Dieser Internet-Auftritt kann nach dem Tod des Webmasters, Peter Strutynski, bis auf Weiteres nicht aktualisiert werden. Er steht jedoch weiterhin als Archiv mit Beiträgen aus den Jahren 1996 – 2015 zur Verfügung.

Adria spült Nationalisten an die Oberfläche

Streit um die Meeresgrenze lässt kroatisch-slowenische Beziehungen immer kälter werden

Von Michael Müller, Zagreb *

»Für mich gibt es hierzulande wahrlich andere Probleme als das mit den Slowenen wegen eines winzigen Stücks Grenze an der Adria. Aber es nervt einfach auf die Dauer. Und ich spüre, dass wir Kroaten – nicht die offizielle Politik und die Medien, sondern Familie und Freunde – auch immer genervter auf die slowenische Nein-Haltung reagieren.«

So beschreibt Martina Sabatic, Lehrerin im nordkroatischen Varazin, die Stimmung nach dem neuerlichen harschen Veto Sloweniens gegen den für 2010 geplanten EU-Beitritt des Nachbarlandes. Gerade hatte sie der slowenische Außenminister Samuel Zbogar beim Treffen mit seinen EU-Amtskollegen in Luxemburg bekräftigt. Solange Kroatien in der Grenzfrage nicht einlenkt, sei Widerstand angesagt, meinte er salopp.

Von Varazin aus ist es über die Drau ein Katzensprung nach Slowenien. Wie viele in der Stadt hat auch Martina Sabatic Bekannte drüben. Es gibt viele Berufspendler nach Maribor oder auch nach Ljubljana. »Ein Arbeitsplatz in Slowenien gilt wegen der besseren Bezahlung und wegen wachsender Arbeitslosigkeit bei uns nach wie vor als attraktiv«, erläutert sie bei einem Espresso. »Doch seit ein, zwei Jahren hat sich dieser Grenzstreit in die Alltagsthemen richtiggehend eingeschlichen. Und mich erschreckt, wie nun auch schon die Kinder in der Klasse beginnen nachzuplappern, was sie offensichtlich zu Hause an Sticheleien gegen die Nachbarn auffangen.«

Was Slowenien, bereits seit fünf Jahren EU-Mitglied, zum Anlass nimmt, den Beitritt Kroatiens zu blockieren, ist ein von der Politik beider Seiten seit 1991 verschlepptes Problem, sagt Prof. Vjenceslav Vlahov in Zagreb. Letztlich verhehlt aber auch er nicht, dass er die Schuld vor allem beim Nachbarn sieht. »Weitgehend ist das einfach an den Haaren herbeigezogen«, meint er. »Und leider gibt das alles auch bei uns vor allem wieder den Turbo-Leuten Auftrieb.« Turbo-Kroaten, Turbo- Slowenen – das sind umgangssprachlich die Nationalisten.

Formal geht es bei dem Streit vor allem um die Seegrenze in der nur etwa fünf Kilometer breiten Bucht, in die im Norden der Halbinsel Istrien der Grenzfluss Dragonja mündet. In dessen seewärts weitergedachtem Verlauf soll die Grenze nach kroatischer Auffassung die Bucht fast in der Mitte teilen. Nach slowenischer soll sie hingegen – auch deshalb, weil der Grenzfluss schon zu jugoslawischen Zeiten durch Kanalisierung einen anderen Verlauf erhielt – weiter südlich der kroatischen Uferlinie folgen. Die Bucht selbst wäre dann ganz slowenisch. Dortige Karten reklamieren das bereits, indem die Bucht nach einem slowenischen Küstenort als »Piran-Bucht« bezeichnet wird. Auf kroatischer Seite spricht man lieber, nach einem eigenen Küstenort, von der Savudrija-Bucht.

Pro und Kontra sind beiderseits vielfältig und diffizil. Letztlich pocht die slowenische Seite auf ihre Version, weil sie meint, nur dadurch freien Zugang zu internationalen Gewässern zu haben. Wogegen die kroatische darauf verweist, dass sie diesen nie verwehrt habe oder verwehren wolle. Zuletzt signalisierte Kroatien, man könne auf das Kompromissangebot der EU-Kommission eingehen und die Frage gemäß dem Billigungsprinzip bilateral vertraglich entscheiden. Slowenien beharrt indes vorerst weiter auf einer bilateralen völkerrechtlichen Lösung.

Oberflächlich betrachtet, bremst das alles lediglich den EU-Erweiterungsfahrplan. Man kann mutmaßen, wem in der EU die Blockade durch Slowenien passend und wem sie unpassend kommt. Die Angelegenheit kann sich aber auch zu einem Prüfstein dafür auswachsen, ob und wie die EU durch zweiseitige Zerwürfnisse erpressbar ist. Da begänne eine Zeitbombe zu ticken. Denn offene territoriale und ethnische Probleme gibt es auf dem Balkan, besonders in und zwischen den Folgestaaten Jugoslawiens, zu Dutzenden.

In der Sache geht es zwischen den beiden ehemaligen jugoslawischen Republiken um mehr als nur um eine paar Kilometer Adria. Zum ersten nämlich um ein – immerhin noch verständliches – beinhartes ökonomisches Positionsgerangel in Krisenzeiten. Zum zweiten aber auch um das Spiel mit der nationalistischen Karte.

In der kroatischen Presse werden die Kommentare immer spitzer. Warum billigte Slowenien im Frühjahr unseren NATO-Beitritt, und warum jetzt das Veto in der EU? Man fühle sich arg von oben herab behandelt. Von einem Nachbarn, »der einst nur vier Wochen und nicht wie wir vier Jahre den Heimatkrieg gegen serbische Truppen im Land hatte«. Wer hoch fliegt, fällt tief, schließt der Autor des »Vjesnik«. Und wenn das Lokalblatt der grenznahen Stadt Varazin, die »Varazdinske vijesti«, gar ein Exklusivinterview mit dem kroatischen Staatspräsidenten Stipe Mesic druckt, enthält das nicht nur beteuernd Staatsmännisches, sondern auch die populistische Warnung vor der Gefahr, dass sich in Slowenien die politische Elite vom Volk entferne.

Von slowenischer Seite wird Kroatien hingegen vorgehalten, dass es für das Seegrenzproblem bereits vor Jahren einen paraphierten Vertrag gegeben habe, mit dem die damalige kroatische Regierung allerdings im Parlament allein gelassen worden sei. Kroatien wäre so gesehen ein unsicherer Kantonist, und deshalb müsse eine bilaterale völkerrechtliche Lösung her. Das alles wird begleitet von weitgehend unterschwelligem, ab und an aber auch offenem Dauergroll. Nämlich darüber, dass Kroatien mit allen Buchten und Inseln rund 2000 Kilometer Adriaküste hat und Slowenien nur rund 50.

* Aus: Neues Deutschland, 13. Mai 2009


Zurück zur Slowenien-Seite

Zur Kroatien-Seite

Zurück zur Homepage