Bundesregierung stellt sich dumm
Deutschland ignoriert UN-Bericht über Kindersoldaten in Somalia
Von Knut Mellenthin *
Die deutsche Bundesregierung ignoriert hartnäckig Berichte der UNO über
die Rekrutierung von Kindern und Jugendlichen für die Milizen der
somalischen "Übergangsregierung" (TFG). Das Außenministerium wiederholte
am Donnerstag (22. Juli) die Routine-Behauptung, dafür gebe es "keine
Anhaltspunkte". Deutschland ist von den Vorwürfen unmittelbar betroffen,
da die Bundeswehr an der Ausbildung von Soldaten für die TFG beteiligt ist.
Das Thema, das beispielsweise in US-amerikanischen Medien wie Washington
Post und New York Times schon seit Monaten dokumentiert und diskutiert
wird, ist in Deutschland erst jetzt durch eine Anfrage der Linken an die
Bundesregierung öffentlich geworden. In einem Jahresbericht des
UN-Generalsekretärs, betitelt "Kinder und bewaffnete Konflikte", der im
Mai vorgelegt wurde, wird festgestellt, dass sowohl die somalische
"Übergangsregierung" als auch die islamistischen Organisationen Kinder
und Jugendliche für sich kämpfen lassen. Nach einem Protokoll zur
internationalen Konvention der Kinderrechte ist es unzulässig, Personen,
die noch nicht 18 Jahre alt sind, zu Kampfeinsätzen zu verwenden.
Somalia gehört allerdings zu den ganz wenigen Ländern, die sich bisher
geweigert haben, das Protokoll zu unterschreiben.
Im diesjährigen UN-Bericht heißt es, dass die TFG im vorigen Jahr rund
3000 neue Rekruten ausgebildet habe, von denen ungefähr die Hälfte noch
nicht 18 gewesen seien. Erwähnt werden auch Meldungen über die Anwerbung
von Jugendlichen für die TFG-Truppen in somalischen Flüchtlingslagern in
Kenia. Über die Vorgänge bei diesen Anwerbungen hatte die Washington
Post am 6. April eine ausführliche Reportage gebracht. In einen Anhang
zum diesjährigen Kindersoldaten-Report des UN-Generalsekretärs werden 16
"Parteien" namentlich aufgezählt, die schon seit mindestens fünf Jahren
regelmäßig in diesen Berichten auftauchen. 15 davon sind
Rebellenorganisationen. Die einzige dort genannte Regierung ist die TFG.
Auf die Frage der Linken nach der Stellung der Bundesregierung zu diesem
UN-Bericht heißt es in der Antwort von Cornelia Pieper (FDP),
Staatsministerin im Auswärtigen Amt, lediglich: "Die Bundesregierung
verurteilt den Einsatz von Kindersoldaten. Auch die international
anerkannte Übergangsregierung Somalias lehnt den Einsatz von
Kindersoldaten ab und engagiert sich im Rahmen ihrer Möglichkeiten.
Jüngste Berichte (...) hat der Präsident zum Anlass genommen, diese
ablehnende Haltung öffentlich zu bekräftigen."
Irren sich also die Berichterstatter der Vereinten Nationen und die
Reporter der größten US-amerikanischen Tageszeitungen, die über den
Einsatz von Kindersoldaten durch die TFG berichteten und diesen sogar
mit Fotos dokumentierten? TFG-Präsident Scharif Scheikh Ahmed scheint da
nicht ganz so sicher: Erst bestritt er die Vorwürfe kategorisch, kurz
darauf ordnete er eine Untersuchung an. Gleichzeitig verkündete er, er
habe Anweisung gegeben, alle Kinder und Jugendlichen aus den TFG-Milizen
zu entlassen.
* Aus: junge Welt, 24. Juli 2010
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