Somalias Gipfel-Hoffnung
Eine hochrangig besetzte Konferenz in London soll Lösungen für den Chaos-Staat finden
Von Marc Engelhardt, Genf *
In London beraten heute (23. Feb.) hochrangige Politiker aus mehr als 40 Staaten über eine Strategie, um mehr als zwei Jahrzehnte Chaos, Krieg und Leid in Somalia zu beenden.
Wenn man dem britischen Premier James Cameron glauben möchte, dann entscheidet sich heute in London die Zukunft eines ganzen Landes: Somalia, seit 21 Jahren ohne funktionale Regierung, soll endlich wieder ein Staat wie jeder andere werden. Hochrangige Vertreter von 40 Regierungen, unter ihnen US-Außenministerin Hillary Clinton, treffen deshalb zu Diskussionen mit der international anerkannten Übergangsregierung Somalias zusammen. Auch UN-Generalsekretär Ban Ki Moon und Vertreter anderer internationaler Institutionen werden erwartet. Cameron hat im Vorfeld klargemacht, dass die »London Conference on Somalia« etwas ganz besonderes sein soll - nicht bloß eine der zahlreichen Konferenzen, die alle paar Monate zu Somalia abgehalten werden.
Die Zeit drängt. Derzeit wird in Somalia an verschiedenen Fronten gekämpft. Truppen unter Mandat der Afrikanischen Union kontrollieren die Hauptstadt Mogadischu. Im Landessüden sind kenianische Soldaten einmarschiert, im Westen äthiopische Truppen. Sie alle kämpfen vor allem gegen die Islamisten der Schabab, die weite Teile Somalias unter ihrer Kontrolle haben und dort ein regelrechtes Terrorregime errichtet haben.Erst am Dienstag veröffentlichte Human Rights Watch einen Bericht über die massenhafte Verschleppung von Kindern und Jugendlichen. Die Milizen entführen demzufolge Kinder aus ihren Elternhäusern und aus Schulen. Jungen werden als Kämpfer eingesetzt, oft dienen sie älteren Soldaten an der Front als Kanonenfutter. Mädchen werden vergewaltigt und zwangsverheiratet. »Für Kinder in Somalia gibt es keinen sicheren Unterschlupf«, bilanziert die für Kinderrechte zuständige HRW-Vizedirektorin Zama Coursen-Neff.
Die Kämpfe verschlimmern zudem die humanitäre Lage. Weite Teile Somalias sind immer noch von der Hungerkrise der vergangenen Monate gezeichnet, bei denen UN-Angaben zufolge bis zu 100 000 Somalis ums Leben gekommen sind. Schließlich ist auch aus formellen Gründen Eile geboten. Denn das Mandat der derzeitigen Übergangsregierung unter Präsident Scharif Scheikh Achmed (selbst ehemaliger Islamist) läuft am 23. August aus. Den UN und der Staatengemeinschaft fehlt dann ein legitimierter Ansprechpartner. Die ursprünglich geplante Wahl in Somalia erscheint unter den aktuellen Bedingungen kaum vorstellbar.
So könnte das größte Verdienst des »Super-Gipfels« sein, dass er nach einem Jahr des Stillstands (alle Augen waren auf den arabischen Frühling gerichtet) Somalia wieder zum Thema macht. Der UN-Sicherheitsrat sollte in der Nacht zum Donnerstag beschließen, den AU-Friedenseinsatz zu erweitern und damit Kenias Truppenpräsenz zu legitimieren. Ob Kenia und Äthiopien sich damit auch einer internationalen Kontrolle unterwerfen, dürfte ein Thema am Rande des Gipfels sein.
Der zweite absehbare Erfolg ist die Schaffung eines Sonderfonds, mit dem in für die Regierung zurückeroberten Gebieten unbürokratisch der Bau von Schulen und Krankenhäusern, Polizeistationen und Gerichten finanziert werden soll. Diese »Friedensdividende« die direkt der geschundenen Bevölkerung zugute kommt, hatte man 2007 nach dem Einmarsch äthiopischer Truppen vergessen - und die Islamisten damit gestärkt.
Mit dem Fonds umgehen Geber zudem die notorisch korrupte Übergangsregierung, der Human Rights Watch ebenso wie den Islamisten schwere Menschenrechtsverletzungen vorwirft. Eine alternative dritte Kraft ist aber nicht in Sicht. Manche Gipfelteilnehmer, allen voran die arabischen Staaten, plädieren deshalb dafür, die Schabab mit an den Verhandlungstisch zu holen. Doch die USA blockieren das bislang.
* Aus: neues deutschland, 23. Februar 2012
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