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UN-Sicherheitsrat gibt grünes Licht für die Entsendung einer Truppe nach Somalia

Die vom Sicherheitsrat verabschiedete Resolution könnte Öl ins Feuer gießen - Waffenembargo gelockert

Am 6. Dezember verabschiedete der UN-Sicherheitsrat eine Resolution, in der die Entsendung einer aus afrikanischen Kräften zusammengesetzte Friedenstruppe einstimmig beschlossen wurde. Die einheimische Bevölkerung dürfte mit dieser Entscheidung kaum einverstanden sein, zumal in der Resolution mit keinem Wort die inzwischen vollzogene Invasion Äthiopiens erwähnt wird und die UNO so tut, als sei die 2004 gebildete Übergangsregierung, die keinerlei Rückhalt mehr in der Bevölkerung hat, immer noch die rechtmäßige Vertretung Somalias.
Im Folgenden dokumentieren wir ein paar Presseinformationen.
Die Resolution selbst ist hier herunterzuladen (deutsche Übersetzung): UN-Resolution 1725 (pdf-Datei). (Hier geht es zur englischen Originalversion.).
Mit der Entsendung der UN-Truppe IGASOM wird gleichzeitig das seit 1992 gültige Waffenembargo aufgeweicht. Gerade eine Woche vor der Verabschiedung der Resolution 1725 hatte der UN-Sicherheitsrat mit der UN-Resolution 1724 dieses Waffenambargo ausdrücklich bestätigt. Auf diese Resolution wird in der neuesten Resolution nicht hingewiesen - ein ungewöhnlicher Vorgang.



Sicherheitsrat beschliesst Friedenstruppe für Somalia

Der Sicherheitsrat hat grünes Licht für die Entsendung einer Friedensmission zur Unterstützung der Übergangsregierung in Somalia gegeben. Eine Gruppe aus sieben ostafrikanischen Staaten sowie die Afrikanische Union sollen die Friedenstruppe stellen. Mit dem Friedenseinsatz in Somalia sollen zwei afrikanische Organisationen betraut werden. Die 15 Mitglieder des Sicherheitsrats baten die Afrikanische Union (AU) und den Zusammenschluss von sieben ostafrikanischen Staaten IGAD (Intergovernmental Authority on Development) in New York, eine Schutz- und Trainingseinheit von 8.000 Soldaten nach Somalia zu entsenden. Sie sollen die Fortschritte im Bemühen um Frieden zwischen der Übergangsregierung und den Islamisten beobachten.

Pressemeldung von unric, 7. Dezember 2006;
Website: www.unric.org


Stellvertreterkrieg Äthiopien gegen Eritrea?

Die einstimmig angenommene Entschließung des UN-Sicherheitsrates sieht die Entsendung von 8.000 Soldaten vor, die von den sieben in der Zwischenstaatlichen Behörde für Entwicklung (IGAD) zusammenarbeitenden ostafrikanischen Staaten gestellt werden sollen. Die Friedensmission soll die in Baidoa ansässige Übergangsverwaltung schützen und dort für Sicherheit sorgen. Das 1992 verhängte Waffenembargo soll laut Entschließung des Sicherheitsrats so weit gelockert werden, wie dies für die Unterstützung der UN-Mission notwendig ist.
In dem Text wird die Übergangsregierung zudem aufgefordert, "umgehend" Friedensverhandlungen mit den islamistischen Kräften aufzunehmen, die im Juni die Hauptstadt eingenommen hatten und ihren Einfluss weiter nach Süden und in die Mitte des Landes ausdehnten. Verhandlungen zwischen beiden Parteien waren Ende Oktober vor allem wegen der Präsenz von äthiopischen Truppen in Somalia gescheitert, die die Regierung schützen. Auf der Gegenseite unterstützt Eritrea die islamistischen Kräfte. Die UN-Resolution sieht vor, dass Staaten mit einer direkten Grenze zu Somalia sich nicht an der Friedenstruppe beteiligen; davon wäre Äthiopien betroffen.

Aus: Der Standard (online), 7. Dezember 2006

Anhaltende Kämpfe

Im Süden Somalias haben sich Regierungstruppen und islamistische Milizen am Samstag erneut heftige Kämpfe geliefert. In dem Gebiet gut hundert Kilometer südlich des Sitzes der international anerkannten Übergangsregierung in Baidoa seien die Gefechte wieder aufgeflammt, sagte Milizenkommandant Scheich Osmail Addo der Nachrichtenagentur AFP.
Den Milizen zufolge wird in der Stadt Dinsoor und im Dorf Safarnooles gekämpft. Nach Gefechten am Freitag hatten bereits beide Seiten den Sieg für sich reklamiert und sich gegenseitig des Angriffs beschuldigt. 50 Menschen sollen dabei nach unbestätigten Berichten allein am Freitag auf beiden Seiten gestorben sein.
Erst Anfang der Woche hatten die Regierungstruppen nach eigenen Angaben die Stadt Dinsoor zurückerobert, die wenige Tage zuvor von Milizen eingenommen worden war. Die Milizen hatten dies dementiert und angekündigt, auf den Regierungssitz Baidoa vorrücken zu wollen, der einzigen noch von der Übergangsregierung kontrollierten größeren Stadt in Somalia.

Aus: Der Standard (online), 9.Dezember 2006




UNO ruft zum Krieg

Von Knut Mellenthin *

Der UN-Sicherheitsrat hat in der Nacht zum Donnerstag der Entsendung einer afrikanischen »Friedenstruppe« nach Somalia zugestimmt. Der Rat folgte damit einstimmig einem Antrag der USA. Kritiker warnen, daß die Entscheidung nicht nur den Bürgerkrieg in Somalia wieder anfachen, sondern darüber hinaus einen internationalen Krieg in Nordostafrika auslösen könnte. John Prendergast, Afrika-Spezialist bei der International Crisis Group in Brüssel, erklärte: »Die USA haben die Führung bei der Autorisierung einer weiteren Interventionsstreitmacht in einem weiteren moslemischen Land gegen den Willen eines großen Teils der Bevölkerung übernommen. Die Anwendung von Gewalt als Ersatz für Diplomatie wird in Somalia katastrophale Folgen haben.«

Ein früherer Einsatz internationaler »Friedenstruppen« in Somalia zwischen 1992 und 1995, an dem auch die deutsche Bundeswehr beteiligt war, hatte schließlich mit einem Desaster und einem überstürzten Abbruch geendet. Seither hatten die Vereinten Nationen sich aus dem Konflikt weitgehend herausgehalten. Mit der jetzt verabschiedeten Resolution ermächtigt der UN-Sicherheitsrat die Afrikanische Union (AU), bis zu 8000 Soldaten nach Somalia zu schicken. Diese dürfen aber nicht aus den Nachbarländern Somalias kommen. Bisher hat nur Uganda angeboten, sich mit 1500 Mann an der Invasionstruppe zu beteiligen.

Nach dem Willen der UNO soll die Truppe die sogenannte Übergangsregierung (TFG) schützen und unterstützen, deren Einfluß sich auf die Umgebung der Provinzstadt Baidoa beschränkt. Die TFG ist nicht aus Wahlen hervorgegangen, sondern wurde mit Unterstützung von UNO und AU im Oktober 2004 als Koalition von Vertretern mehrerer bedeutender Clans formiert. Inzwischen haben sich jedoch die meisten Gruppierungen von der TFG abgewandt, und der größte Teil Somalias wird von der fundamentalistischen Union der Islamischen Gerichte (UIC) kontrolliert. Die TFG stützt ihre verbliebene Macht auf Soldaten aus dem Nachbarland Äthiopien. Deren Zahl wird von der UNO auf 5000 bis 10000 geschätzt.

Die UIC hat die Willkürherrschaft der örtlichen Warlords beendet, die wichtigsten Verbindungswege vom Bandenwesen befreit und erstmals seit vielen Jahren den Hafen und den Flughafen von Mogadischu wieder für den internationalen Verkehr geöffnet. Nach 15 Jahren Bürgerkrieg schweigen fast überall in Somalia die Waffen. Die einseitige Unterstützung des UN-Sicherheitsrats für das Baidoa-Regime und die militärische Einmischung anderer Staaten drohen das Erreichte zu gefährden.

Mit der Aussage, die TFG biete »den einzigen Weg, um Frieden und Stabilität zu erreichen«, positioniert sich die UNO in der jetzt verabschiedeten Resolution einseitig. Zur Anwesenheit äthiopischer Truppen wird in der Resolution nicht Stellung genommen. Aus Sicht der UIC stellt die äthiopische Militärintervention aber ein entscheidendes Verhandlungshindernis dar. Ein UIC-Sprecher hat angekündigt, daß eine »Friedenstruppe« als Aggressionsstreitmacht betrachtet und entsprechend bekämpft werden würde.

* Aus: junge Welt, 8. Dezember 2006

"Eine neue Krise"

(...) Die Entscheidung des Sicherheitsrats der Vereinten Nationen (UN) wird eine neue Krise auslösen. Das sagte Islamistensprecher Scheich Abdurahim Muddey am Donnerstag in Mogadischu. Diese werde "die Zahl der Gräber in Somalia massiv erhöhen", drohte er. "Auf die Blauhelme warten Granatwerfer und Artillerie", sagte der stellvertretende Sicherheitschef der Islamisten, Scheich Muchtar Robow: "Wir haben bereits angekündigt, dass wir bis zum Tod gegen die so genannten Friedenstruppen kämpfen werden. Das gilt noch heute."
Die Übergangsregierung begrüßte die UN-Resolution, die die USA initiierte. "Wir hoffen, dass dieser Beschluss umgesetzt wird", sagte Informationsminister Ali Jama in Baidoa, der einzigen somalischen Stadt, die seine Regierung noch kontrolliert. "Wir danken allen Mitgliedern des Sicherheitsrats, vor allem der US-Regierung", sagte Vize-Verteidigungsminister Salad Ali Jelle.
(...)
(...) Um die Entsendung der Blauhelme auf eine rechtlich einwandfreie Grundlage zu stellen, schränkte der Sicherheitsrat auch das seit 1992 bestehende Waffenembargo über Somalia ein. Ein Schritt, der von Beobachtern bedauert wurde: Die Restriktionen von Waffenlieferungen nach Somalia sollten derzeit eher verschärft als aufgeweicht werden, argumentierte die Expertengruppe International Crisis Group (ICG).

Aus: Frankfurter Rundschau, 8. Dezember 2006 ("Somalias Islamisten drohen den UN")




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