Tausende Familien auf der Flucht
UNHCR verlangt von kämpfenden Parteien Sri Lankas mehr Schutz für Zivilisten in Not
Von Hilmar König, Delhi *
Internationale Agenturen äußern ernste Besorgnis über die Sicherheit tausender Familien, die aus
der Kampfzone im Norden Sri Lankas fliehen. Das UN-Hochkommissariat für Flüchtlinge (UNHCR)
appellierte an die Streitkräfte und die tamilischen Befreiungstiger (LTTE), mehr für den Schutz der
Zivilisten zu tun.
Die Vereinten Nationen kündigten am Dienstag an, ihr Hilfspersonal aus der Wanni-Region auf der
Jaffna-Halbinsel abzuziehen. Sri Lankas Katastrophenminister Mahinda Samarasinghe hatte zuvor
erklärt, Colombo könne die Sicherheit der UNO-Mitarbeiter nicht mehr garantieren.
Verteidigungssekretär Gotabhaya Rajapakse, der Bruder des Staatspräsidenten, äußerte, da es im
Norden keine Entwicklungsprojekte gebe, bestehe für Nichtregierungsorganisationen kein Grund,
dort zu arbeiten.
Seit Monaten versucht Sri Lankas Militär, den Norden – das Kernland der LTTE – durch eine
anhaltende Offensive unter Kontrolle zu bekommen. Diplomaten und Militärexperten in Colombo
glauben, dass sich in den nächsten Wochen entscheidet, ob die Befreiungstiger, die seit 1983 für
einen Separatstaat »Tamil Eelam« kämpfen, der Übermacht des Militärs gewachsen sind. Die LTTE
hat in der Wanni-Region rund um ihre »Hauptstadt« Kilinochchi in den letzten Tagen beträchtlich an
Territorium eingebüßt. Und sie hat immer größere Schwierigkeiten, neue Kämpfer zu rekrutieren. Zu
Monatsbeginn behauptete das Verteidigungsministerium, die Stadt Mallavi eingenommen zu haben,
»die wichtigste strategische Bastion und ein Nervenzentrum der LTTE«.
Am Dienstag hatten die Rebellen einen spektakulären Befreiungsschlag unternommen. Mit zwei
Leichtflugzeugen griffen sie das militärische Hauptquartier in Vavunyia an, von wo die Offensive
gegen die Wanni-Region dirigiert wird. Nach dem Abwurf zweier Bomben sei ein Kommando der
»Black Tigers« auf das Gelände gestürmt und habe etliche Anlagen beschädigt oder zerstört. Bei
den Kämpfen seien elf Soldaten, zehn Rebellen und ein Zivilist getötet worden. Das meldete die der
LTTE nahe stehende Agentur TamilNet. Die Regierungsversion der Attacke lautete hingegen: Es
habe zwar Tote auf beiden Seiten, aber keine Zerstörungen gegeben. Eines der Leichtflugzeuge sei
abgeschossen worden. Das wiederum wurde von der LTTE dementiert.
Die Dachorganisation nationaler und internationaler Nichtregierungsorganisationen in Sri Lanka
bezeichnete in einem Bericht die Lage als schlimm – besonders für den Teil der Bevölkerung, der
aus dem Kampfgebiet fliehen musste. Das seien allein im Juli über 12 000 Familien gewesen.
Bislang hätten mehr als 270 000 Menschen im Norden ihre Heimatdörfer verlassen müssen. Sie
leben zum Teil in schlecht versorgten Lagern oder unter freiem Himmel. Amnesty International warf
der Regierung in Colombo vor, die schweren Probleme beim Schutz und bei der Hilfe für die
Geflüchteten zu unterschätzen. Das UNHCR forderte die Behörden auf, »humanitären Zugang« zu
den Familien in Not sowie eine ungehinderte Passage dringend benötigter Versorgungsgüter zu
gewährleisten. Colombo wies die Vorwürfe zurück und argumentierte, viel von der humanitären Hilfe
erreiche die Bedürftigen nicht, weil sie von der LTTE abgefangen und missbraucht werde.
* Aus: Neues Deutschland, 11. September 2008
Zurück zur Seite Sri Lanka
Zurück zur Homepage