Dieser Internet-Auftritt kann nach dem Tod des Webmasters, Peter Strutynski, bis auf Weiteres nicht aktualisiert werden. Er steht jedoch weiterhin als Archiv mit Beiträgen aus den Jahren 1996 – 2015 zur Verfügung.

Flüchtlinge unter Beschuß

Sri Lankas Armeeoffensive gegen die tamilischen Gebiete vertreibt Zehntausende. Colombo bittet um "humanitäre Hilfe" und setzt gleichzeitig die Angriffe fort

Von Hilmar König, Neu-Delhi *

Indirekt hat Sri Lankas Regierung eingestanden, daß sie das Flüchtlingsproblem, das mit ihrer andauernden Militäroffensive im Norden des Landes entstanden ist, aus eigener Kraft nicht zu bewältigen vermag. Bei seinem Treffen zu Wochenanfang in New York mit dem norwegischen Minister für internationale Entwicklung und Umwelt, Erik Solheim, bat Präsident Mahinda Rajapakse Oslo darum, sich an den »humanitären Aufgaben« für die Flüchtlinge in Sri Lankas Norden zu beteiligen. Anfang September hatte Colombo alle internationalen Hilfsorganisationen, außer dem Roten Kreuz, aufgefordert, das Kriegsgebiet zu verlassen, und behauptet, mit dem Problem allein fertig zu werden. Solheim war maßgeblich daran beteiligt, daß im Jahre 2002 das Waffenstillstandsabkommen zwischen den Streitkräften und der Befreiungsbewegung LTTE (Liberation Tigers of Tamil Eelam) zustande kam.

Mindestens 160000 Menschen, überwiegend zur tamilischen Bevölkerungsminderheit gehörend, sind ausgehungert, erschöpft und traumatisiert auf der Flucht vor der immer wuchtiger werdenden Kriegswalze, mit der die Armee die Befreiungstiger vernichten will. Nach offiziellen, mit Vorsicht zu behandelnden Militärangaben befinden sich die Soldaten viereinhalb Kilometer vor Kilinochi, dem Verwaltungszentrum der Rebellen. Im gleichnamigen Distrikt wird auch die Kommandozentrale von Guerillachef Velupillai Prabhakaran vermutet. Premier Ratnasiri Wickremanayake äußerte, man wolle Prabhakaran lebend fassen. Ziel der Regierung und des Militärs ist, bis zum Jahresende die LTTE besiegt zu haben.

Bislang hat Colombo auf die Appelle lokaler Bürgerrechtsorganisationen und christlicher Würdenträger, »konfliktfreie Zonen« bzw. »humanitäre Korridore« für die sichere Passage der Flüchtlinge zu schaffen, nicht reagiert. Der Bischof von Mannar, Rayappu Joseph, bezeichnete solche »Friedenszonen« in einem Schreiben an mehrere Minister als überlebensnotwendig für die notleidenden fliehenden Zivilisten. Die meisten befänden sich ohne ausreichende Nahrung und Medikamente an Straßenrändern und in Wäldern in einer dramatischen Lage. Sie seien Artilleriebeschuß und Bombenangriffen aus der Luft ausgesetzt.

Während solche Appelle unbeantwortet bleiben, entschieden Regierung und Polizei, jene Flüchtlinge, die sich in Colombo und Umgebung niedergelassen haben, zu registrieren. Sie stellen nach Ansicht des Verteidigungsministeriums ein hohes Sicherheitsrisiko dar, weil sich darunter Kader der LTTE befinden könnten. Menschenrechtsgruppen befürchteten, die Maßnahme könnte dazu benutzt werden, die tamilische Minderheit rassistisch zu diskriminieren.

In seiner die Kriegsoffensive begleitenden Propaganda behauptet die Regierung, mit einem Sieg über die Befreiungstiger würde wieder Normalität auf der Jaffna-Halbinsel einziehen. Doch das, so sind sich Beobachter einig, könnte erst der Fall werden, wenn der ethnisch-soziale Konflikt gerecht gelöst wird. Den Beweis, daran ernsthaft zu arbeiten, bleibt Präsident Rajapakse bislang vollständig schuldig. Und natürlich würde sich die LTTE auch nach einer militärischen Niederlage nicht in Luft auflösen.

* Aus: junge Welt, 25. September 2008


Zurück zur Seite Sri Lanka

Zurück zur Homepage