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Kumaratunga in der Klemme

Sri Lanka: Der Präsidentin laufen die Koalitionspartner weg

Von Thomas Berger*

Nachdem Ende vergangener Woche der kleine sozialistische Ceylon Workers Congress (CWC) aus der Koalition ausgetreten ist, steht Sri Lankas Regierung ohne eigene Mehrheit im Parlament da. Der CWC, Interessenvertretung der sogenannten Hochland-Tamilen im Zentrum der Insel und mit acht Mandaten im Parlament vertreten, wirft Präsidentin Chandrika Kumaratunga und ihrem Premierminister Mahinda Rajapakse vor, sich an diverse Zusagen aus den Bündnisvereinbarungen vom Vorjahr nicht gehalten zu haben. Zwar bringt das neue Kräfteverhältnis die Regierung nicht sofort zu Fall – kritisch ist die Situation für das Kumaratunga-Lager aber allemal, denn an verschiedenen Stellen knackt es momentan im Gebälk der Koalition. Und das ausgerechnet jetzt, da sich die politische Führung in Colombo so sehr bemüht, endlich wieder das Vertrauensverhältnis zu den Rebellen der (LTTE) Befreiungstiger von Tamil Eelam zu erneuern.

Genau darin liegt die große Herausforderung. Zwar wurde vor wenigen Tagen der dritte Jahrestag der Vertragsunterzeichnung über die Waffenruhe zwischen Armee und Guerilla begangen. Nie zuvor war die Vereinbarung aber brüchiger, denn die Befreiungstiger sind hochgradig verärgert, weil einer ihrer ranghohen Kommandeure samt vier Begleitern Anfang Februar im Osten der Insel erschossen wurde. Der Einwurf von Regierungssprechern, es handle sich bei dem Anschlag wahrscheinlich um das Werk von Leuten Oberst Karunas – der frühere LTTE-Befehlshaber der Ostprovinzen hatte sich im März 2004 von der Rebellenführung im Norden losgesagt –, konnte die aufgebrachte Stimmung kaum besänftigen. Es gebe »einen geheimen Krieg«, den Colombo gegen sie führe, polterte SP Thamilselvan in ungewöhnlich scharfen Worten. Wenn selbst der sonst eher für Zurückhaltung bekannte Chef des politischen Flügels der LTTE sich nicht mehr scheut, solche Vorwürfe unverblümt auszusprechen, zeigt das deutlich, wie groß der Frust bei Rebellenchef Velupillai Prabhakaran und seinen engsten Getreuen derzeit ist.

Krise im Bündnis

Sri Lanka steht wieder einmal am Scheideweg, und dies gleich in mehrfacher Hinsicht. Kaum ein Jahr nach den jüngsten Parlamentswahlen, die keinem der beiden großen politischen Lager eine eindeutige Mehrheit brachten, deutet vieles auf eine baldige Neugruppierung der Kräfte hin. Denn nach dem CWC könnten der Präsidentin auch andere Partner verlorengehen. So drohte die linksnationalistische Volksbefreiungsfront JVP, die immerhin über 39 Mandate im Parlament verfügt, bereits, wenngleich noch diplomatisch verpackt, mit Koalitionsausstieg. Der einstigen Guerillaformation, die von einer eigentümlichen ideologischen Mischung aus maoistischen Versatzstücken und singhalesischem Nationalismus getrieben wird, gehen Chandrika Kumaratungas aktuelle Gesprächsangebote an die LTTE viel zu weit. Schon die konservative Vorgängerregierung habe bei den ersten Verhandlungen 2002/2003 zu große Zugeständnisse gemacht, als sie mit den Tamilen eine weitgehende Autonomie im Norden und Osten der Insel vereinbarte. Und auch, daß die jetzige Führung in Colombo den von den Rebellen kontrollierten Gebieten nach der Flut größere Hilfsmaßnahmen zukommen ließ als den übrigen betroffenen Küstenabschnitten, stört sie gewaltig.

Dabei war dies ein Schritt, um sich gewissermaßen das Wohlwollen der »Tiger« zu erkaufen und sie nach inzwischen 22 Monaten Pause endlich an den Verhandlungstisch zurückzuholen. Die Rechnung allerdings ist nicht aufgegangen, denn der Vorwurf der LTTE, die Regierung vernachlässige bei der Nothilfe die Tamilengebiete, kam trotzdem auf. Nicht einmal die norwegischen Vermittler, die zwischenzeitlich immer wieder versuchten, vor allem das Prabhakaran-Lager zu besänftigen, konnten etwas ausrichten. Wenn sich nicht bald etwas bewege, warnten die Skandinavier bereits in eindringlichen Worten, drohe womöglich sogar ein Scheitern des derzeit auf Eis liegenden Friedensprozesses und ein Wiederaufflammen der Kämpfe. Zumindest mancher Offizier in Colombo mag mit dieser Variante schon insgeheim rechnen.

Gespräche ohne Bewegung

Obwohl die Präsidentin den »Tigern« selbst nicht recht traut, will sie allerdings einen neuen Waffengang, den keine Seite langfristig gewinnen kann, unter allen Umständen vermeiden. Sollte die JVP demnächst wirklich aus dem Regierungsbündnis aussteigen, wäre sogar eine große Koalition zwischen Kumaratungas Volksallianz und der Vereinigten Nationalpartei (UNP) denkbar. Die größte Oppositionskraft unter dem früheren Premier Ranil Wickremasinghe, der den Friedensprozeß mit den Tamilenrebellen eingeleitet hatte, verhält sich in letzter Zeit merkwürdig still, obwohl sie aus der desolaten Lage der Gegenseite durchaus gewisses politisches Kapital schlagen könnte. Doch auch für die UNP ist vordringlich, die LTTE wieder einzubinden und die historische Chance auf eine Einigung, die mit der Waffenruhe 2002 ihren Anfang nahm, nicht gänzlich zu verspielen. »Dieses Land kann sich keinen erneuten Krieg leisten«, mahnte Wickremasinghe zum dritten Jahrestag des Abkommens.

Daß es aktuell trotzdem immer wieder zu Opfern kommt, spricht für den Ernst der Lage. So hatte auch Erik S. Solheim bei seinem Treffen mit der Präsidentin nichts Positives zu verkünden. Der norwegische »Sonderberater« der srilankischen Regierung für den Friedensprozeß war zuvor mit LTTE-Chefunterhändler Anton Balasingham zusammengekommen, ohne daß es substantielle Fortschritte gegeben hatte. Nicht einmal über eine Koordinierung der Tsunamihilfe haben beide Seiten bislang verhandeln können. Dabei wäre dies der erste Schritt, um nachfolgend das Gespräch auch auf andere Fragen zu lenken.

* Aus: junge Welt, 2. März 2005


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