"Lasst uns in Frieden!"
In Somalia herrscht keine Begeisterung über den Anmarsch fremder Truppen
Im Zeichen des "Krieges gegen den Terror" dient seit dem 11. September der Nahe und Mittlere Osten als militärisches Aufmarsch- und Operationsgebiet der USA, Großbritanniens und andere Großmächte, die sich der "Allianz" angeschlossen haben. Deutschland befindet sich auch unter ihnen und hat Anfang Januar 2002 die ersten Kriegsschiffe an das Horn von Afrika entsandt. Somalia, das so gut wie keine staatliche Zentralgewalt hat, gilt allgemein als wohlfeile Beute terroristischer Organisationen, die hier ungestört ihrem verbrecherischen Handwerk nachgehen können. Somalia wird aber auch als ein leicht zu besetzendes Operationsgebiet für die Anti-Terror-Allianz gehandelt. Deshalb scheint eine Ausweitung des US-Krieges in Somalia zur Zeit wahrscheinlicher als ein Angriff etwa auf den Irak. Vor wenigen Tagen wurde in einigen Zeitungen gemeldet, dass äthiopische Truppen bereits in Somalia aufgetaucht seien.
Die Wochenzeitung "Die Woche" brachte am 11. Januar 2002 ein interessantes Interview mit dem somalischen Regierungschef Hassan Abschir Farah, das wir im Folgenden ebenso dokumentieren wie einen Korrespondentenbericht, der ein etwas anderes Bild von der Lage in Somalia zeichnet, als wir normalerweise zu lesen bekommen. Der Artikel wurde von uns gekürzt.
"Lasst uns in Frieden!"
VON JOHANNES DIETERICH
"Die Deutschen kommen!" Abdullahi Shirwa droht für einen Moment lang seine in
elf Bürgerkriegsjahren gestählte Ruhe zu verlieren. "Mit sechs Schiffen!"
Eben hat der 50-jährige Direktor der somalischen Friedensinitiative
Peaceline in der BBC von der Entsendung deutscher Marineeinheiten ans Horn
von Afrika gehört und zählt nun eins und eins zusammen: Hatte doch der
deutsche Verteidigungsminister Rudolf Scharping erklärt, als nächstes Ziel
der Anti-Terror-Allianz stehe Somalia ganz oben auf der Liste! "Wird es nun
also wirklich ernst?"
Für die meisten Somalis schon keine Frage mehr. Wer es sich leisten kann,
hat seine Familien außer Landes geschafft. ...
Abdullahi Shirwa hatte uns, seine bleichgesichtigen Gäste, in Begleitung
einer achtköpfigen, Kalaschnikows schwingenden Eskorte vom 50 Kilometer
außerhalb der Stadt gelegenen Flugplatz mit dem prosaischen Namen "Kilometer
No. 50" abgeholt.... Willkommen in einem einzigartigen Labor der Zeitgeschichte,
einem seit elf Jahren ohne Regierung existierenden Staatsgebilde, im
angeblich "schlimmsten Land der Welt" (US-Magazin "Newsweek").
... "Hier war mal die Universität", sagt Shirwa - heute ein
Trümmerfeld. "Hier das beste Restaurant der Stadt" - heute ein Unterstand
für die Milizionäre einer Straßensperre. "Hier das Zentrum Mogadischus, die
weiß strahlende Perle Afrikas - mit Nationaltheater, Parlament und
Kathedrale" - heute eine wie mit Kreide bestäubte Ruinenstadt, aus der nur
noch Fassadenreste in den Himmel starren.
Der mitten in der Stadt gelegene Palast des 1990 außer Landes gejagten
Diktators Siad Barre muss weiträumig umfahren werden: Dort haben sich 300
Kämpfer des legendären Kriegsfürsten Farah Aidid verschanzt. Ihre Mörser
halten Mogadischus lahm gelegten Hafen in Schach, ihre Flaks machen den
Zentralflughafen unbrauchbar. Aidid selbst, den amerikanische
Kampfhubschrauber während der UN-Intervention "Restore Hope" 1993 vergebens
jagten, wurde inzwischen von einem Blindgänger erledigt, sein Sohn und
Nachfolger Hussein zieht es aus Sicherheitsgründen vor, aus dem Nachbarland
Äthiopien für Unruhe zu sorgen. "Die Bevölkerung", sagt Shirwa, "hat das
Chaos und die Kämpfe ein für alle Mal satt: Wir wollen Frieden."
Eigentlich hat Somalia seit über einem Jahr sogar einen Übergangspräsidenten
und eine Übergangsregierung, auf die sich 3000 nach ihrer Clanzugehörigkeit
sortierte Somalier Ende August 2000 geeinigt hatten. Die Marathonversammlung
im Nachbarland Dschibuti dauerte sechs Monate. Es war der erste halbwegs
erfolgreiche Verständigungsversuch in einem Land, um das 350 Clans und
Sub-Clans streiten. Nach dem Sturz von Diktator Barre (1990) hatten sie sich
in heillose Kämpfe um die Macht verwickelt.
Noch immer allerdings ist der Friede ein bloßer Traum: Mehrere Clan-Führer
haben der Übergangsregierung den Kampf angesagt. Präsident Abdulkassim Salad
Hassan fehlen die Mittel, auch nur die Kriegsfürsten in der Hauptstadt
auszuschalten - von entfernter liegenden Landesteilen ganz zu schweigen. Der
nordöstliche Teil Somalias hat sich als Somaliland sogar bereits für
unabhängig erklärt, das weiter südlich gelegene Puntland will folgen.
Immerhin hat Mogadischu seit drei Wochen wieder einen Bürgermeister. Er
heißt Hussien Ali Ahmed und empfängt seine Gäste in Ermangelung eines
offiziellen Amtssitzes im Hotel. Hussien hat weder eine Administration noch
ein Budget, sprüht aber dennoch vor Tatendrang. Mit einem
Freiwilligen-Wettbewerb zwischen den verschiedenen Stadtteilen Mogadischus
will der Bürgermeister die haushohen Müllberge an den Straßenrändern zum
Verschwinden bringen: "Wir selbst können nur die Lastwagen und den Diesel
zur Verfügung stellen." Hussien versteht in der Not die Tugend auszumachen:
Die ohnehin nur von privaten Generatoren geleistete höchst lückenhafte
Stromversorgung der Stadt will er genauso privatisieren wie die völlig
ruinierte Wasserversorgung - ein Novum in Afrika.
...
... Viele Exilanten kehrten nach der Bildung der Übergangsregierung vor 18 Monaten nach Hause zurück, als es hieß, in Somalia seien wieder Geschäfte zu machen. Tatsächlich wurde im
vergangenen Jahr in Mogadischu ein neues Hotel nach dem anderen errichtet,
nur überragt von den neu errichteten Masten der Mobiltelefongesellschaften.
In der Hauptstadt wird mit Handys telefoniert. Wenige Kilometer außerhalb
Mogadischus hat ein findiger Geschäftsmann einen provisorischen Hafen
eingerichtet, in dem inzwischen selbst Neuwagen aus Japan für die
Nachbarstaaten Kenia und Äthiopien auf Barkassen umgeschlagen werden.
Auf dem wuseligen Bakaara-Markt im Herzen Mogadischus herrscht selbst in der
Mittagshitze Hochbetrieb. Händler bieten in den weit verzweigten überdachten
Budengassen neben Kalaschnikows (200 Dollar) und Handgranaten neuerdings
auch wieder Nudeln aus Italien, Reis aus Thailand oder Goldschmuck aus dem
Jemen an.
Zahra Mohamed, Marian Elm und Mohibo Aden haben kürzlich ihre neuen
Lagerräume direkt am Bakaara-Markt bezogen. Dort verkaufen die drei
selbstbewussten Unternehmerinnen aus den Vereinigten Arabischen Emiraten
importierte Autoreifen und Motorenöl: ein Geschäft, das sie bereits begonnen
hatten, als ihre Ehemänner beim Ausbruch des Bürgerkrieges ihren Job als
Staatsbeamte verloren. "Am Anfang war es hart", erzählt Zahra in makellosem
Englisch: "Doch im vergangenen Jahr ging es steil bergauf."
Jetzt aber droht den Geschäftsfrauen der Ruin. Im November legte die
amerikanische Regierung die Barakaat-Bank lahm, über welche die Somalier
praktisch alle internationalen Geldtransfers abwickelten. Die Bank, Somalias
größter Arbeitgeber, ist weit mehr als ein bloßes Geldinstitut: Eine
Telefongesellschaft, ein Bauunternehmen, sogar eine Getränkefirma gehören zu
dem Mischkonzern. Seit der amerikanischen Strafaktion sind nicht nur
somalische Guthaben im Wert von 12 Millionen Dollar eingefroren: Tausende
von Exil-Somaliern haben die Möglichkeit verloren, ihren Verwandten zu Hause
Geld zukommen zu lassen (nach UN-Angaben die einzige Einnahmequelle für mehr
als die Hälfte aller somalischen Haushalte); über 5000 Barakaat-Angestellte
verloren ihren Job, die Leitungen der Barakaat-Telefongesellschaft ins
Ausland sind gekappt, alle somalischen Internet-Verbindungen unterbrochen,
selbst die Limonadenfirma in Mogadischu steht still. ...
Washington wirft dem Barakaat-Direktor Ahmed Ali Jimale vor, Osama Bin
Ladens Netzwerk Al-Qaida mit jährlich 25 Millionen Dollar unterstützt zu
haben. Die Bank bestreitet das: Erst drei Monate nach der Strafaktion folgte
die US-Regierung jetzt einer Einladung der Bank-Manager, einen Agenten zur
Überprüfung der Vorwürfe in ihre Zentrale nach Dubai zu entsenden. Warum
musste gleich ein ganzes Bankensystem samt Telefon- und
Internet-Gesellschaft lahm gelegt werden, um einen verdächtigten Direktor zu
bestrafen, fragt ein Sprecher der Bank in Mogadischu wütend.
Unbewiesen blieben bislang auch die Vorwürfe Washingtons, wonach am Horn von
Afrika Trainingslager der Al-Qaida existierten. Fernsehteams aus aller Welt
durchstreiften selbst die entlegendsten Winkel Somalias und brachten
höchstens Bilder von verlassenen Camps der islamischen Al-Itihaad-Miliz mit.
Nach übereinstimmenden Darstellungen in Mogadischu wurde der militärische
Arm der Islamistengruppe Al-Itihaad bereits vor drei Jahren aufgelöst: Die
starrgläubigen Milizionäre waren sowohl von somalischen Kriegsfürsten wie
von der äthiopischen Armee zahllose Male gejagt, aufgerieben und massakriert
worden.
Für die meisten Somalier gibt es keinen Zweifel, wer hinter den
amerikanischen Vorwürfen steht: die an den Rand gedrängten Kriegsfürsten
mitsamt ihren äthiopischen Hintermännern, die in Washington Stimmung gegen
die Übergangsregierung machten. Der Nachbarstaat Äthiopien, Erzrivale der
Somalier schon seit Jahrhunderten, suche zu verhindern, dass sich Somalia
wieder zu einem ernst zu nehmenden Staat entwickele: Nach Informationen der
Friedensinitiative Peaceline hat Addis Abeba allein im vergangenen Jahr 120
Tonnen Munition und leichte Waffen an jene Milizenführer geliefert, die
gegen die Zentralregierung kämpfen.
Gegner des somalischen Regierungs-Embryos rennen in Washington offene Türen
ein. Anders als die Vereinten Nationen erkenne die Bush-Administration den
Präsidenten und sein Kabinett nicht an, erklärte ein US-Diplomat kürzlich
beim ersten Besuch eines amerikanischen Repräsentanten in Somalia seit dem
Debakel der US-geführten "Restore Hope"-Mission 1993. Damals waren neben
Tausenden von Somaliern auch 18 GIs ums Leben gekommen. "Die Amerikaner
haben noch eine Rechnung mit uns offen", schimpft ein Parlamentarier in
Mogadischu: "Sie wollen uns einfach nicht in Frieden lassen."
Amerikanische Truppen wie auch die deutsche Marine wollen sich jetzt im
Hafen Berbera der abtrünnigen Nordprovinz Somaliland einrichten. Die sich
abzeichnende Intervention, befürchtet selbst der regierungsfreundliche
amerikanische Thinktank Stratfor, werde die Teilung Somalias beschleunigen
und das Land in bitterste Armut zurückstoßen.
...
"Die Deutschen handeln unfair"
Regierungschef HASSAN ABSCHIR FARAH über den internationalen Truppenaufmarsch gegen Somalia
DIE WOCHE: Vor der somalischen Küste patrouillieren deutsche Kriegsschiffe,
und Verteidigungsminister Rudolf Scharping vermutet, Somalia sei das nächste
Angriffsziel der Anti-Terror-Allianz. Sind Sie besorgt?
HASSAN ABSCHIR FARAH: Ich habe keine Ahnung, warum der deutsche
Verteidigungsminister das gesagt hat. Es gibt hier keine Camps und keine
Trainingslager von Al-Qaida. Das sind nur Vorwürfe von Leuten, die unserem
Land Schaden zufügen wollen.
DIE WOCHE: Betrachten Sie den Aufzug der deutschen Marine am Horn von Afrika
als feindliche Aktion gegen Somalia?
FARAH: Wir haben eine der längsten Küsten in Afrika und selbst keine Marine,
um sie zu kontrollieren. Deshalb haben wir die Amerikaner sogar eingeladen,
die Küste gemeinsam mit uns zu überwachen. Wir wollen allerdings schon
beteiligt und zumindest informiert werden.
DIE WOCHE: Wurde Ihre Regierung von Deutschland denn gar nicht kontaktiert?
FARAH: Nein. Wir hatten bisher keinerlei Kontakt mit der deutschen Regierung.
Und das finden wir unfair und unrechtmäßig.
DIE WOCHE: Es gibt offenbar auch Pläne, deutsche Marine-Einheiten in der
Hafenstadt Berbera in Somaliland zu stationieren. Wurden Sie davon in
Kenntnis gesetzt?
FARAH: Wir haben nur gerüchtehalber davon gehört. Nach internationalem
Recht gehört Somaliland nach wie vor zu Somalia. Man müsste also uns und
nicht die von den UN nicht anerkannte Regierung der Separatisten in
Somaliland fragen.
(Interview: JOHANNES DIETERICH)
ZUR PERSON
HASSAN ABSCHIR FARAH (56) ist Premierminister der von den UN anerkannten
Übergangsregierung Somalias. Unter der Regierung des somalischen Diktators
Siad Barre war Farah unter anderem Botschafter in Bonn.
Aus: DIE WOCHE 03/02, 11. Januar 2002
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