel für die unübersichtliche Lage ist die Ermordung des tamilischen Parlamentsabgeordneten Joseph Pararajasingham am 24. Dezember während der Christmette in einer Kirche im östlichen Batticaloa. Der Politiker gehörte der Tamil National Alliance an und unterstützte den Kurs der LTTE. Diese zeichnete ihn postum mit einem Orden aus. Die Regierung aus Colombo bezeichnete die Ermordung als »Teil des Programms, die Spirale der Gewalt zu drehen«. Möglich ist, dass die Mörder im Auftrag des ehemaligen LTTE-Kommandeurs »Oberst Karuna« handelten, der auf eigene Faust Politik macht, seitdem er sich mit Guerillachef Prabhakaran überworfen hat.

Dass die Appelle zum Frieden Gehör finden, scheint unwahrscheinlich. Beide Seiten haben sich zwar dazu bereit erklärt, Verhandlungen miteinander aufzunehmen, bringen aber immer wieder Gründe vor, warum mit ihnen nicht begonnen werden kann: Mal ist es der Ort für ein Treffen, mal ist es die »zu starke Rolle« des norwegischen Vermittlers. Dabei hätte der neue Präsident Mahinda Rajapakse der Guerilla den Wind aus den Segeln nehmen und ein unmissverständliches Zeichen guten Willens setzen können, wenn er als eine seiner ersten Amtshandlungen den bereits ausgearbeiteten Mechanismus zur gerechten Verteilung der Tsunamihilfe auch für den Norden und Osten in Gang gesetzt hätte.

Zum Jahreswechsel trat Rajapakse seinen ersten Staatsbesuch an und versuchte die Inder auf der Suche nach einer Lösung des ethnisch-sozialen Konflikts in Sri Lanka mit ins Boot zu nehmen. Er wollte sie neben Norwegen, Japan, der EU und den USA als Mitverantwortliche für den Friedensprozess gewinnen. Delhi biss nicht an, zeigte sich aber zu umfassender Wirtschaftskooperation bereit. In einer gemeinsamen Erklärung findet sich eine Passage, die immerhin Anlass zu einem Fünkchen Hoffnung bietet: Rajapakses Vorstellung vom Friedensprozess ziele darauf, »maximale Dezentralisierung zu erreichen, die die Einheit und die territoriale Integrität Sri Lankas sichert«. Das ist ein kleiner Fortschritt gegenüber der bisher starren Haltung hinsichtlich künftiger Verwaltungsstrukturen.

* Aus: Neues Deutschland, 3. Januar 2006


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