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Erfolge für die Propaganda

Somalia: Die Regierung meldet bedeutende Schläge gegen islamistische Rebellen. Sie ist aber nicht imstande, Wahlen abzuhalten

Von Knut Mellenthin *

Die somalische Regierung hat in den vergangenen Tagen bedeutende militärische Erfolge im Kampf gegen die islamisch-fundamentalistische Rebellenorganisation Al-Schabab gemeldet. Angeblich wurden sie von den Streitkräften des Landes mit Unterstützung der afrikanischen Friedenstruppe AMISOM errungen. Die politisch wichtigste, die Lage in dem nordostafrikanischen Staat kennzeichnende aktuelle Meldung ist jedoch diese: Somalia wird nicht fähig sein, im nächsten Jahr die versprochenen demokratischen Wahlen durchzuführen. Zu diesem Urteil gelangte Ende Juli Abdulahi Godah Bare. Er ist Vorsitzender des Parlamentsausschusses, der zur Vorbereitung der Wahlen eingesetzt wurde.

Somalia wurde 1960 selbständig, seit 1991 befindet sich das Land ohne Unterbrechung im Bürgerkrieg. 2004 wurde unter internationalem Patronat im Nachbarland Kenia eine »Übergangsregierung« eingesetzt, von der es hieß, sie repräsentiere die wichtigsten Kräfte des Landes. In Wirklichkeit spielten dabei Interessen der Nachbarländer ebenso wie der westlichen Großmächte die entscheidende Rolle. Das waren auch die Kräfte, die vor drei Jahren entschieden, dass es an der Zeit sei, das Ende der Übergangszeit und den Eintritt in die Normalität zu verkünden. In Wirklichkeit wurden die 2012 eingesetzten Institutionen, die Regierung und das Parlament, mit den gleichen Methoden zusammengeschoben, die schon 2004 angewendet worden waren. Aber 2016, so versprachen Somalias »Schutzmächte« vor drei Jahren, werde es erstmals wirklich demokratische Wahlen geben. Wer erstens die Verhältnisse kannte und zweitens auch bereit war, ehrlich darüber zu sprechen, sagte schon damals voraus, dass das unrealistisch war.

Auch wenn die deutsche Regierung anderes behauptet: Die Situation in Somalia ist immer noch so unsicher, dass die meisten ausländischen Politiker, die das Land besuchen, nicht den internationalen Flughafen der Hauptstadt Mogadischu verlassen. Er liegt auf dem Gelände eines stark gesicherten Stützpunkts der AMISOM. Dort findet gegenwärtig auch die Ausbildung und Beratung somalischer Führungsoffiziere durch die EU statt, an der Deutschland beteiligt ist. Zu den aktuellen militärischen Erfolgsmeldungen der somalischen Regierung ist zu sagen: Standardmäßig wird zwar das Gegenteil vorgetäuscht, aber die Operationen werden hauptsächlich von AMISOM durchgeführt. Die immer noch schwachen, unzuverlässigen einheimischen Truppen laufen nur für die Propaganda mit. Ausschließlich AMISOM verfügt über die gepanzerten Transportmittel und die Kampfhubschrauber, die für mehr oder weniger erfolgreiche Offensiven notwendig sind.

Dass den Meldungen zufolge immer noch »Städte« eingenommen werden, die bisher von Al-Schabab kontrolliert worden seien, ist rätselhaft. Denn schon 2013 wurde gemeldet, dass alle von den Rebellen gehaltenen »Städte« befreit worden seien. Generell, auch bei den jüngsten Berichten, fällt auf, dass die Islamisten sich zurückzogen, ohne Widerstand zu leisten. Der Grund: Sie führen einen klassischen Guerillakrieg. Das Halten von Ortschaften ist kein strategisches Ziel.

Indes nehmen die Beschwerden der Bevölkerung über das Verhalten von AMISOM zu. Am 21. Juli wurde berichtet, Soldaten der »Friedenstruppe« hätten in der Hafenstadt Marka mindestens 24 Zivilisten durch Schüsse getötet und weitere 22 schwer verletzt. Die Soldaten hätten zunächst mehrere Jungen beim Fußballspielen erschossen. Anschließend holten sie demnach zahlreiche Menschen aus ihren Wohnungen und ermordeten 17 von ihnen. Zwei Frauen seien vergewaltigt worden. Massenvergewaltigungen durch AMISOM-Truppen hatte zuvor bereits die US-Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch dokumentiert. Einige Opfer seien nicht älter als zwölf Jahre gewesen. Eine häufige Praxis sei auch der »Tausch« von Lebensmitteln gegen Sex. Die Mission AMISOM läuft seit 2007. Die 22.000 daran beteiligten Soldaten kommen aus Uganda, Burundi, Kenia, Äthiopien, Dschibuti und Sierra Leone.

* Aus: junge Welt, Samstag, 8. August 2015


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