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Letzte Hürde Bratislava

Der "Euro-Rettungsfonds" EFSF wurde bereits von 13 der 17 Mitgliedstaaten durchgewinkt – allein die Slowakei stellt sich weiter quer

Von David Noack *

Der »Euro-Rettungsschirm«, eigentlich European Financial Stability Facility oder Europäische Finanzstabilisierungsfaszilität (ESFS), wurde bereits von 13 der 17 Euro-Länder akzeptiert. Damit er in Kraft treten kann, wird jedoch die Zustimmung aller Euro-Länder benötigt. So hatten es die Staats- und Regierungschefs der Währungsunion vereinbart. Die slowakische Premierministerin Iveta Radiová hatte den anderen Mitgliedsländern zugesichert, daß die ESFS das slowakische Parlament passieren wird. Doch dieses Vorhaben erweist sich als zunehmend schwierig.

Radiová führt seit einem Jahr eine liberalkonservative Regierung in der Hauptstadt Bratislava. Ihre Administration stützt sich auf fünf inhaltlich äußerst verschiedene liberale und konservative Parteien sowie eine christlich-fundamentalistische Splittergruppe. Das Spektrum reicht von den teilweise eher christsozialen Wertkonservativen der KDH bis hin zu den Radikalneoliberalen der SaS. Jene Partei namens »Freiheit und Solidarität« hält unbeirrbar an ihrem Kurs fest und will durchsetzen, daß »kein einziger slowakischer Cent« nach Griechenland fließt, so der SaS-Vorsitzende Richard Sulík. Bisher hatte man in Bratislava wohl darauf gebaut, daß der »Euro-Rettungsschirm« in einem anderen Land abgelehnt wird und deswegen die ESFS-Abstimmung hinausgezögert. Doch nun steigt der Druck aus Berlin und Brüssel, bis spätestens Mitte Oktober ein Votum einzuholen.

Sulík gilt als Architekt der slowakischen Einheitssteuer, auch »Flat Tax« genannt. Die war 2004 eingeführt worden und hat zwischen Donau und Tatra zu massiven sozialen Verwerfungen geführt – aber auch den Staatshaushalt nach westlichen Wünschen vorbildlich »saniert«. Des öfteren fällt Sulík mit einer radikalen EU- und Euro-Kritik auf, die aber jedes Mal ausschließlich neoliberal begründet ist. Die Europäische Union hat der SaS-Chef und Parlamentspräsidenten auch schon mal als eine »maoistische Veranstaltung« bezeichnet.

Seit nun mittlerweile 15 Monaten schlittert die Radiová-Koalition von einer Krise zur nächsten. Das einzige, was sie zusammenhält, ist die Ablehnung der Opposition, die unter dem Linkssozialdemokraten Robert Fico von 2006 bis 2010 die Regierung gestellt hatte. Doch diese Front bröckelt: Der aktuelle Vizepremier Ján Figel, einer der Pragmatiker in der KDH, mahnte, in einer so angespannten Atmosphäre könne eine Regierung nicht lange funktionieren. Der Konservative würde im Falle einer Regierungsbeteiligung der linkssozialdemokratischen SMER wahrscheinlich einen hohen Posten in einer zweiten Regierung Fico bekommen.

So versucht nun Radiová krampfhaft, ihren Laden zusammenzuhalten. Unter anderem wurden in einer spektakulären Aktion alle Koalitionsabgeordneten, inklusive zwei schon aus den eigenen Reihen herausgeworfenen Parlamentariern, in einem von der Polizei hermetisch abgeriegelten Gebäude zusammengetrommelt, um alle Abweichler von den Vorzügen des ESFS zu überzeugen. Doch nichts wirkte bisher, die FDP-Partnerpartei SaS stellt sich weiterhin quer.

Während die oppositionelle Nationalpartei den »Rettungsschirm« rundheraus ablehnt, versuchen die So­zialdemokraten, die Angelegenheit für sich auszunutzen. Hatte deren Vorsitzender Fico bisher darauf bestanden, daß die Regierung eine eigene Mehrheit aufbringen müßte, änderte der Expremier seine Meinung am vergangenen Wochenende: Eine Zustimmung der SMER sei möglich, aber nur, wenn gleichzeitig Neuwahlen angesetzt werden würden. Diese würden die Linkssozialdemokraten locker gewinnen: Laut neuesten Umfragen könnte die Partei zwischen 36 und 43 Prozent der Stimmen bekommen.

Die erste Ministerpräsidentin der Slowakischen Republik sieht sich nun in die Ecke gedrängt, sowohl innerhalb ihrer Koalition, als auch im Parlament und in der EU. Opfert sie ihre Regierung sozusagen für die Sache, würde wahrscheinlich eine Regierung Fico zurückkehren, die die CDU-nahe Konrad-Adenauer-Stiftung eine »Tyrannei der Mehrheit« nannte. Der »Hugo Chávez Europas« (Deutsche Welle) verfolgte in seiner Amtszeit einen sozialen Kurs, der die Löhne steigen und die Gewerkschaften wieder wachsen ließ.

Der liberale Parlamentsvorsitzende Richard Sulík hatte noch vorgeschlagen, daß die Slowakei bei einem Nein zum Rettungsschirm bleibt, und die anderen Staaten, die »gewillt sind, Geld nach Griechenland zu schicken«, sollten derartige Fonds allein füllen. Doch dieser Vorstoß traf in Berlin und Brüssel sofort auf Ablehnung, Koalitions- und Oppositionspolitiker verschiedenster Parteien bezeichneten die Idee als »unfamiliär« und »unsolidarisch«. Da solch eine Flucht ausgeschlossen scheint, wird es zeitnah zu der vielleicht wichtigsten Abstimmung der Radiová-Regierung im slowakischen Parlament kommen – Ausgang ungewiß

* Aus: junge Welt, 6. Oktober 2011


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