Fluchttragödie in Sri Lanka
Armee beschießt rücksichtslos eingekesselte Tamilen *
Widersprüchliche Nachrichten aus Sri Lanka. Während die Armee des Staates behauptet, ihr
Vormarsch rette die eingekesselten Tamilen, berichten deren Sprecher von rücksichtslosem
Artilleriebeschuss.
Colombo/Sydney (dpa/ND). Mit dem Vormarsch der Armee gegen die eingekesselten Tamilen-
Rebellen im Nordosten Sri Lankas gelingt nach Militärangaben immer mehr Zivilisten die Flucht aus
dem Kampfgebiet. Armeesprecher Udaya Nanayakkara sagte, von Montag (20. April) bis Mittwochabend (22. April) sei es
mehr als 100 000 Zivilisten gelungen, das umkämpfte Gebiet unter der Kontrolle der Befreiungstiger
von Tamil Eelam (LTTE) zu verlassen und sich in Sicherheit zu bringen. Ein Sprecher des
Verteidigungsministeriums sagte, die LTTE habe nur noch einen acht Kilometer langen und ein bis
eineinhalb Kilometer breiten Küstenstreifen unter ihrer Kontrolle. Nach Schätzungen sitzen in dem
Kampfgebiet weiterhin mehrere zehntausend Zivilisten fest.
Die Rebellen kritisieren, die Armee beschieße das Gebiet ohne Rücksicht auf Unbeteiligte. Die
Regierung wirft der LTTE vor, die Zivilisten als menschliche Schutzschilde zu missbrauchen und sie
gewaltsam an ihrer Flucht zu hindern. Das Verteidigungsministerium spricht von »der weltweit
größten Mission zur Geiselrettung«. Armeesprecher Nanayakkara sagte am Mittwoch, am Vortag
seien bei Gefechten mindestens 36 LTTE-Kämpfer getötet worden. Angaben zu Opfern unter den
Soldaten machte er nicht.
Der im LTTE-Gebiet arbeitende Arzt Thiyagaraja Sathiyamoorthy sagte gegenüber dpa, Hunderte
verletzte Zivilisten harrten in provisorischen Kliniken mit zu wenig Medizin aus. Die Regierung
beschieße das Gebiet mit Artillerie. Das Militär teilte mit, zwei LTTE-Funktionäre – der frühere
Pressesprecher Velaiutham Dayanidhi und der Übersetzer des verstorbenen Anführers des
politischen LTTE-Flügels, Anthonipillai George – hätten sich ergeben. Es sind die ranghöchsten
Funktionäre der Rebellen, die kapituliert haben.
In einer Mitteilung von Bundesentwicklungsministerin Heidemarie Wieczorek-Zeul hieß es, die
Zivilisten benötigten dringend Schutz und Hilfe. »Ich fordere den UN-Sicherheitsrat auf, sich mit der
Situation im Norden Sri Lankas zu befassen, damit Hilfsorganisationen freien Zugang zu den
leidenden Menschen bekommen.
Die australische Marine hat am Mittwoch (22. April) erneut ein Boot mit Flüchtlingen vor der Westküste
aufgebracht. An Bord waren 32 Männer aus Sri Lanka, teilte die Marine mit. Sie nahm die
Flüchtlinge an Bord, um sie auf die Weihnachtsinsel zu bringen, auf der Australien ein Lager für
Asylanten unterhält.
Es war das siebte Flüchtlingsboot, das seit Jahresbeginn vor Australien entdeckt wurde.
Vergangene Woche waren fünf Afghanen umgekommen, als das indonesische Fischerboot, mit dem
sie die Küste erreichen wollten, explodierte. Das Unglück passierte, als die Marine das Schiff zur
Weihnachtsinsel eskortieren wollte. Die Insel liegt im Indischen Ozean rund 350 Kilometer südlich
der indonesischen Insel Java.
* Aus: Neues Deutschland, 23. April 2009
Letzte Meldung:
UN-Aufruf an Tamilen
Sri Lankas Rebellen sollen kapitulieren **
Angesichts der Gefährdung tausender Zivilisten hat der UN-Sicherheitsrat die Tamilenrebellen in Sri
Lanka aufgerufen, ihre Waffen niederzulegen.
Colombo (AFP/ND). Die Kämpfer der Befreiungstiger von Tamil Eelam (LTTE) sollten die Zivilisten
im Kampfgebiet nicht länger als Schutzschilde missbrauchen. Dies hat der Sicherheitsrat der
Vereinten Nationen am Mittwoch (22. April) in New York erklärt. »Wir fordern, dass die LTTE sofort
ihre Waffen niederlegt, dem Terrorismus abschwört«, sagte UN-Sicherheitsrats-Präsident Claude
Heller. Außerdem sollten die tamilischen Rebellen es ermöglichen, dass Zivilisten aus dem
Kampfgebiet mit Hilfe der UNO in Sicherheit gebracht würden. Der Rat warf den LTTE-Kämpfern
außerdem vor, »Zivilisten als menschliche Schutzschilde benutzt« zu haben. Gleichzeitig ermahnte
er die Regierung in Colombo, sich an die internationalen humanitären Regeln über den Zugang von
Hilfsorganisationen zu den Flüchtlingen zu halten.
Der Aufruf zeigte am Donnerstag (23. April) keine Wirkung. Die Rebellen setzten Artillerie und Panzer ein, sagte ein Sprecher der srilankischen Armee. Priorität der Armee sei es, Tausende noch im Kampfgebiet ausharrende Zivilisten in Sicherheit zu bringen, sagte der Sprecher. Danach könnten
die Regierungstruppen die Rebellen schnell endgültig besiegen. Die LTTE-Rebellen, die von der EU als Terrororganisation eingestuft werden, kontrollieren demnach nur noch zehn bis zwölf Quadratkilometer an der Nordostküste des Landes.
** Aus: Neues Deutschland, 24. April 2009
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