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Verhärtete Fronten in Sri Lanka

Geberkonferenz droht mit dem Entzug von Finanzhilfe

Von Stefan Mentschel, Colombo*

So brüchig wie derzeit war der vor vier Jahren vereinbarte Waffenstillstand zwischen Sri Lankas Regierung und den Befreiungstigern von Tamil Eelam (LTTE) noch nie. Und mit der Ankündigung der EU, die LTTE auf die Terrorliste zu setzen, schwinden die Chancen auf ein baldiges Ende der bewaffneten Auseinandersetzung.

In Sri Lanka eskaliert die Gewalt. »Seit Dezember hat sich der Konflikt zwischen Regierung und LTTE dramatisch verschärft«, sagt Jehan Perera, Direktor des Nationalen Friedensrates von Sri Lanka. »Beide Seiten haben wiederholt und massiv gegen das vor vier Jahren in Oslo vereinbarte Waffenstillstandsabkommen verstoßen.« Den vorläufigen Höhepunkt erlebte das Land Mitte Mai, als die tamilischen Rebellen einen Konvoi der srilankischen Marine angriffen und mehrere Schiffe versenkten. Als Vergeltung bombardierte die Luftwaffe zahlreiche Dörfer in den von den Befreiungstigern kontrollierten Gebieten im Norden und Osten des Landes, woraufhin Tausende Menschen die Flucht ergriffen.

Die skandinavische Beobachtermission, deren Mandat die Überwachung der Waffenruhe zwischen den Konfliktparteien ist, bewertet die Lage ähnlich. »Auf dem Papier hat der Waffenstillstand zwar noch immer Bestand«, so Sprecherin Helen Olafsdottir gegenüber ND. »In der Realität allerdings ist davon kaum noch etwas zu spüren.« So seien in den letzten Monaten mehr als 500 Menschen ums Leben gekommen – rund die Hälfte davon Zivilisten.

In dem seit mehr als 20 Jahren andauernden Konflikt kämpft die LTTE auf der einen Seite für einen unabhängigen Tamilen-Staat im Norden und Osten des Landes. Auf der anderen Seite unternimmt die Regierung – derzeit von Nationalisten der singhalesischen Mehrheit unter Präsident Mahinda Rajapakse geführt – alles, um die Einheit Sri Lankas zu verteidigen.

»Beide Konfliktparteien trauen sich nicht«, sagt Jehan Perera. »Und beide Seiten haben den Glauben daran verloren, ihre politischen Ziele auf dem Verhandlungsweg durchsetzen zu können.« Nach den gescheiterten Friedensgesprächen, die im Februar dieses Jahres in Genf stattgefunden haben, sei dies noch einmal sehr deutlich geworden. Gleichzeitig gebe es jedoch keine andere Möglichkeit, um den Konflikt dauerhaft zu lösen. »Präsident Rajapakse will keinen Krieg«, weiß Perera. Doch derzeit habe er auch keine konkreten Pläne für einen Frieden. Denn innerhalb seiner Regierung gebe es Elemente, die selbst die Möglichkeit von mehr Autonomie für die tamilische Minderheit ablehnten. Die gegenwärtige Eskalation der Gewalt sei also für beide Seiten auch eine Demonstration der Stärke, um bei neuerlichen Gesprächen aus einer Position der Stärke argumentieren zu können.

Ein anderer Grund für eine weitere Zuspitzung des Konflikts ist nach Ansicht von Paikiasothy Saravanamuttu, Direktor des renommierten Zentrums für Politik-Alternativen in Colombo, die jüngste Ankündigung der Europäischen Union, die LTTE auf die Terrorliste zu setzen. »Für die LTTE ist das Verbot zweifellos ein psychologischer Rückschlag, denn in der Vergangenheit war sie immer darauf bedacht, als gleichberechtigter Partner anerkannt zu werden.« Gleichzeitig begebe sich die EU mit ihrem Schritt auf sehr dünnes Eis. Denn wenn man mit der LTTE eine Konfliktpartei international isoliere, bleibe nur noch die Regierung als legitimer Gesprächspartner. Deren Sicherheitskräfte jedoch stünden in diesem Konflikt vor allem in Fragen der Einhaltung von Menschenrechten ebenso in der Kritik wie die bewaffneten Kämpfer der Befreiungstiger.

Hinzu kommt, dass die LTTE angekündigt hat, bei einem Verbot nicht an den für die kommende Woche in Oslo anberaumten Gesprächen mit der Regierung teilnehmen zu wollen. Eine offizielle Reaktion der LTTE-Führung gab es bislang nicht. Doch sollte es tatsächlich so weit kommen, wäre die EU-Initiative ein herber Rückschlag für die norwegischen Vermittlungsbemühungen in diesem Konflikt. Inzwischen wächst jedoch auch der Druck auf die Regierung. Nach Krisengesprächen in Tokio forderte die internationale Geberkonferenz – bestehend aus Japan, Norwegen, USA und EU – sowohl LTTE als auch Regierung auf, die Gewalt zu beenden und unverzüglich an den Verhandlungstisch zurückzukehren. Die Botschaft sei klar, betonte der japanische Unterhändler Yasushi Akashi. »Machen sie das Richtige, wird die internationale Gemeinschaft positiv darauf reagieren.« Andernfalls würde die finanzielle Unterstützung für das Land entzogen. Ob sich Colombo davon beeindrucken lässt, werden die kommenden Wochen zeigen.

Trotz der komplexen politischen Situation in Sri Lanka und einer möglichen weiteren Eskalation der Gewalt in den kommenden Wochen hat Jehan Perera Hoffnung: »Die Mehrheit der Menschen im Land – egal ob Singhalesen, Tamilen oder Muslime – will keinen Krieg. Wenn die Entscheidungsträger auf beiden Seiten das verinnerlichen, können Lösungen gefunden und der Konflikt letztendlich friedlich beendet werden.«

* Aus: Neues Deutschland, 2. Juni 2006


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