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"Fertik je", sagen viele Slowenen

Die Republik steckt in der schwersten Krise ihres Bestehens

Von Hannes Hofbauer *

Das kleine Slowenien kämpft seit Monaten mit einer wirtschaftlichen und politischen Krise. Ende vergangener Woche traten abermals zwei Minister zurück - unter Verweis auf Korruptionsvorwürfe gegen Premier Janez Janša. Der Regierungschef selbst aber denkt nicht an Rücktritt.

»Es gibt Leute, denen mangelt es schlicht an Lebensmitteln«, beschreibt die Historikerin Nina Kozinc die Lage in Slowenien. Das einstige Musterland der Transformation mit einer sozial verhältnismäßig ausgewogenen Kapitalisierung ehemals kollektiven Eigentums steckt in der schwersten Krise seines Bestehens. Wie konnte es dazu kommen?

Am 8. Februar zogen wieder einmal Tausende protestierend durch die Straßen Ljubljanas, forderten den Rücktritt der kaum mehr handlungsfähigen Regierung unter Janez Janša, die strafrechtliche Verfolgung korrupter Parteichefs - und soziale Gerechtigkeit. Seit Anfang Dezember 2012 entlädt sich die Wut Zehntausender in »volksslowenischen Aufmärschen«, wie die Demonstrationen von den meist über informelle, digitale Kanäle organisierten Teilnehmern genannt werden. Der bereits aus dem Serbischen bekannte Slogan »Gotov je« heißt im örtlichen Dialekt, der von Germanismen durchsetzt ist, »Fertik je«. Das bedarf keiner Übersetzung mehr, die Aufforderung zum Abdanken könnte prägnanter nicht sein. Sie wird phasenweise durch Arbeitskämpfe unterstützt, am 23. Januar beispielsweise durch einen Generalstreik der öffentlich Bediensteten, dem sich auch die Arbeiter der Metallindustrie angeschlossen hatten.

Auslöser der Unzufriedenheit sind meist korrupte Machenschaften der politischen Kaste, die im Vergleich zu den Strukturproblemen des Landes bedeutungslos erscheinen, jedoch ein verheerendes Sittenbild abgeben. So hat die ungeklärte Herkunft von 210 000 Euro auf dem Konto von Ministerpräsident Janša nicht nur die Volksseele zum Kochen gebracht, sondern Mitte Januar auch seinen wichtigsten Koalitionspartner, die Bürgerliste von Gregor Virant, zum Bruch mit dem Regierungspartner veranlasst. Mittlerweile haben auch die Volkspartei und die Rentnerpartei beschlossen, der Koalition den Rücken zu kehren. Der Auszug der Rentner aus der liberal-konservativen Fünf-Parteien-Allianz ist nicht nur ein Symptom für die verfehlte Sozial- und Gesundheitspolitik, sondern lässt auch die Demokratische Partei von Janez Janša alleine ohne parlamentarische Mehrheit auf der Regierungsbank zurück. Janšas Fall ist nur noch eine Frage der Zeit.

Beide Lager, sowohl die Liberalkonservativen als auch die oppositionellen Sozialliberalen rund um den Bürgermeister von Ljubljana, Zoran Jankovic, basteln fieberhaft an Mehrheiten. Damit könnte es ohne unmittelbare Neuwahlen zu einer von Technokraten geführten Regierung kommen. Auch Jankovic selbst steht allerdings, ähnlich wie Jansa, unter Korruptionsverdacht. Der ehemalige Leiter der Handelskette »Mercator« soll 2,4 Millionen Euro am Fiskus vorbei gelenkt haben.

Die Guten aufs Konto, die Schlechten ins Budget

Mit einem Minus von zwei Prozent im Bruttoinlandsprodukt weist Slowenien 2012 statistisch gesehen die stärkste Rezession aller EU-Staaten auf. Laut Hermine Vidovic vom Wiener Institut für internationale Wirtschaftsvergleiche (WIIW) behält es auch in der Prognose für 2013 den letzten Platz. Am stärksten rückläufig ist die heimische Nachfrage, staatliche Investitionen gehen ebenso massiv zurück. Da kann selbst die positive Handelsbilanz nicht über die tiefe strukturelle Krise hinwegtäuschen, ist sie doch vor allem den Importrückgängen zuzuschreiben.

Banken und Bauunternehmen sind am tiefsten in den Strudel des Abschwungs geschlittert. Und die beiden Problembranchen hängen zusammen, wie der Ökonom und frühere Wirtschaftsminister Jože Mencinger bestätigt. In den Jahren 2005 bis 2008 stand viel billiges Geld zur Verfügung. Baukonzerne errichteten Zehntausende von Wohnungen, die Kredite dafür waren problemlos zu bekommen. Wie andernorts auch entpuppten sich diese Investitionen als Spekulation auf eine Nachfrage, die es nicht gab. Die Folge: Baufirmen stehen mit schätzungsweise drei Milliarden Euro bei Banken in der Kreide, die wiederum insgesamt auf faulen Krediten von fast sieben Milliarden sitzen. Die beiden großen Geldinstitute des Landes, die Nova KBM und die Nova Ljubljanska Banka sind faktisch bankrott. Scheinbar folgerichtig gründete die Regierung eine »staatliche Bad Bank«, um die Verluste ins Budget zu leiten, und eine »Staatsholding« für alle anderen maroden Betriebe. Mencinger nennt den Vorgang »hysterisch« und wirft der Regierung Konzeptlosigkeit vor. Die Wurzeln des Übels sieht der Doyen der slowenischen Wirtschaftswissenschaften in der »Gambling-Periode«, wie er die Jahre vor 2008 nennt. Damals versprachen neoliberal geschulte junge Manager 20- bis 30-prozentige Jahresrenditen und kauften auf Pump ganze Unternehmen, aus denen sie schnellen Gewinn schlugen.

Hermine Vidovic vom WIIW beschreibt den Vorgang, der das Land in die Krise führte, minutiös: »Da gab es eine Reihe von Firmenübernahmen durch lokale Tycoons, die der Bank als Sicherheit für den Kredit nichts anderes als einen Anteil des zu kaufenden Unternehmens boten. Die Banken haben mitgespielt.« Kurz darauf platzte die Blase. Und die Regierung Janša weiß kein anderes Rezept, als den Marodeuren der »Gambling-Periode« aus der Patsche zu helfen. Auch der Bauwirtschaft soll unter die Arme gegriffen werden, indem der Staat leer stehende Wohnungen kaufen und sie anschließend vermieten will. Nur woher das Geld dafür kommen soll, ist unklar.

Statt zu investieren wird - den Leitlinien des IWF sei's geschuldet - eisern gespart. Zwei Pakete sind bereits durchs Parlament gegangen. Die Devise lautet: Staatsausgaben senken. Dazu gehören eine fünfprozentige Kürzung aller Gehälter im öffentlichen Dienst, eine Anhebung der Lebensarbeitszeit, im neoliberalen Neusprech »Rentenreform« geheißen, Beschneidungen im Arbeitsrecht und die Möglichkeit, staatliche Hilfen für Alte und Kranke im Regressverfahren bei ihren Kindern zu kassieren. Die letztgenannte soziale Grausamkeit führt dazu, so der bekannte linke Soziologe Rastko Mocnik, dass viele Bedürftige Staatshilfe ablehnen, um ihre Nachfahren nicht zu belasten, was dem Diktat der Maastricht-Kriterien eine unmittelbar wirksame, geradezu zynische Note verleiht.

Demokratie will Janša sich nicht mehr leisten

Der 19. Dezember 2012 steht für die bemerkenswerteste demokratiepolitische Zäsur in der jungen Geschichte Sloweniens. An diesem Tag erklärte das Verfassungsgericht die Abhaltung eines Referendums zur Gründung der staatlichen »Bad Bank« und einer Staatsholding zum Auffangen maroder Betriebe für ungesetzlich. Gewerkschaften und Opposition wollten in der Tradition des Landes einen Volksentscheid über die Frage erzwingen, ob die verlustreichen Krisenbetriebe dem nationalen Budget aufgebürdet werden sollen. Die Richter machten ihnen einen Strich durch die Rechnung; sie stellten die - angebliche - wirtschaftliche Notwendigkeit über das demokratische Prinzip.

Der Entscheid kam insofern überraschend, als bis dahin ähnliche sozial- und wirtschaftspolitische Eingriffe immer wieder einem Referendum vorgelegt worden waren. So stürzte die sozialliberale Regierung Borut Pahor Mitte 2011 nicht zuletzt über eine Volksabstimmung, die mit einer Mehrheit von 72 Prozent Rentenkürzungen und Arbeitszeitverlängerungen ablehnte. Mittlerweile ist genau diese »Rentenreform« allerdings unter dem Rechtsliberalen Janša durchs Parlament gepeitscht worden. Die Ironie: 2011 stand Janša - als Oppositioneller - auf Seiten der Referendumsbefürworter, jetzt kämpft er mit allen Mitteln um die Verhinderung direktdemokratischer Entscheide.

Mit dem höchstrichterlichen Verbot, sozial- und wirtschaftspolitische Fragen zur Volksabstimmung vorzulegen, hat die Justiz zwar im Sinne der nationalen und internationalen Sparmeister agiert, der Demokratie jedoch einen Bärendienst erwiesen. Die Idee, gegen das Budget 2013 per Plebiszit Einspruch einzulegen, wurde von Gewerkschaft und Opposition fallen gelassen. Gemeinsam ist allen im Parlament vertretenen Gruppen, inklusive der stimmenstärksten Fraktion Positives Slowenien von Zoran Jankovic, der Wille zur Fortführung des Sparkurses. Wie sagte doch die kommissarische Vorsitzende dieser größten Oppositionspartei, Alenka Bratusek, im Interview mit der Zeitung »Delo«?: »Wir müssen mit dem konsensualen Projekt fortfahren.« Die Protestierenden auf den Straßen haben dafür freilich immer weniger Verständnis.

* Aus: neues deutschland, Montag, 25. Februar 2013


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