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Vor Mogadischu

Somalia: Bewaffnete Opposition gewinnt die Oberhand. Gekapertes Schiff vor der Küste von Kriegsschiffen eingekreist

Von Knut Mellenthin *

Vor der zentralsomalischen Küste bahnt sich eine internationale Militäraktion gegen Piraten an, die vor einigen Tagen einen ukrainischen Frachter aufgebracht hatten, der 33 Panzer sowie Granatwerfer für die kenianische Armee an Bord hat. Drei Kriegsschiffe, ein US-amerikanisches und zwei europäische, sollen die Piraten eingekreist haben, wurde am Sonntag gemeldet.

Nach Angaben eines Vertreters des internationalen Seefahrerverbandes in Kenia forderten die Piraten insgesamt 35 Millionen Dollar (rund 24 Millionen Euro) Lösegeld. Diese Summe sei den Erfahrungen zufolge jedoch verhandelbar und könne möglicherweise auf unter fünf Millionen Dollar gedrückt werden. Nach einem Beschluß des UN-Sicherheitsrats Anfang Juni haben zahlreiche Staaten, darunter auch Rußland, Kriegsschiffe in die Gewässer um Somalia und die abgespaltene Republik Puntland geschickt. Der Berater des puntländischen Präsidenten, Bile Mohamoud Qabowsade, bestätigte am Sonntag gegenüber der Nachrichtenagentur AFP die »Umzingelung« des gekaperten Schiffes.

Auf dem Festland wendete sich derweil seit Frühjahr dieses Jahres das Blatt zugunsten der bewaffneten Opposition, die von der US-Regierung als »Al-Qaida-Terroristen« verteufelt wird. Ein Waffenstillstand, der am 9. Juni unter der Obhut der UNO zwischen der sogenannten Übergangsregierung und abgespaltenen Teilen der Opposition geschlossen wurde, blieb bedeutungslos. Diese wirklichkeitsfremde PR-Aktion hat lediglich bewirkt, daß die alte Oppositionsfront Union der Islamischen Gerichte (UIC), in deren Führung auch »gemäßigte« Politiker vertreten waren, mehr und mehr in den Hintergrund getreten ist. Den Ton geben heute die radikaleren Kräfte der Schabaab (ursprünglich die Jugendorganisation der UIC) und noch nicht zu definierende neue Gruppierungen wie die Harakat Ras Kamboni an.

Nachdem die UIC im Sommer und Herbst 2006 große Teile des Landes, einschließlich der Hauptstadt Mogadischu, unter Kontrolle gebracht hatte, rief die in der Provinzstadt Baidoa residierende selbsternannte, aber vom UN-Sicherheitsrat unterstützte »Übergangsregierung« Ende Dezember 2006 Truppen aus dem Nachbarland Äthiopien zur Hilfe. Beide Länder sind seit Jahrzehnten miteinander verfeindet, haben mehrmals Krieg gegeneinander geführt. Außerdem wird Äthiopien von Christen beherrscht. Also denkbar schlechte Voraussetzungen für eine Militärintervention im islamischen Somalia. Das sonderbare Bündnis brachte auch Kräfte gegen die »Übergangsregierung« auf, die bis dahin mit dieser zusammengearbeitet hatten.

Schwerpunkt der Kämpfe war zunächst im Frühjahr und Sommer 2007 Mogadischu, wo sich der dominierende Clan mit den Islamisten verbündete. Um den Widerstand zu brechen, schossen die äthiopischen Streitkräfte mit Artillerie und Panzern ganze Stadtteile in Trümmer. Hunderttausende Menschen, ein Drittel oder sogar die Hälfte der Bevölkerung, mußten aus der Hauptstadt fliehen, was wiederum die schon bestehenden großen Versorgungsprobleme in anderen Landesteilen verschärfte.

Im Frühjahr 2008 hatten UIC und Al-Schabaab ihre Kräfte reorganisiert und waren dazu übergegangen, tageweise und nacheinander fast alle Städte des Landes einzunehmen. Diese meist nur wenige Stunden dauernden Aktionen dienten, neben der politischen Propaganda, auch dazu, Verwaltungsgebäude und Polizeistationen zu zerstören, Waffenlager zu erbeuten und Gefängnisinsassen zu befreien.

Am 22. August eroberten die Islamisten im Bündnis mit dem örtlichen Clan die Hafenstadt Kismajo im äußersten Süden Somalias. Die »Übergangsregierung« und die äthiopischen Besatzungstruppen haben seither keinen Versuch unternommen, gegen die Stadt vorzugehen. Inzwischen wurde dort eine funktionierende Verwaltung eingerichtet. Berichten zufolge sind inzwischen auch mehrere weitere Städte, darunter Jowhar -- nur etwa 90 Kilometer von Mogadischu entfernt --und Beletwein in Zentralsomalia fest in der Hand der Opposition. Es mehren sich Berichte, daß die äthiopischen Truppen sich aus bisherigen Positionen zurückziehen.

* Aus: junge Welt, 29. September 2009


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