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Der Seeräuber-Krimi

Piraten brachten vor der Küste Somalias ein Schiff mit Panzern an Bord auf – und kamen damit ungewollt einem Waffendeal größeren Umfangs auf die Spur

Von Knut Mellenthin *

Ein Piratenakt hat anscheinend eine Waffenschieberei am Rande oder außerhalb der Legalität ans Licht gebracht. Der ukrainische Frachter »Faina« wurde am 25. September weit vor der somalischen Küste von etwa 30 Seeräubern gekapert. Auf die Ladung des Schiffes waren diese offenbar nicht vorbereitet und reagierten mit der höchsten Lösegeldforderung, die in dieser Region jemals gestellt wurde: 35 Millionen Dollar. Inzwischen sind sie auf 20 Millionen heruntergegangen.

Die »Faina« war mit Waffen unterwegs, die den Frachtbriefen zufolge für Kenia bestimmt waren und im kenianischen Hafen Mombasa abgeliefert werden sollten: 33 T-72-Panzer aus sowjetischer Produktion, sechs Luftabwehrgeschütze, 150 Panzerfäuste, sechs Raketenwerfer und große Mengen Panzergranaten. In der Ukraine hatte sich zu Sowjetzeiten ein erheblicher Teil der Rüstungsproduktion der Sowjetunion befunden, darunter mehrere Fabriken zur Panzerherstellung.

Die Piraten waren die ersten, die behaupteten, daß die brisante Fracht in Wirklichkeit gar nicht für Kenia, sondern für die De-facto-Republik der mit Washington befreundeten separatistischen Rebellen im Südsudan bestimmt sei. Diese wiederum unterhalten enge Beziehungen zu bewaffneten Gruppen in der Krisenprovinz Darfur. Ein Sprecher der in Bahrain stationierten Fünften US-Flotte, die inzwischen mit mehreren Kriegsschiffen in der Nähe der gekaperten »Faina« präsent ist, schloß sich der These der Seeräuber an.

Der Verdacht ist, auch wenn die kenianische Regierung umgehend dementierte, sachlich plausibel. Kenia ist seit Erlangung der Unabhängigkeit (1963) eindeutig prowestlich orientiert und hat auch die Waffen seiner Streitkräfte jahrzehntelang ausschließlich von westlichen Staaten sowie in jüngerer Zeit auch von Indien bezogen. Eine Ausnahme war vor kurzem der Ankauf einiger chinesischer LKW für den Truppentransport. Um aber Sowjetpanzer einsetzen zu können, müßte Kenia zunächst Personal ausbilden lassen. Das ist im Fall des T-72 aber nicht geschehen, wie die aus internen Quellen anscheinend gut unterrichtete kenianische Tageszeitung The Nation schreibt.

Das Blatt weiß noch mehr: Zuvor seien über Kenia schon zwei oder drei andere Waffenlieferungen aus der Ukraine an den Südsudan abgewickelt worden. Am 2.November 2007 sei beim Transport auf dem Schienenweg ein Zug mit 17 T-72-Panzern entgleist. Ebenfalls per Bahn seien am 25. Januar dieses Jahres 33 T-72-Panzer durch Kenia in den Südsudan geschafft worden. Andere Vermutungen sagen allerdings, daß die Waffen möglicherweise gar nicht für den Südsudan, sondern für die Rebellen in Darfur bestimmt gewesen seien. Das wäre ein eindeutiger Verstoß gegen ein von der UNO beschlossenes Embargo. Dagegen wären Waffenlieferungen an den Südsudan nicht illegal. Sie könnten aber den ohnehin problematischen Waffenstillstand zwischen der Zentralregierung in Khartum und der südsudanesischen Provinzverwaltung gefährden.

Die Ukraine war wegen ihrer skrupellosen Waffenexporte schon häufiger in der Kritik. Rußlands Premierminister Wladimir Putin bezeichnete am Donnerstag im Gespräch mit seiner Kollegin Julia Timoschenko die ukrainischen Waffenlieferungen an Georgien als »Verbrechen«. Timoschenko kündigte später in Kiew an, daß sich ein parlamentarischer Untersuchungsausschuß mit den Waffenexporten befassen werde. Diese unterstünden allerdings ausschließlich dem Präsidenten Viktor Juschtschenko und seien der Kontrolle der Regierung völlig entzogen.

* Aus: junge Welt, 4. Oktober 2008


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