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Zoff um Strafen und Stane

Slowenen besprechen ganz gern »kleine« Themen, aber nun ist die Regierungskrise offen ausgebrochen

Von Michael Müller, Ljubljana *

Am Dienstag dieser Woche (20. Sept.) stolperte Sloweniens sozialdemokratischer Premier Borut Pahor kläglich über einen Misstrauensantrag in der Staatsversammlung, dem Parlament des Landes. Wahrscheinlich werden die Slowenen zu vorgezogenen Neuwahlen Anfang Dezember gebeten.

Slowenien, das kleine, aber feine EU- und Euro-Ländle zwischen Österreich und Kroatien, hatte seinen üblichen beschaulichen Sommer. In Ljubljana, der Flanierhauptstadt mit ihrem Flair zwischen k.u.k und mediterran, waren die Cafés an den Kolonnaden und Promenaden entlang der dutzendfach überbrückten Ljubljanica dicht besetzt, die diversen Festivals, Konzerte gut besucht. Oben von der Burg könne man bei klarem Wetter ein Viertel des Landes sehen, heißt es. Das ist real zwar nur zu ahnen, doch selbst das macht einen gemütlichen Eindruck. Fast überall nette, freundliche Menschen. Glücklich würde der, der sein Haus weit von den Verwandten und dicht an einem Wasserlauf baue, sagt ein slowenisches Sprichwort. Möglicherweise haben sich hier zwischen Alpen, Adria und Mura seit altersher viele daran gehalten.

Die Medien füllten die Sommerpause schlecht und recht mit Regierungs- und Eurokrise. Doch die Slowenen selbst schienen eher von vermeintlichen Randthemen berührt. Etwa vom neuen Straßenverkehrsstrafkatalog oder der neuen slowenischen Zwei-Euro-Münze. Aber auch Gespräch darüber kamen oft zu den Knackpunkten, die Slowenen generell verunsichern, ärgern, Angst machen.

»Die spinnen!«

»1200 Euro Strafe und Papiere weg, bei 60 km/h in der 30er-Zone. Ähnlich auf der Autobahn. Das ist doch Irrsinn. Ich verdiene 700 im Monat mit Überstunden«, ereifert sich Bozo Bratoz, der einen Linienbus zwischen Ljubljana und Maribor, der zweitgrößten Stadt des Landes, fährt. »Und die Regierung lobt sich noch für Augenmaß. Ich sag's ja: Die spinnen!« Volkes Stimme. Die Tageszeitung »Vecer« meint zum neuen Strafkatalog: »Geändert werden müsste etwas an den wirklichen Ursachen.«

An welchen und wie, das weiß das Blatt auch nicht. Aber es spiegelt mit dem Hinweis auf »die wirklichen Ursachen« Meinung und Stimmung quer durch alle Schichten der zwei Millionen Slowenen wider. Die lassen sich mit Blick auf die politischen Verhältnisse etwa so verallgemeinern: Die im Land das Sagen haben sind überfordert, unfähig. Sie produzieren Stückwerk, und das häufig an falscher Stelle. Immer jedoch auf Kosten derer, die ohnehin benachteiligt sind.

Im Sommer hatte die sozialdemokratisch geführte Koalitionsregierung dafür schon einen heftigen Schuss vor den Bug bekommen. Sie war bei einer Volksabstimmung über eine »Rentenreform« mit Pauken und Trompeten durchgefallen, Das Eintrittsalter sollte um jeweils drei Jahre angehoben werden. Die derzeitige Regelung, 58 Jahre bei Frauen, 61 Jahre bei Männern, gehört noch zu den Konstanten aus sozialistisch-jugoslawischen Zeiten. Fünf Minister hatten daraufhin hingeschmissen, und die Koalition verfügte seither im Parlament nur noch über 33 von 90 Sitzen. Nun versuchte es Premier Borut Pahor am Dienstag dieser Woche mit fünf neuen Ministern und der Vertrauensfrage – und fiel mit 36:51 glatt durch.

Sollte das Parlament aus seiner Mitte nicht binnen 30 Tagen einen neuen Premier kreieren, gäbe es wahrscheinlich vorgezogene Neuwahlen. Umfragen sehen dafür den bisherigen konservativen Oppositionsführer und Expremier Janez Jansa klar vorn. Der muss sich indes gerade in einem Gerichtsverfahren gegen Korruptionsvorwürfe wehren – im Zusammenhang mit einem Rüstungsgeschäft aus seiner früheren Amtszeit.

Bekannte politische Beobachter wie Matej Makarovic und Miro Kline befürchten nach Neuwahlen »die gleichen alten Gesichter«. Der Kommentator des »Dnevnik« bezweifelt, dass es »die Konservativen an der Regierung besser machen«. Dass die »Spirale politischer Krisen mit oder ohne Neuwahlen nicht zu stoppen« ist, befürchtet »Delo«.

Wobei vorgezogene Wahlen auch noch nicht sicher sind. Einige Hardliner in der Opposition würden Premier Pahor und seine Sozialdemokraten in ihrer kläglichen Verantwortung gern noch etwas öffentlich »grillen« wollen. Solle er doch erst mal weiter die Wut über »Grausamkeiten« auf sich ziehen, sagen sie. Und der entsprechende Druck von außen wächst. Jean-Claude Juncker, Chef der EU-Eurogruppe, verlangt von Slowenien »sofortige und brutale Etatmaßnahmen«. Ähnlich Angela Merkel bei ihrem Kurzbesuch Ende August. Dies bei Skepsis der breiten Öffentlichkeit, aber unter großem Beifall der wichtigsten Unternehmerverbände des Landes.

»Bis vor vier Jahren haben wir hier in Slowenien eigentlich mit goldenen Gabeln gegessen«, sagt Urban Cvetek, Geschäftsführer eines Mischwerkes, das vor allem beim inzwischen zum Erliegen gekommenen Autobahnbau dabei war. »Jetzt müssen wir froh sein, dass wir noch Blechlöffel haben.« Volkswirtschaftlich gesehen seien nicht so sehr die absoluten Zahlen, sondern das Tempo besorgniserregend, mit dem sie in den letzten vier Jahren zustande kamen. Und es es gibt keinen Umkehrtrend. Beim sinkenden Wirtschaftswachstum wird Slowenien innerhalb der Eurostaaten nur noch von Estland getoppt. Eine peinliche Bruchlandung zweier EU-und Euro-Vorzeigeschüler: Slowenien für Südosteuropa, Estland für den Nordosten. »Da muss man endlich an die wirklichen Ursachen ran«, war sich jüngst auch eine Ökonomen-TV-Talkrunde bei »Slovenija 1« einig. Doch was und wie und wann blieb auch hier im Nebel.

Ein höchst interessanter Lokalpolitiker hielt da nicht lange hinterm Berg. Stefan Celan, Bürgermeister des ostslowenischen Ptui, der ältesten Stadt des Landes, promovierter Chemiker, später Forschungsdirektor, sagt: »Hektik ist kein Programm. Man muss sich nüchtern den Tatsachen stellen.« Der Turbokapitalismus sei seit fast 30 Jahren dabei, »die europäische Karre in den Dreck zu fahren«. Und diese Karre könne nicht national durch Rentenreform hier, Gehaltssenkungen dort oder Kürzungen im Gesundheitswesen gestoppt werden. Vielmehr müsse »der Geist des Lissaboner Vertrages endlich in der EU zum Tragen komme«, sagt er. Natürlich auch in der Wirtschafts- und Finanzpolitik. Besonders aber, meint Celan, in der wissenschaftlichen und technologischen Zusammenarbeit sowie in der Kultur. »Wozu ich vor allem auch ein kulturvolles Zusammenleben zähle.«

Womit wir beim erwähnten Zwei-Euro-Stück wären, das im slowenischen Sommer 2011 auch für Gesprächsstoff sorgte. Es geht um eine Gedenkmünze zum 100. Geburtstag des als Volksheld geltenden Franc Rozman Stane. Der war allerdings bis zu seinem Tode 1944 Partisanenkommandeur mit kommunistischem Roten Stern an der Feldmütze. Die FPÖ im benachbarten Österreich nannte diese Münze postwendend »ein Affront gegen eine europäische Wertegemeinschaft« und thematisierte das sogar im Wiener Parlament.

Größter Tito der Welt

Auch Sloweniens Oppositionsparteien hatten ähnlich reagiert. Allerdings viel knapper und leiser. Denn mit Antikommunismus, speziell Antititoismus, zumal in Verbindung mit dem Befreiungskampf 1941 bis 1945 ist in Slowenien politisch nicht gut punkten. Stimmen wie die des jüngsten »Panslowenischen katholischen Christentreffens«, das erklärte, im heutigen Slowenien lebten »Lüge und Verbrechen des Kommunismus« fort, weshalb »eine zweite Republik« her müsse, sind marginal. Stattdessen steht in der Energie- und Bergbaustadt Velenje beispielsweise im Park vor dem Kulturpalast nach wie vor das »größte Titodenkmal der Welt«, wie es die örtliche Tourismusbranche preist. In Maribor wiederum, Europas Kulturhauptstadt 2012, ist das »Kino Partizan« das, was man heute ein Kultkino nennt, und die große Kreuzung Titova cesta / Partizanska cesta ist aus dem Zentrum nicht wegzudenken.

Sloweniens Finanzministerium bezeichnete den Partisanenführer als »Lichtgestalt des Volksbefreiungskampfes gegen die nationalsozialistischen und faschistischen Besatzer«. Ähnlich klang Volkes Stimme in Rundfunkumfragen und Leserbriefspalten: »Kommandeur Stane war ein Held, daran ändert nichts, dass er Kommunist war.« – »Man braucht nicht links zu sein, um Stane zu verehren.« – »Der Rote Stern war eben das Symbol des Befreiungskampfes.«

Meinungen wie »die Münze ist eine Schande für Slowenien« hörte man selten. Vielmehr wurde freimütig der historische Zusammenhang zwischen der Gründung der Befreiungsfront vor 70 Jahren und dem Weg in die staatliche Eigenständigkeit vor 20 thematisiert. Hätten nicht die vergleichsweise liberalen Strukturen im sozialistischen Jugoslawien ebenso zur Unabhängigkeit 1991 beigetragen wie Dissidenten und Demonstrationen? In der Internetausgabe der »Slovenia Times« hieß es dazu locker: Solange dieselben Leute, die vor 20 Jahren im Sinne des unabhängigen Sloweniens aktiv waren, noch in politischen Ämtern sind, sei die Frage unvoreingenommen kaum zu beantworten. »Man wird sie also in 20 Jahren noch einmal stellen müssen.«

* Aus: Neues Deutschland, 23. September 2011


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