Dieser Internet-Auftritt kann nach dem Tod des Webmasters, Peter Strutynski, bis auf Weiteres nicht aktualisiert werden. Er steht jedoch weiterhin als Archiv mit Beiträgen aus den Jahren 1996 – 2015 zur Verfügung.

"Wir sehen das Licht am Ende des Tunnels"

Abdirahman Omar Osman: Die Übergangsregierung ist im Soll *


Die Somalische Übergangsregierung (TFG) versucht seit 2004, einen Staat zu regieren, dem es an seinen Grundlagen mangelt: einem Machtzentrum, einem funktionierenden Sicherheitssektor oder einer Gesundheitsversorgung. Mit Regierungssprecher Abdirahman Omar Osman sprach für »nd« Markus Schönherr.


nd: Waren acht Jahre genug Zeit für die Übergangsregierung, um ihre Ziele zu erreichen?

Yao: Wir konnten alle Pläne umsetzen, wenn auch erst im letzten Moment. Dafür gibt es einige Erklärungen. Als die Ära der Warlords begann, war es für die Regierung unmöglich, von Nairobi nach Mogadischu umzusiedeln. Dann spaltete sich die Regierung, die eine Fraktion ließ sich in Mogadischu nieder, während die andere die Stadt Jowhar als Regierungssitz beanspruchte. Erst später fanden die Rivalen zusammen. 2006 ergriff die Union islamischer Gerichte die Macht, die zum Ende des Jahres wieder von der äthiopischen Einsatztruppe vertrieben wurde. 2008 trat der Präsident zurück und sobald Scheich Scharif Achmed als Präsident nach Mogadischu kam, nahm die radikal-islamistische al-Shabaab den Kampf gegen uns auf. Erst 2011 konnte die AMISOM-Mission die Rebellen aus der Hauptstadt vertreiben. Die Übergangsregierung hatte nie eine Chance, sich auf ihre eigentlichen Ziele zu fokussieren, da sie sich ständig im Kampf gegen Extremisten befand. Aber wir sehen das Licht am Ende des Tunnels: Dank Premierminister Abdiweli Mohamed Ali konnten wir einen Fahrplan entwerfen, der uns den Weg zu den Wahlen bereitet hat.

Was waren die größten Erfolge der TFG?

Neben dem Fahrplan war das die Rückeroberung der größten Städte. Wir kontrollieren wieder weite Teile des Landes, was vor neun Monaten noch unmöglich gewesen war. Außerdem konnten wir, mit Hilfe der UNO, die humanitäre Hilfe ausweiten, eine neue Verfassung implementieren und zum ersten Mal Gespräche mit den separatistischen Regionen Puntland und Galmudug führen.

Im Februar haben sich die TFG und die separatistischen Regionen auf eine somalische Bundesrepublik geeinigt …

Diese Vereinbarung ist nach wie vor gültig und von ihr erwarten wir ein neues politisches Zeitalter, besser als das zuvor.

Bis zuletzt gab es Spekulationen, ob Wahlen im August nicht zu früh wären. Sind sie das?

Nein, denn abstimmen werden ausschließlich traditionelle Führer. Das Parlament wird dann durch die 4.5-Formel aufgeteilt. Auf alle Parlamentarier aus den vier größten Ethnien kommt ein gemeinsamer Vertreter der Minderheitsgruppen. Es wird also keine direkte Wahl des Volkes geben und wir erwarten Ende August tatsächlich neue Parlamentarier und eine neue Regierung.

Sind die somalischen Streitkräfte bereit, den Kampf gegen Extremisten nach dem Abzug der AMISOM allein auszutragen?

Der Kern der Armee schon, aber allen Milizen, die erst in die Armee integriert werden müssen, mangelt es an Training und Disziplin. Uns fehlt auch die Ausrüstung, die AMISOM besitzt. Wegen des Waffenembargos besitzen unsere Truppen kein einziges Kampffahrzeug und kämpfen mit veralteten Waffen. Während AMISOM-Soldaten 1100 Dollar erhalten, beträgt der Monatslohn unserer Soldaten 100 Dollar. Falls AMISOM heute abzieht, wird die al-Shabaab bald wieder die Kontrolle übernehmen.

Die USA verhängten am Ende der Amtszeit Reiseembargos gegen TFG-Mitglieder, die den Fahrplan verzögern wollten und froren ihre Konten ein. Wie hat die TFG darauf reagiert?

Wir waren froh darüber. Denn es gab einige einflussreiche Menschen, die den Prozess behindern konnten oder einen Status quo wollten. Viele der 2004 gewählten Parlamentarier waren Warlords und sie blicken nun besorgt auf die Voraussetzungen, die der Fahrplan für Politiker vorsieht: Bildung, keine kriminelle Vergangenheit und einen guten Ruf in der Gesellschaft.

Welche Schritte müssen für friedliche Wahlen noch unternommen werden?

Um das zu sagen, ist es noch zu früh. Derzeit ist nur eine Wahl der Parlamentarier möglich und diese findet im August statt.

* Aus: neues deutschland, Montag, 20. August 2012


»Schließlich müssen wir auch Zivilisten schützen«

Eloi Yao: Ein Abzug der afrikanischen Soldaten ist 2013 unwahrscheinlich **

Die afrikanische Friedenstruppe African Union Mission to Somalia (AMISOM) versucht im Auftrag der UNO seit dem 1. März 2007 zur Stabilisierung der Lage in Somalia beizutragen. Mit ihrem kenianischen Sprecher Eloi Yao sprach für »nd« Markus Schönherr.


nd: Was würden Sie die größten Erfolge der AMISOM-Mission nennen, seit sie 2007 ins Leben gerufen wurde?

Osman: In den fünf Jahren ist es der Mission gelungen, die radikal-islamistische al-Shabaab-Miliz aus Mogadischu zu verdrängen. Das hat wiederum der Übergangsregierung geholfen, die volle Kontrolle über die Hauptstadt zurückzugewinnen. Erstmals seit 20 Jahren ist damit eine anerkannte, zentrale und legitime Regierung in Somalia an der Macht.

Ein Jahr nach der Befreiung Mogadischus wurde im Mai auch die Stadt Afgoye von der al Shabaab zurückerobert. Das ist ein großer Erfolg, aber weshalb erst so spät?

Es ging nicht früher, da wir erst den Frieden in Mogadischu festigen mussten. Außerdem gab es einen Mangel, sowohl an Truppen, als auch an der Ausrüstung. Als die UN-Resolution 2036 im Februar ein Hilfspaket genehmigt hat, entstand eine Dynamik. Und mit dieser konnten wir schließlich Afgoye befreien. Die vielen intern vertriebenen Menschen erforderten ebenfalls einige Vorbereitungen und diese brauchen ihre Zeit, aber schließlich müssen wir auch Zivilisten schützen.

Ist ein Abzug von AMISOM 2013 realistisch oder wird die Mission erneut verlängert?

Das Konzept der Afrikanischen Union und der UNO zielt darauf ab, Zentral- und Südsomalia zu befreien, die somalischen Behörden dabei zu unterstützen, ihre Einrichtungen aufzubauen und den politischen Prozess zu fördern, damit Ende August ein neues politisches Zeitalter anbrechen kann. Des Weiteren soll das somalische Militär bei einem Abzug für seine Aufgaben gewappnet sein. Bevor all das nicht erreicht ist, wird es auch keinen Abzug geben.

Sind die somalischen Streitkräfte bereits ausreichend trainiert, um den Kampf gegen Warlords und die radikalen Islamisten fortzusetzen?

Wir arbeiten noch daran. Der 20 Jahre andauernde Krieg hat die meisten Staatsinstitutionen geschwächt. Es ist unheimlich wichtig, jede einzelne wieder aufzubauen, um für Sicherheit zu sorgen, sobald AMISOM nicht mehr da ist. Die aktivsten Trainer sind derzeit die EU, die USA, Großbritannien, Japan und die Türkei.

Äthiopien und Kenia waren ursprünglich kein Mitglied der Afrikanischen Friedenstruppe für Somalia. Stufen Sie ihren Beitritt als Erfolg ein?

Äthiopien und Kenia teilen ihre Grenzen mit Somalia und haben durch die Konsequenzen des dortigen Konflikts mitgelitten. Zum Beispiel durch die vielen Flüchtlinge oder die vermehrten Attacken von Terroristen auch auf unseren Territorien. Äthiopiens und Kenias Unterstützung ist lobenswert und erfolgreich, denn sie arbeiten besonders eng mit der Übergangsregierung und anderen AMISOM-Kräften zusammen. Das symbolisiert, dass sie eine gemeinsame Auffassung von der Bedrohung haben und dass nur gute Zusammenarbeit sie verringern wird.

Was ist Ihre Meinung über die Kopfgelder, welche die USA vor Kurzem auf Mitglieder der al-Shabaab-Miliz ausgesetzt hat?

Dazu können wir als AMISOM nichts sagen. Das ist eine reine Angelegenheit der US-Regierung und auch nur diese kann eine Auskunft über ihre interne Strategie geben.

Wenn die regierungsinternen Wahlen Ende August tatsächlich stattfinden, wird der Übergang friedlich verlaufen oder bringt der Wandel eine neue Bedrohung für den Aussöhnungsprozess?

Der politische Fahrplan, der den Weg für die Wahlen bereitet, gehört den Somaliern und wird auch von Somaliern getragen. Alle politischen Akteure tragen ihren Teil dazu bei. Der Übergang wird friedlich verlaufen, denn die Akteure konnten ihre Differenzen durch einen Dialog beilegen. Wenn wir so auch weitermachen, sehe ich zwar Herausforderungen, aber keine Gefahr.

** Aus: neues deutschland, Montag, 20. August 2012

Somalia

Seit dem Sturz des Diktators Siad Barre vor 21 Jahren herrschen in der Hauptstadt Mogadischu provisorische Regierungen, deren Macht von geringer Reichweite ist. Die derzeitige Übergangsregierung( TFG) wird von den Vereinten Nationen gestützt. Ihr Mandat läuft am 20. August aus. An diesem Tag soll erstmals wieder ein »richtiges« Staatsoberhaupt bestimmt werden. Ob der Wahltermin gehalten werden kann, ist allerdings fraglich. Denn das neue Parlament, das den Präsidenten wählen soll, ist kurz vor Ablauf der Frist noch immer nicht ernannt. Beobachtern zufolge soll mittlerweile eine Liste mit 184 Abgeordneten stehen – 91 Namen fehlen noch. Ob damit das notwendige Quorum zur Wahl des Präsidenten gegeben ist, war unklar. Rund zehn Kandidaten bewerben sich um das Amt des Staatschefs, darunter auch Interimspräsident Scheich Scharif Ahmed und sein Ministerpräsident Abdiweli Mohamed Ali.

Chronik Staatszerfall

1960: Unabhängigkeit Britisch- Somalilands (heutiges Somaliland) und Italienisch- Somalilands, Vereinigung zur Republik Somalia.

1969: Machtübernahme durch General Siad Barre.

1991: Sturz Barres durch Truppen des United Somali Congress, Beginn des Bürgerkriegs, der bis heute fast eine Million Menschen das Leben gekostet hat.

1992: UNO startet Operation »Restore Hope« unter Führung der USA. Krieg gegen den mächtigsten Warlord Farah Aidid.

1993: Beginn des Abzugs der USA, nachdem Milizionäre deren Soldaten massakriert hatten. Zuvor forderten USA-Luftangriffe viele zivile Opfer.

1995: UNO erklärt Mission für gescheitert, Bürgerkrieg geht weiter.

2000: Versöhnungskonferenz in Djibouti, Kriegsfürsten einigen sich mehrheitlich auf Übergangsregierung, die wird aber nicht von allen Clanchefs anerkannt.

2004: Nach Verhandlungen bildet die Mehrheit der Kriegsfürsten – ohne Somaliland – eine Regierung unter Puntland- Präsident Abdullah Yussuf.

2008: Friedens- und Machtteilungsabkommen (in Djibouti) der Übergangsregierung mit der Alliance for the Reliberation of Somalia (ARS); Übergangsperiode bis August 2011.

2009: Scheich Scharif Achmed wird Übergangspräsident.

ML




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