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"Mugabe zieht immer noch die Fäden"

Golden Maunganidze über Simbabwes Einheitsregierung und anstehende Herausforderungen *


Golden Maunganidze ist Herausgeber der Wochenzeitung »Masvingo Mirror«, die 2009 und 2010 als beste kommunale Zeitung Simbabwes ausgezeichnet wurde. Er erhielt 2008 den National Integrity Award der simbabwischen Sektion von Transparency International für seine Artikel gegen Korruption. 2010 und 2011 wurde er zudem von UNICEF für seine Berichte über die Lage von Kindern und Neugeborenen zum Kinderreporter des Jahres erklärt. Über die Lage in Simbabwe sprach mit Golden Maunganidze für "Neues Deutschland" (ND) Frank Gries.


ND: Simbabwe hat seit nunmehr über zwei Jahren eine Regierung der Nationalen Einheit. Sind Fortschritte für die Bevölkerung erkennbar?

Maunganidze: Wenn wir über Verbesserungen sprechen, müssen wir verschiedene Bereiche berücksichtigen. Generell hat sich die Lebenssituation verbessert: Als die Regierung formiert wurde, lag die Wirtschaft am Boden. Es gab nichts zu kaufen in den Supermärkten, die staatlichen Angestellten gingen kaum noch zur Arbeit, die Wirtschaft war kollabiert. Dort gibt es schon Fortschritte. Auch im Bereich der Presse gibt es Fortschritte, wir haben jetzt wesentlich mehr lizensierte Zeitungen. Aber diese Fortschritte dürfen nicht darüber hinwegtäuschen, dass noch eine Menge zu tun ist. Die Regierung stellte sich einige Ziele, doch sind wir noch weit davon entfernt.

Es scheint nicht viel Einigkeit in der Einheitsregierung zu geben: Die ehemalige Oppositionspartei MDC (Bewegung für Demokratischen Wandel) unter Morgan Tsvangirai hat wiederholt die Regierung verlassen, ist aber kurz darauf zurückgekehrt. Trügt der Eindruck?

Nein, es ist nicht viel Einigkeit in dieser Regierung der Einheit. Die MDC wechselt fast täglich ihre Beteiligung. Wir sehen, dass die ZANU-PF unter Robert Mugabe noch immer die Fäden zieht: Kader der ZANU-Jugendorganisation geben Tsvangirai jeden denkbaren Schimpfnamen, obwohl er Premierminister ist. Tsvangirai unternimmt alles Mögliche, um Ministern der ZANU Anweisungen zu geben, aber sie ignorieren diese einfach. Insofern besteht keine Zusammenarbeit. Es ist eine Vernunftehe, in der doe MDC versucht, die ZANU in Richtung einer vernünftigen Verfassung zu bringen. Unter einer neuen Verfassung, die mehr Einflüsse garantiert als die jetzige Machtteilung, könnten Neuwahlen vielleicht die jetzige Situation beenden.

Schon jetzt mehren sich die Klagen über politische Gewalt. In über 90 Prozent der Fälle soll sie von Anhängern der ZANU ausgehen. Können Sie das bestätigen?

Wir können nicht bestreiten, dass Gewalt wieder täglich ausgeführt wird. Die MDC hat sich wiederholt bei der Südafrikanischen Entwicklungsgemeinschaft SADC über die Verfolgung ihrer Mitglieder beschwert – einige mussten zum Beispiel aus Manyikaland fliehen, sie wurden in Harare untergebracht. Aber man hört auch von Übergriffen der MDC-Jugend auf ZANU-Mitglieder zum Beispiel in Harare. Es gibt also Anschuldigungen von beiden Seiten. Die Polizei hat eine Studie veröffentlicht, die vor allem die MDC für die Gewalt verantwortlich machte, gefolgt von der ZANU. Doch das ist schwer zu glauben. Denn wo immer man mit den Leuten redet, beklagen überall vor allem MDC-Anhänger, von der ZANU bedroht oder geschlagen zu werden.

Eine wesentliche Diskussion dreht sich um die nächsten Wahlen: Präsident Mugabe hatte sie bereits für 2010 angekündigt, nun erneut für 2011. Nach einer Umfrage im Januar waren 70 Prozent der Simbabwer für Neuwahlen. Die MDC und die Südafrikanische Entwicklungsgemeinschaft SADC dagegen fordern Wahlen erst nach der Annahme einer neuen Verfassung. Können Sie die Unterschiede zwischen den Positionen erklären?

Das ist wirklich eine bedeutende Frage, denn jeder will wissen, wann die nächsten Wahlen anstehen. Präsident Mugabe hat wiederholt Wahlen angekündigt, ohne jedoch ein konkretes Datum zu nennen. Die Position von SADC und MDC resultiert aus den Erfahrungen der Wahlen 2008, deren Ergebnis sehr zweifelhaft war. Sie fordern daher zunächst eine neue Verfassung, die faire Wahlen überhaupt erst ermöglicht.

Dazu kommt das Problem der Aufarbeitung der Gewalt 2008: Es gibt keinen Prozess einer nationalen Versöhnung. Viele Opfer von Gewalt und Folter bräuchten Betreuung und Unterstützung. Es müsste allen klar gemacht werden, dass Wahlen nicht automatisch Gewalt mit sich bringen. Schon jetzt reist zum Beispiel der Vorsitzende der Kriegsveteranen wieder durch das Land und erklärt den Menschen, eine Niederlage der ZANU bei Wahlen bedeutet Krieg.

Diese Vorkommnisse führen zur Position, dass zunächst eine neue Verfassung gleiche Chancen garantieren muss, bevor neuerliche Wahlen sinnvoll sind.

Die Europäische Union (EU) hat ihre Sanktionen gegen einige Personen gelockert. Was ist Ihre Meinung zu den Sanktionen?

Dies ist wieder eine sehr schwierige Frage. Es gibt noch immer eine Anti-Sanktionskampagne in Simbabwe, die mehr als eine Million Unterschriften sammeln will, um sie der EU vorzulegen. Aber vielleicht müsste man sich zunächst die Frage stellen, warum diese gezielten Sanktionen eingeführt wurden? Dann kann man diskutieren, ob diese Sanktionen berechtigt waren oder nicht. Man sollte sich auch die Personen anschauen, die nun von der Liste gestrichen wurden: Sie sind nicht mehr aktiv beteiligt, wenn Gewalt ausgeübt wird oder Menschenrechte verletzt werden. Ich denke, es müsste irgendwie eine Einigung zwischen der EU und den Personen auf der Sanktionsliste selbst geben.

Aber wir sehen politische Arroganz auf beiden Seiten. Die ZANU hat festgestellt, dass die Sanktionen sie beeinträchtigen, daher sollte die EU ihr Verhalten ändern. Speziell nun, wenn einige Leute von der Liste gestrichen wurden, sollte dies als Beispiel dienen. Wer sich entsprechend verhält, sollte von der EU allerdings dann auch schnell von der Liste gestrichen werden.

Viele Simbabwer haben von der umstrittenen Landreform direkt oder indirekt profitiert. Da sich die wirtschaftliche Lage langsam verbessert, könnte diese Langzeitmaßnahme nach Ihrer Meinung ein entscheidender Faktor bei den nächsten Wahlen werden?

Auch die MDC ist nicht gegen die Landreform, auch sie sieht die Landreform an sich als notwendig an. Aber Land ist nicht alles. Man benötigt auch Infrastruktur. Die neuen Siedler werden zum Beispiel Schulen brauchen. All diese Dinge werden eine Rolle spielen bei zukünftigen Wahlen. Die MDC kann inzwischen auch die Umsiedlungsgebiete besuchen – was früher kaum möglich war. Die Leute erkennen, dass Land nicht alles ist – und eine nationale Ressource, nicht eine Ressource der ZANU von Mugabe.

* Aus: Neues Deutschland, 20. September 2011


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