Gegenwind für Lee junior
Singapur wählt: Erstmals hat Opposition im Stadtstaat eine Chance
Von Thomas Berger*
Wenn am heutigen Sonnabend im Stadtstaat Singapur gewählt wird, hat die regierende Partei der
Volksaktion (PAP) erstmals seit zwei Jahrzehnten den Sieg nicht von vornherein mangels
Konkurrenz in der Tasche. Zudem gilt die Abstimmung als erste große Bewährungsprobe für
Premier Lee Hsien Loong.
Alle Versuche, Oppositionsführer mit Verleumdungsklagen in den Ruin zu treiben, blieben diesmal
erfolglos: Die Gegner der Regierungspartei haben in 47 der 84 Wahlkreise Kandidaten aufgestellt
und forderten Singapurs PAP erstmals seit langem zu einem echten Wahlkampf heraus.
Zwar steht ein PAP-Sieg auch 2006 außer Frage, weil die Regierung die Medien kontrolliert und auf
die Bürokratie zurückgreifen kann. Doch kann die Opposition – Arbeiterpartei (WP), Demokratische
Allianz (SDA) und Demokratische Partei (SDP) – zumindest auf einen Achtungserfolg hoffen.
Ohnehin kann es für sie nur bergauf gehen: Im bisherigen Parlament saßen lediglich zwei
Abgeordnete (von insgesamt 84), die nicht der PAP angehören. Seit der Unabhängigkeitserklärung
1965 kontrollierte die PAP noch nie weniger als 80 Sitze.
Für die politische Clique, die in Singapur seit Jahrzehnten den Ton angibt, sind die Zeiten jedoch
nicht einfacher geworden. Lee Hsien Loong (54), der im Jahre 2004 – mitten in der Legislaturperiode
– die Geschäfte des Regierungschefs übernahm, verkörpert zwar eine neue Generation, doch muss
er sich nun erstmals bei einer Wahl beweisen. Der Sohn des langjährigen Staatslenkers Lee Kuan
Yew, der Singapur in Königsmanier regiert hatte, gilt als Technokrat, aber längst nicht als so
charismatisch wie sein Vater, der als »Minister-Mentor« immer noch die graue Eminenz der
Regierung ist. Diese Konstruktion soll absichern, dass der Staat auf dem eingeschlagenen Pfad
bleibt und der engere Führungszirkel um die Lee-Familie die Macht nicht aus den Händen geben
muss.
Die wirtschaftliche Lage spielt der PAP und dem neuen Mann an ihrer Spitze in die Hände. Selbst
die Asienkrise 1997/98 hatte den südostasiatischen Tiger nicht in die Knie zwingen können. Knapp
ein Jahrzehnt später gibt es wieder Zuwachsraten zwischen sechs und neun Prozent, die Wirtschaft
boomt. »Wir sind nicht mehr Dritte, sondern bereits Erste Welt«, lautet die Botschaft beim Auftritt von
Regierungsmitgliedern vor der Presse.
Und in der Tat mutet das Panorama der Hochhaustürme mit ihren Glitzerfassaden wie das einer
westlichen Metropole an. Nur dass die Straßenzüge in Singapur sauberer sind als in London, Berlin
oder New York. Schon das Wegwerfen einer Zigarettenkippe kann schwere Strafen nach sich
ziehen.
Singapur, das ist einerseits Kapitalismus pur mit einem gewissen Anstrich von sozialer Fürsorge
beispielsweise im Wohnungswesen. Andererseits ist die Wirtschaftsmetropole am Südzipfel der
Halbinsel Malakka ein Beispiel friedlichen Zusammenlebens verschiedener Völker und Religionen.
Wer das in Jahrzehnten gewachsene Konstrukt einer multikulturellen Gesellschaft auch nur
ansatzweise in Frage stellt oder gar zum Hass aufstachelt, bekommt die Macht des Staates zu
spüren. Wohl hatte auch Singapur vereinzelt mit islamistischen Eiferern und Terrorverdächtigen zu
tun. Doch allgemein kommen hinduistische Inder und muslimische Malaien als Minderheiten mit der
chinesischstämmigen Mehrheit bestens aus.
Dennoch ruft vor allem die jüngere Generation nach einem Wechsel. Zum einen geht es um die
Schere zwischen Arm und Reich, die trotz aller Anstrengungen weiter auseinanderklafft. Zum
anderen um ein Aufbrechen der verkrusteten politischen Strukturen, um echten Wettbewerb
zwischen Ideen und Konzepten, um freie Meinungsäußerung.
Die Demokratie, die Singapur der Staatsform nach sein will, solle nicht länger nur auf dem Papier
stehen, sondern wirklich Einzug halten, fordern die drei Oppositionskräfte. Jeder zusätzliche
Parlamentssitz für sie könnte die Regierung unter Druck setzen.
* Aus: Neues Deutschland, 6. Mai 2006
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