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Äthiopische Offensive

Bereits fünf afrikanische Staaten beteiligen sich an Intervention in Somalia

Von Knut Mellenthin *

Truppen aus dem Nachbarland haben am Sonnabend (31. Dez.) die somalische Stadt Beledweyne besetzt, die zuvor von der islamistischen Organisation Al-Schabab kontrolliert wurde. Der Ort, Hauptstadt der Region Hiran, ist in Deutschland bekannter unter dem Namen Belet Huen, seit dort während einer UN-Mission von 1993 bis 1995 Bundeswehrsoldaten stationiert waren. Die Stadt liegt in Zentralsomalia, nur etwa 50 Kilometer von der Grenze zu Äthiopien entfernt, an einer strategisch bedeutenden Nord-Süd-Straße und ist ein Handelszentrum.

Die Eroberung Beledweynes ist die erste große Operation der äthiopischen Streitkräfte auf somalischem Boden seit ihrem Abzug im Januar 2009. Mit ihrem Rückzug beendeten sie damals einen zweieinhalb Jahre dauernden Interventionskrieg, an dem zeitweise mehr als 10000 Soldaten beteiligt waren. Bereits am 19. November des zu Ende gegangenen Jahres war berichtet worden, daß äthiopische Einheiten in der Stärke von mehreren hundert Mann erneut nach Zentralsomalia einmarschiert seien. Das Regimes in Addis Abeba hatte die Meldungen zunächst dementiert und behauptet, es handele sich lediglich um eine kleine Aufklärungsmission von kurzer Dauer.

Die zwar international anerkannte, aber demokratisch nicht legitimierte somalische Übergangsregierung hat am Wochenende die Einnahme Beledweynes als Sieg ihrer eigenen Truppen dargestellt und zugleich den Beginn einer landesweiten »Operation zur Wiederherstellung von Frieden und Stabilität« verkündet. In Wirklichkeit reicht ihr Machtbereich nicht wesentlich über Mogadischu hinaus. Bei ihrem Krieg gegen das eigene Volk stützt sie sich mittlerweile auf Interventionstruppen aus fünf afrikanischen Staaten: Soldaten aus Uganda, Burundi und Dschibuti im Rahmen der rund 10000 Mann starken »Friedensmission« AMISOM, die ausschließlich in der Hauptstadt stationiert ist, sowie mehrere tausend Mann aus dem Nachbarland Kenia, die seit Oktober erfolglos in Südsomalia operieren, und nun auch äthiopische Truppen im Westen des Landes.

Augenzeugenberichten zufolge haben die Äthiopier am Sonntag damit begonnen, Häuser in Beledweyne zu durchsuchen und Verdächtige festzunehmen. Sie werden dabei von Angehörigen einer örtlichen Miliz unterstützt, die schon länger mit dem Regime in Addis Abeba kooperiert und von diesem finanziert und ausgerüstet ist. Es wird damit gerechnet, daß die äthiopischen Truppen als nächstes versuchen könnten, die ebenfalls nahe der Grenze liegende Stadt Baidoa zu erobern. Äthiopien besitzt nach Ägypten die zweitstärksten Streitkräfte Afrikas. Da diese im Gegensatz zu allen somalischen Bürgerkriegsparteien über Panzer und schwere Artillerie verfügen, fällt ihnen die Einnahme von Städten relativ leicht. Als erheblich schwieriger haben sich während der Intervention von 2006 bis 2009 die Aufrechterhaltung der Besetzung und die Versorgung der Truppen mit Nachschub erwiesen.

Indessen bereitet sich die EU auf Kampfeinsätze in Somalia vor, die im Rahmen der sogenannten Piratenbekämpfung stattfinden sollen. Die Europäische Union hat das Oberkommando der Mission »Atalanta« am 20. Dezember beauftragt, die Einsatzregeln so zu überarbeiten, daß künftig auch Operationen an Land oder – wie die Bundesregierung beschönigend und irreführend formuliert – »am Strand« möglich werden. Tatsächlich sind solche Operationen grundsätzlich schon seit mehreren Jahren durch Resolutionen des UN-Sicherheitsrats gedeckt, auch wenn davon bisher kaum Gebrauch gemacht wurde.

* Aus: junge Welt, 2. Januar 2012


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