Die Krisenwelle schwappt gen Osten
Wie aus Musterschülern Problemfälle wurden
Von Hannes Hofbauer, Wien *
Kasachstan plus 5 Prozent – Slowenien
minus 2 Prozent. So weit liegen
die Wachstumsraten der Volkswirtschaften
im ehemaligen »Ostblock«
auseinander. Gleich für acht Staaten
im Osten bilanzieren die Ökonomen
des Wiener Instituts für internationale
Wirtschaftsvergleiche (WIIW) im
Jahre 2012 eine Rezession.
Das wohl interessanteste Detail der
jüngsten WIIW-Pressekonferenz
war die Selbstkritik: Vasilij Astrov
gab zu, dass das Institut seine
Vorhersagen für dieses Jahr nach
unten revidieren musste. Einzige
Ausnahmen seien die Slowakei
und Litauen. Beiden kamen vergleichsweise
engere Beziehungen
mit Russland zugute. Der Slowakei
ist es durch eine Auffächerung des
Exports gelungen, die einseitige
Orientierung auf den EU-Markt ein
wenig aufzubrechen. Geschuldet
ist dies auch den neuen Exportmärkten
des VW-Konzerns, der
seine in Bratislava erzeugten Autos
in größerer Zahl nach Russland
und China liefert. Andererseits
droht Ungemach aus dem fernen
Westen. Gerüchte über den Rückzug
von US-Steel aus dem Stahlwerk
Kosice lösen Unruhe aus.
Wie stark die Abhängigkeit
osteuropäischer Volkswirtschaften
vom EU-Raum ist, zeigt die Statistik
der Güterexporte. Länder wie
Tschechien, Ungarn, Polen und
Rumänien liefern weit über 50
Prozent ihrer Waren in die Eurozone.
Weil dort die Nachfrage
sinkt, stehen die »aufstrebenden
Märkte« von einst nun schlecht da.
Etwas dynamischere Entwicklungen
orten die Experten nur im Baltikum
und der Ukraine, wo sie sogar
steigende Löhne verzeichnen.
Slowenien ist derzeit das Sorgenkind
der EU. Nach dem Platzen
der heimischen Immobilienbörse
steht das Land mit bankrotten
Banken da. Der Wunsch der wirtschaftsliberalen
Elite, die faul gewordenen,
weil nicht mehr bedienbaren
Kredite in eine »Bad
Bank«, also ins staatliche Budget,
auszulagern, wird von Gewerkschaften
und Linken heftig kritisiert.
Sie kämpfen um ein Referendum
zur Frage der »Bad Bank«. Derweil klettert die Arbeitslosenquote
Sloweniens sicher auf die 10-
Prozent-Marke zu.
Mindestens so dramatisch ist
die Lage in den anderen exjugoslawischen
Republiken. Keine einzige
wird 2012 ein Wachstum aufweisen.
»Absturz der Exporte,
Einbruch der Binnennachfrage,
Dürre in der Landwirtschaft«, umriss
Vladimir Gligorov vom WIIW
die Situation. Kroatiens bevorstehende
EU-Aufnahme wird daran
nichts ändern. Stattdessen könnte
grenzüberschreitendes Wirtschaften
etwa mit Bosnien-Herzegowina
durch die EU-genormten Zollvorschriften
sogar erschwert werden.
Die Arbeitslosenraten dieser Staaten
reichen von 13,5 (Kroatien) bis
31,4 Prozent (Mazedonien).
Auch Russlands Wirtschaftszahlen
glänzen nicht mehr so wie
in vergangenen Jahren. Mit 3,6
Prozent Wachstum des Bruttoinlandsprodukts
steht die Föderation
zwar weit besser da als die EU-27,
das Ziel eines Aufbaus multipler
Produktionsstätten blieb allerdings
unerreicht. Die Abhängigkeit von
Rohstoffexporten ist nicht nur
strukturell problematisch, sondern
auch aktuell spürbar. In den kommenden
Jahren dürften die Gaspreise
durch vermehrte Flüssiggastransporte
und das Fracking
von Schiefergas eher sinken als
steigen. Die private Binnennachfrage
allein, die in Russland einen
Großteil der Wirtschaftsleistung
anspornt, kann dieses Problem
nicht beseitigen. Es wäre für Moskau
höchste Zeit, sagen die WIIWÖkonomen,
mit der Diversifizierung
der Produktions- und Exportstruktur
ernst zu machen.
* Aus: neues deutschland, Donnerstag, 29. November 2012
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