Dieser Internet-Auftritt kann nach dem Tod des Webmasters, Peter Strutynski, bis auf Weiteres nicht aktualisiert werden. Er steht jedoch weiterhin als Archiv mit Beiträgen aus den Jahren 1996 – 2015 zur Verfügung.

Ausgeflogen nach Puntland

Somalia: Präsident zurückgetreten. Kämpfe zwischen Rebellen und äthiopischen Truppen

Von Knut Mellenthin *

Der Machtkampf in der nicht demokratisch legitimierten Übergangsregierung Somalias ist offenbar entschieden. Am 29. Dezember gab Präsident Abdullahi Jusuf, der 2004 mit Unterstützung des UNO-Sicherheitsrats und der Afrikanischen Union (AU) eingesetzt worden war, seinen Rücktritt bekannt. Der 74jährige, ein früherer Warlord, setzte sich nach Puntland (Nordostsomalia) ab, das sich 1998 zum de facto selbständigen Staat erklärt hat. Jusuf stammt aus dem dort herrschenden Clan und war 1998 bis 2004 Präsident von Puntland. Zusammen mit dem zurückgetretenen Politiker wurden 125 Menschen – neben seiner Familie auch seine Leibwache und etwa 30 Abgeordnete - aus Mogadischu nach Puntland ausgeflogen.

Die Verfassung schreibt vor, daß das Parlament innerhalb von 30 Tagen einen neuen Präsidenten wählen muß; bis dahin übt der Sprecher des Abgeordnetenhauses dieses Amt aus. Es wird ein erbittertes Ringen um die Neubesetzung erwartet. Als erstes hat der Abgeordnete Mohamed Qanyare seine Kandidatur angemeldet. Er war einer der Führer der »Allianz für Wiederherstellung des Friedens und Terrorismusbekämpfung«, einer Koalition von Warlords, die 2006 mit Unterstützung US-amerikanischer Dienststellen einige Monate lang Mogadischu beherrschte.

Zwischen dem jetzt zurückgetretenen Präsidenten und dem Premier der Übergangsregierung, Nur Adde Hassan Hussein, war schon seit Monaten ein Machtkampf ausgetragen worden. Jusuf lehnt die von Nur Adde eingeleitete Zusammenarbeit mit einer Frak­tion der islamistischen Opposition ab, die auf die Bildung einer gemeinsamen Regierung und den Aufbau einheitlicher Sicherheitskräfte abzielt. Mitte Dezember hatte Jusuf seinen Rivalen für abgesetzt erklärt und verfassungswidrig einen neuen Regierungschef ernannt. Einen Tag später stellte sich das Parlament jedoch hinter Nur Adde, und der Gegenpremier erklärte seinen Rücktritt.

In der Schlußphase des Streits hatte Jusuf offensichtlich die Gunst seiner früheren Unterstützer – des äthiopischen Regimes, der UNO, der Afrikanischen Union und der US-Regierung –verloren. Sie alle begrüßten jetzt seinen Rücktritt.

Unterdessen machen die äthiopischen Interventionstruppen, die Jusuf im Jahr 2006 als Verbündete gegen die Islamisten ins Land gerufen hatte, erste Anstalten, sich aus Somalia zurückzuziehen. Nach früheren Ankündigungen sollte der Abzug schon zum Jahresende 2008 vollständig abgeschlossen sein. Jetzt ist von einer Verzögerung um »einige Tage« die Rede. Noch sind äthiopische Soldaten aber sowohl in der Hauptstadt Mogadischu wie auch in Zentralsomalia und in Baidoa, wo das Parlament residiert, in Kämpfe verwickelt. Ohne die äthiopischen Truppen werden die Überlebenschancen der Übergangsregierung nur auf wenige Tage geschätzt. Daher geht man allgemein davon aus, daß die US-Regierung hinter den Kulissen bemüht ist, Äthiopien zur Fortsetzung seiner Militärintervention zu drängen.

* Aus: junge Welt, 2. Januar 2009


Äthiopier ziehen ab – oder doch nicht?

Weiter Ungewißheit über Addis Abebas Rolle in Somalia. Verstärkung der AU-Truppe im Gespräch

Von Knut Mellenthin **

Der somalische »Gegenpremier« Mohamed Mahamud Guled hat am 24. Dezember seinen Rücktritt bekanntgegeben. Er wolle nicht als Bremsklotz für den »Friedensprozeß« – gemeint sind die Verhandlungen mit einem Flügel der islamistischen Opposition – gesehen werden, begründete er seinen Schritt. Guled war erst am 14. Dezember von Präsident Abdullahi Jusuf Ahmed verfassungswidrig zum Regierungschef ernannt worden. Am folgenden Tag hatte das Parlament sich mehrheitlich hinter Premier Nur Hassan Hussein gestellt, der seit November 2007 im Amt ist.

Gerüchte, daß nach Guled auch Präsident Ahmed abtritt, haben sich bisher nicht bestätigt. Die Afrikanische Union (AU – Dachverband aller Staaten des Kontinents), die IGAD (Organisation der Staaten Nordostafrikas) und Kenia, wo Ahmed einen großen Teil seines Vermögens angelegt hat, hatten dem Präsidenten wegen der illegalen Ernennung Guleds mit Sanktionen gedroht. Sie werfen Ahmed auch seinen Widerstand gegen die Vereinbarungen mit Teilen der Opposition vor.

Unterdessen hält die Ungewißheit über die Absichten Äthiopiens an. Das Regime in Addis Abeba hatte Anfang Dezember erklärt, es werde seine Interventionstruppen bis zum Jahresende vollständig aus Somalia abziehen. Präsident Ahmed hatte die Äthiopier im Sommer 2006 ins Land gerufen, als die Islamisten zeitweise große Teile des Landes, einschließlich der Hauptstadt Mogadischu, beherrschten. Im Dezember 2006 verstärkte Äthiopien seine Truppen massiv und vertrieb die bewaffnete Opposition aus Mogadischu und allen anderen von ihr kontrollierten Städten.

Seit Frühjahr 2008 befinden sich die Islamisten jedoch wieder in der Offensive und haben, abgesehen von der Hauptstadt, ihr Einflußgebiet sogar weiter ausgedehnt als vor Beginn der äthiopischen Intervention. Ohne die Truppen aus dem christlich regierten Nachbarland könnten sich weder der Präsident noch die Regierung und das Parlament, die allesamt nicht demokratisch legitimiert sind, im Amt halten. Addis Abeba sieht sich daher von vielen Seiten, unter anderem den USA und der Afrikanischen Union (AU), mit der dringenden Aufforderung konfrontiert, »kein Vakuum entstehen zu lassen«. Tatsächlich machen die äthiopischen Truppen bisher kaum Anstalten zu dem versprochenen Abzug.

Unterdessen wird über eine Verstärkung der afrikanischen »Friedenstruppe« (AMISOM) diskutiert, die seit Januar 2007 in Somalia stationiert ist. Sie war auf eine Stärke von 8000 Mann geplant, besteht aber nur aus insgesamt etwa 3200 ugandischen und burundischen Soldaten. AMISOM soll nun möglicherweise durch drei Bataillone – jeweils 850 Mann – aus Nigeria, Uganda und Burundi verstärkt werden, doch ist die endgültige Entscheidung noch nicht gefallen. Bisher beschränkt sich die Truppe auf den Schutz einiger Regierungsgebäude und des Flughafens von Mogadischu. Ihr Mandat wurde vor einigen Tagen von der AU, die die Entsendung einer UN-Mission fordert, nur um drei Monate verlängert.

** Aus: junge Welt, 29. Dezember 2008


Zurück zur Somalia-Seite

Zur Äthiopien-Seite

Zurück zur Homepage