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Simbabwe - Ökonomische Krise und soziale Verelendung

Von Siegfried Schröder



Der folgende Beitrag geht auf die ökonomischen und sozialen Hintergründe der Staatskrise in Simbabwe in. Die Analyse unterscheidet sich wohltuend von den vielen oberflächlichen Betrachtungen der Tagespresse der letzten Wochen und Monate, die sich allein auf das Phänomen der illegalen Landbesetzungen und auf die Machtspiele Mugabes konzentrierten. Der Autor, Siegfried Schröder, ist Politikwissenschaftler und Mitarbeiter des "Weltfriedensdienstes e.V." Der Verein unterstützt Entwicklungsprojekte in Afrika, Argentinien und Palästina (Internetadresse: www.wfd.de). Der nachfolgende Text basiert auf der in der Frankfurter Rundschau vom 13.07.2000 veröffentlichten Dokumentationsseite. Er ist von uns unwesentlich gekürzt worden.

Am 24. und 25. Juni fanden in Simbabwe Parlamentswahlen statt. Die Regierungspartei ZANU PF (Zimbabwe African National Union - Patriotic Front) konnte ihre Mehrheit mit einem knappen Vorsprung vor der neuen Oppositionspartei "Bewegung für einen demokratischen Wandel" (MDC) behaupten. Bei einer für Simbabwe hohen Wahlbeteiligung von über 60 % der 5,1 Millionen wahlberechtigten BürgerInnen konnte die ZANU PF 62 Sitze erringen. Auf die MDC unter Führung des ehemaligen Gewerkschaftschefs Morgan Tsvangirai entfielen 57 Sitze, ein Parlamentsmandat ging an die Regionalpartei ZANU Ndonga. Die MDC konnte alle Sitze in den beiden größten Städten, Harare und Bulawayo, gewinnen. Die Regierungspartei behauptete sich dagegen in den ländlichen Gebieten. Im Parlament wird die Regierungspartei aber weiterhin eine deutliche Mehrheit haben, da ihm neben den 120 gewählten Vertretern weitere 30 Mitglieder angehören, die der Präsident nominiert. Allerdings kann die ZANU PF nicht mehr Verfassungsänderungen im Alleingang durchsetzten, denn die hierzu notwendige Zweidrittelmehrheit hat sie verloren. (. . .)

Der Oppositionsführer Morgan Tsvangirai hat das Ergebnis und damit die Fortführung der Regierung durch die ZANU PF grundsätzlich akzeptiert, wenn er auch für 20 ländliche Wahlkreise eine gerichtliche Überprüfung forderte. In diesen 20 Wahlkreisen hatte die Regierungspartei nur mit einem sehr knappen Vorsprung gewonnen.

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Direkt nach der Wahl versucht Mugabe mit einer Doppelstrategie wieder Herr der Lage zu werden: Seinen Widersacher Tsvangirai fordert er auf, für die "nationale Aufgabe" mit der Regierung eng zusammenzuarbeiten, ohne dieses allerdings zu spezifizieren. Gleichzeitig betont der Präsident, dass der Landenteignungsprozess fortgesetzt wird, ohne ein Wort der Entschuldigung für die Übergriffe in der Vorwahlzeit zu äußern. Die Landfrage steht auch nach den Wahlen ganz oben auf der politischen Agenda Simbabwes.

Die Landfrage wie auch die Verunglimpfung der Opposition und der weißen Farmer hat als taktisches Moment kurz vor Wahlen immer schon eine wichtige Rolle gespielt. Wodurch aber begründet sich die krisenhafte Zuspitzung vor den Parlamentswahlen in diesem Jahr, eine Taktik, die die letzten Reserven an Respekt und Glaubwürdigkeit der politischen Führung Simbabwes im In- wie Ausland zu verspielen droht?

Das Verfassungsreferendum

Am 14. Februar 2000 hatte die Regierung Simbabwes einen neuen Verfassungsentwurf in einem Referendum zur Abstimmung gestellt. Die Wählerinnen und Wähler wiesen den Entwurf mit 54,6 % der abgegebenen Stimmen zurück. Mit knapp 1,3 Millionen WählerInnen beteiligten sich nur ein Viertel der Wahlberechtigten an diesem Urnengang. Dieses Abstimmungsergebnis kam in Simbabwe einer Revolution nahe, denn zum ersten Mal in der 20-jährigen Geschichte seit der Unabhängigkeit hat die Regierungspartei ZANU PF unter Führung des Präsidenten Robert Mugabe bei einer nationalen Abstimmung keine Mehrheit erhalten.

Dazu hatte maßgeblich das Oppositionsbündnis "Bewegung für einen demokratischen Wandel" (MDC = Movement for Democratic Change) des ehemaligen Chefs des Gewerkschaftsbundes, Morgan Tsvangirai, beigetragen. Hier sammelten sich Aktivisten und Aktivistinnen aus Frauenorganisationen und anderen Vereinigungen der Zivilgesellschaft sowie Angehörigen einer alternativen Verfassungsversammlung, der NCA (National Constitutional Assembly). Eine allgemeine Unzufriedenheit mit der katastrophalen wirtschaftlichen Entwicklung und dem teuren Engagement Simbabwes im Kongo-Krieg, in dem über 10 000 simbabwesche Soldaten auf der Seite Kabilas im Einsatz sein sollen, hat zudem viele Bürger dazu bewogen, der Regierung einen Denkzettel zu verpassen - oder erst gar nicht an dem Referendum teilzunehmen.

Die Regierung nahm diese Warnung ernst, allerdings auf eine sehr fragwürdige Weise: Es ist vor allem der Panik der herrschenden politischen Elite zuzuschreiben, dass die Farmbesetzungen, die Überfälle, Einschüchterungen und politischen Morde in den letzten Monaten massiv zugenommen haben. In diesem Jahr, spätestens bis August, mussten - nach gesetzlichen Vorgaben - Parlamentswahlen abgehalten werden, die letztendlich für den 24. und 25. Juni festgelegt wurden. Die regierende ZANU PF setzte alle Mittel ein, diese Wahl nicht auch noch zu verlieren. Dabei schien ihr die Landfrage ein passendes Instrument zu sein, die Wählerschaft ein weiteres Mal für sich zu mobilisieren. So schreckte die politische Führung im Vorfeld der Wahl nicht vor Rechtsbruch und der Duldung von Gewalt, ja von Ermordung der als Feinde eingestuften Anhänger der Opposition zurück. In der Zeit von März bis Mai sollen bei diesen Auseinandersetzungen 30 Menschen zu Tode gekommen sein, den meisten von ihnen wird Mitgliedschaft in oder Unterstützung der Oppositionspartei nachgesagt. Unter den Toten sind auch fünf weiße Großfarmer.

Veteranen des Befreiungskrieges, die Jugendorganisation der ZANU PF, junge Leute, die sich anwerben oder mitreißen ließen unter vermutlicher Anleitung durch Militär, Geheimdienst und Führungskader der Regierungspartei, halten bis heute Großfarmen besetzt. Der Polizei war an den meisten Orten das Eingreifen auch bei offensichtlichen Rechtsbrüchen untersagt worden, an anderen Orten dagegen warnte sie zumindest weiße Einwohner vor bevorstehenden Besetzungen. Darüber hinaus wurden Anhänger der Opposition gejagt und durch Verschleppung, Folter, Misshandlungen und Arbeitsplatzverlust abgestraft. Farmarbeiter, denen eine politische Nähe zu ihren oppositions-freundlichen Arbeitgebern, den - meist weißen - Großfarmern, unterstellt wurde, wurden massiv eingeschüchtert und bedroht, denn rund eine Million Farmarbeiter-Familien galten als wichtiges Wählerpotenzial.

Die aktuelle Entwicklung im "Pulverfass" Simbabwe ist nur zu verstehen, wenn man historische Bezüge herstellt und die feudale Grundstruktur im Bereich des Großgrundbesitzes nicht einfach nur als bedauernswerte "ungerechte Landverteilung" kategorisiert, wie es die aktuelle Berichterstattung in Europa meist in einem Nebensatz abhandelt. Es handelt sich vielmehr um ein umfassendes historisch-gewachsenes soziales und ökonomisches Unrecht, das bis heute ungelöst ist und zur aktuellen Krise maßgeblich beigetragen hat.

Das historische Vermächtnis

Der Unabhängigkeitskrieg in Simbabwe, von den beiden Befreiungsbewegungen ZANU PF und ZAPU (Zimbabwe African Peoples Union) vorangetrieben, wurde vor allem um die Wiederherstellung der traditionellen Landrechte der afrikanischen Bevölkerung geführt. Die Erringung der Unabhängigkeit war mit der Hoffnung verbunden, die Landnahme durch die weißen Siedler und die British South African Company (BSAC) rückgängig zu machen. Da diese Frage auch in 20 Jahren Unabhängigkeit nicht gelöst werden konnte, bestimmt die Debatte um eine gerechte Landverteilung bis heute immer wieder die Tagespolitik in Simbabwe.

Nach der partiellen Besetzung des Landes Ende des 19. Jahrhunderts und der Landvergabe an weiße Siedler entstand das "Problem" der Präsenz der afrikanischen Bevölkerung auf diesem Land: Es wurden Reserves in für die Siedler unwichtigen Gebieten eingerichtet, die entweder landwirtschaftlich nicht interessant waren oder aber zu unwirtlich, um dort ein europäisches Leben führen zu können.

Die Reserves waren zum einen "Reservate", in die die afrikanische Bevölkerung eingesperrt werden sollte. Zum anderen hatten sie aber auch die Bedeutung der "Reserve", der Arbeitskraftreserve für einen möglichen Einsatz ("nach Bedarf") in "weißen" Bergwerken, auf "weißen" Farmen, als Dienstboten, später dann auch als Industriearbeiter.

Aber nicht alle Menschen ließen sich einfach vom "Land ihrer Ahnen" vertreiben oder in Zwangsarbeitsverhältnisse pressen - und die Kolonialisten waren von ihrer Zahl, wie ihren militärischen und materiellen Möglichkeiten her nicht in der Lage, diese Apartheidsideen flächendeckend physisch umzusetzen. Doch die Macht reichte aus, den Nutzen des angeeigneten Landes, einschließlich der dort lebenden Bevölkerung, mittels der berüchtigten "‚Kopfsteuer" bzw. einer aufgezwungenen "Pacht" zu steigern. Die Bewohner wurden so in Lohnarbeitsverhältnisse - zu den von den weißen Kolonialherren vorgegebenen Bedingungen - gezwungen. Mit den geringen Nutzungsrechten an ihrem ehemals eigenen Land konnte die schwarze Bevölkerung die jetzt nötigen Geldeinkommen kaum erringen.

Im Zuge der Kolonialisierung wurde für "europäisches" Land auch europäisches Recht eingeführt: Die weißen Siedler erhielten individuelle Besitzurkunden (Title Deeds) über ihr Land, die auch das Ende des Kolonialismus überlebten. Damit waren ihre Eigentumsrechte gesichert, sie konnten diese bspw. auch als Sicherheit für Kredite einsetzen. Dagegen blieben die Communal Lands, die früheren Reserves, bis heute formal in Staatseigentum.

Gab es 1941 rund 69 000 Weiße im ehemaligen Rhodesien, verdoppelte sich diese Zahl bis 1954. Heute leben ungefähr 70 000 Weiße in Simbabwe, die große Mehrheit als simbabwesche Staatsbürger.

1980: politische Unabhängigkeit

Die rechtliche Situation wie auch die faktische Landverteilung hatte sich bis zur Unabhängigkeit kaum verändert. Nur einige sog. afrikanische Master-Farmer konnten kleine landwirtschaftliche Betriebe kaufen, vor allem um durch die dadurch erhoffte erhöhte Marktproduktion die Nahrungsmittelversorgung in den Städten sicherzustellen. Anscheinend konnte dieses allein von den weißen Großfarmen nicht mehr geleistet werden. Hier entsteht der später so bezeichnete Small Scale Commercial Farm-Sektor (SSCF).

Zum Zeitpunkt der Unabhängigkeit sind folgende Eckpunkte für die Landfrage von Bedeutung: Der Landraub wird mit der Unabhängigkeit nicht rückgängig gemacht, denn das Lancaster-House- Agreement als Grundlage der politischen Souveränität begründet nur einen Verhandlungsfrieden. Das weiße Siedlerregime ist nicht militärisch besiegt worden, somit werden in die vorläufige Verfassung auch umfassende politische und ökonomische Sicherungsrechte der weißen Minderheit verankert, u.a. dass vor allem Land und Bergwerke nicht enteignet werden dürfen. 1980/81 gibt es ca. 6700 weiße Farmer mit Kontrolle über 47 % der landwirtschaftlichen Nutzfläche, die durchschnittliche Größe der Farmen beträgt 2400 ha. Dagegen liegt die durchschnittliche Farmgröße der SSCF bei 125 ha (dieser Sektor nutzt insgesamt aber nur 3 % der landwirtschaftlichen Fläche Simbabwes). In den Communal Lands liegt die Betriebsgröße dagegen bei wenigen Hektar, die durch die ständig steigende Bevölkerungszahl seit 1980 pro Familie deutlich kleiner geworden ist. 75 % der Communal Lands liegen entweder in Dürreregionen, wo nur begrenzte Viehhaltung möglich oder der normale jährliche Niederschlag so gering ist, dass Getreideanbau nur bedingt möglich ist und damit auch nicht als ausreichende Subsistenzgrundlage dienen kann.

Auch die vielfach gelobte Versöhnungspolitik Robert Mugabes, des ersten Premierministers Simbabwes, war von vornherein eine recht einseitige Maßnahme: Die weißen Kriegsgegner durften im Lande bleiben - viele ihrer Privilegien wurden kaum angetastet. Gleichzeitig wurden aber keinerlei substanzielle Versöhnungsleistungen von den weißen Siedlern verlangt. Eine durchaus unterhalb von Verfassungsänderungen vorstellbare Entschädigungspolitik gerade für das materielle Unrecht in Folge von Invasion und Inwertsetzung von afrikanischem Land und Mineralien durch die weißen Siedler ist nie ernsthaft in die politische Arena eingeführt worden. Nicht einmal eine Landsteuer wurde erhoben, um die Millionen Hektar von fruchtbarem aber ungenutztem landwirtschaftlichen Boden unter Kontrolle der Großfarmer entweder einer Bewirtschaftung zuzuführen oder zumindest durch entsprechende Staatseinnahmen eine Kompensation für die unterlassene Nutzung zu erhalten.

Versprechungen bei den Friedensverhandlungen 1979 in London (vor allem durch Großbritannien), das neue Simbabwe bei einer Landreform materiell großzügig zu unterstützen, wurden nicht eingehalten, da nicht der Wunschkandidat des Westens - Bischof Muzorewa - 1980 Regierungschef wurde, sondern der noch kurz vorher als Terrorist verschrieene Robert Mugabe. (. . .)

Der Prozess der Landreform

Gebunden an das Lancaster-House-Agreement konnten bei der Landumverteilung direkt nach der Unabhängigkeit nur die Ländereien genutzt werden, die schon vor 1980 als Staatsfarmen betrieben worden sind. Die Communal Lands, die formell Staatseigentum sind, aber bei der Nutzung sehr stark traditionellem, kommunalem Recht unterstehen, standen für eine Landreform nicht zur Verfügung. Zusätzliches Land konnte auf der Basis des Willing Seller / Willing Buyer-Prinzips zu Marktpreisen von verkaufswilligen Anbietern erworben werden. Auch konnte zusätzlich über Farmen verfügt werden, die während des Krieges von ihren Eigentümern verlassen worden waren. Im Rahmen dieser ersten "kleinen" Landreform wurden in den 10 Jahren nach der Unabhängigkeit ca. 3,3 Millionen ha Land in sog. Resettlement Areas neu verteilt, zum größten Teil ehemals "weiße" Farmen, zu knapp 20 % Staatsland. Innerhalb dieser Resettlement Areas gab es vorwiegend traditionelle landwirtschaftliche Nutzung auf Familienbasis, verbunden mit kommunaler Weidenutzung.

Die Resettlement-Politik der ersten Jahre wurde vielfach als gescheitert erklärt. Dabei hat dies wenig mit fehlender landwirtschaftlicher Expertise der simbabweschen Bäuerinnen und Bauern zu tun, ein Argument, das heute gerne gegen Umsiedelungspläne in die Diskussion eingebracht wird. Wirtschaftliche Restrukturierungsmaßnahmen können nur dann zum Erfolg führen (neben der Übertragung von Landnutzungsrechten als notwendiger Grundlage), wenn genügend Mittel bereit gestellt werden. Aber leider wurde in den Resettlement-Gebieten nicht ausreichende Unterstützung bei landwirtschaftlicher Beratung, Bereitstellung von materiellen Inputs, bei der Vermarktung und Verfügbarkeit von physischer und sozialer Infrastruktur geleistet. ...

Es konnten im Rahmen dieser ersten Neubesiedlung bis 1993 ca. 60 000 Familien neue Siedlungs- und Einkommensmöglichkeiten geboten werden, wenn auch die ursprünglichen Pläne der Regierung vorsahen, in dieser Zeit auf 10 Millionen ha Land 162 000 Familien neu anzusiedeln. Einige zeitlich befristete Schutzbestimmungen in der Verfassung liefen Anfang der 90er Jahre aus. Diese Verfassungsänderung machte jetzt die Enteignung von Farmen bei ausreichenden Entschädigungszahlen möglich. Die einzelnen Schritte eines solchen Enteignungsverfahrens wurden erst nach vielen Verhandlungen und diversen Änderungen in einem Landgesetz festgeschrieben (Land Acquisition Act), dessen endgültige Fassung 1997 in Kraft treten konnte. Gesetzliche Änderungen zur Landfrage wurden eingeführt, allerdings entstand bis 1999 noch keine reale Dynamik bei der konkreten Landneuverteilung.

1997 wurden dann 1471 Farmen mit einer Gesamtfläche von 3,9 Millionen ha identifiziert, die durch eine Enteignung einer Neubesiedlung zugeführt werden sollten. Nach dem Inkrafttreten des neuen Landgesetzes ist das erklärte Fernziel der Regierung, nun eine Gesamtfläche von 8,3 Millionen ha zu akquirieren.

Unter den vorläufig identifizierten Farmen waren auch 17 % in schwarzem Besitz (ca. 10 % der kommerziellen Großfarmen sind inzwischen "indigenisiert", wie die Betriebsübernahme durch schwarze Eigentümer bezeichnet wird). Eine kleine Anzahl von Farmen mit überdurchschnittlich großen Flächen befand sich im Besitz juristischer Personen, an der Spitze die Multis Anglo-American Corporation (Südafrika), Lonrho (Großbritannien) und Zimasco (USA). In einem formal gesetzeskonformen Einspruchverfahren wurden 624 Farmen wieder von der ursprünglichen Liste gestrichen. Vor allem Großunternehmen, Führungsmitglieder des (weißen) Großfarmerverbandes CFU (Commercial Farmers Union) und schwarze Großgrundbesitzer, waren mit ihren Einsprüchen erfolgreich. Diese Auswahl lässt also eher auf ein erfolgreiches Lobbying einflussreicher Nutzer schließen, volkswirtschaftliche oder soziale Gründe dürften wohl kaum eine Rolle gespielt haben.

Der Reformprozess kam auch im vergangenen Jahr kaum vom Fleck. Seit 1998 sind gerade 2000 Familien umgesiedelt worden. ...

Die Wahlkampagne

Die Kampagnen vor der Wahl der Kriegsveteranen und der ZANU PF wurde und wird vordergründig zur Wiederherstellung vorkolonialen Landrechts betrieben. Mit moralischer Entrüstung wird das ungenutze Land auf den weißen Großfarmen für eine Neubesiedlung durch Bedürftige und Arme eingefordert. Ökonomische Entwicklung und sozialer Ausgleich sollen durch diese Landumverteilung gefördert werden. Die Argumente dieser Kampagne in den letzten Monaten lassen sich inhaltlich durchaus nachvollziehen, doch die Glaubwürdigkeit der Regierungspartei in dieser Frage muss aufgrund des bisherigen Verlaufs der Landreform mehr als angezweifelt werden.

Das oben beschriebene Einspruchsverfahren zeigt beispielhaft das Zusammenspiel der wirtschaftlich Mächtigen mit der Regierung. Diese Einsicht wird auch dadurch unterstrichen, dass viele Farmen, die in der Vergangenheit zur Neubesiedlung oder -verpachtung dem Staat zur Verfügung standen, an Führungspersonal der Regierung, Armee und ZANU PF vergeben, aber nur selten den o.g. Landlosen zur landwirtschaftlichen Nutzung überlassen wurden. Der wahre Grund der aktuellen Kampagne dürfte somit vor allem im politischen Überleben Mugabes und der ZANU-Führung zu sehen sein. (. . .)

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Armut als Alltagsphänomen

In Simbabwe werden Farmen nicht von Soldaten besetzt, es sind meist junge Männer, die eine Lebensperspektive suchen. Dass sie von staatlichen Agenturen oder Parteibüros angeheuert, versorgt, bezahlt und politisch missbraucht werden, ist absolut kritikwürdig. Doch die Situation dieser Menschen wird dadurch nicht besser oder schlechter. Viele junge Menschen haben eine relativ gute Schulbildung genossen, finden aber keine ausreichende Arbeit, höchstens 10 % eines Jahrgangs von Sekundarschul-Abgängern kann im formalen Wirtschaftssektor unterkommen. Viele versuchen ihr Glück im informellen Sektor, viele leben perspektivlos in den Communal Lands, die sie eigentlich nicht mehr ernähren können, da sie kaum genug Anbaufläche haben, um die älteren Generationen zu versorgen.

50 % der wirtschaftlich aktiven Bevölkerung sind nach offiziellen Angaben arbeitslos. Über 70 % der Bevölkerung leben in Armut, zwei Drittel davon sind nicht einmal in der Lage, sich mit den unmittelbar notwendigen (Lebens)Mitteln zu versorgen. Gleich nach der Unabhängigkeit, zu Beginn der 80er Jahre, war die Lage dagegen vielversprechender:
Für die "Befreiungsbewegung an der Macht" waren die soziale Grundversorgung der Bevölkerung und eine gerechte Verteilung der volkswirtschaftlichen Erträge, neben dem wirtschaftlichem Wachstum als Grundlage gesellschaftlichen Fortschritts, Grundprinzipien ihrer Politik. Eine flächendeckende Versorgung mit Primar- und Sekundarschulen sowie mit Gesundheitsstationen sorgte bald dafür, dass Simbabwe zu einem Land mit den höchsten Einschulungsquoten im afrikanischen Vergleich und einer guten medizinischen Versorgung der großen Mehrheit der Bevölkerung avancierte. (. . .)

Doch dieser Weg in eine sozial gerechtere Gesellschaft sollte nur von kurzer Dauer sein:
Außenwirtschaftliche Bedingungen, ein fehlgeplantes Strukturanpassungsprogramm des IWF (ESAP) und eine politische Führung, die sich immer weiter von den einstigen Zielen entfernte, sorgten für eine rasante Zunahme der Armut und der sozialen Ungleichheit in den letzten Jahren. Diese Ungleichheit beginnt schon in der Schule, die heute nicht mehr alle Kinder besuchen (können). Vor allem in den Städten werden von vielen Familien die hohen Schulgebühren nicht mehr aufgebracht. Andererseits werden Kinder zunehmend zum "Dazuverdienen" gebraucht, vor allem auf dem Land bei der Saisonarbeit (bspw. als Kaffee- und Teepflücker), aber auch im informellen Sektor der Städte sind immer mehr Kinder beschäftigt. Können sich Eltern nicht mehr erlauben, alle ihre Kinder zur Schule zu schicken, dann werden meist Jungen bevorzugt, für Mädchen wird die Investition oft als "nicht ertragbringend" angesehen.

Das Gesundheitswesen als zweite Säule der sozialen Infrastruktur ist bereits einen Schritt weiter ins Desaster gesteuert, denn neben der unzureichenden Finanzierung dieses Sektors kommen hier die unvorstellbaren Belastungen durch die Ausbreitung von HIV/AIDS dazu. Rund ein Viertel der simbabweschen Bevölkerung im reproduktiven Alter von 15 bis 49 Jahren gilt als mit dem HIV infiziert. Die United Nations Population Division hat kürzlich unter Fortschreibung der jetzigen Bedingungen für 2009 einen Rückgang der durchschnittlichen Lebenserwartung in Simbabwe auf 27 Jahre prognostiziert. Sie lag 1990 noch bei nahezu 60 Jahren.

Die dramatische Armutsentwicklung lässt sich z.T. durch massive Einkommensrückgänge im letzten Jahrzehnt begründen, zum anderen Teil durch die hohe Arbeitslosigkeit und den mangelnden Zugang zu produktiven Ressourcen, in erster Linie zu fruchtbarem Land. Die stetige Steigerung der Arbeitslosenraten ist sowohl durch die SchulabgängerInnen begründet, die jedes Jahr in großer Zahl zusätzlich auf den Arbeitsmarkt drängen, wie aber auch durch eine faktische Deindustrialisierung im formalen Sektor. Viele Betriebe müssen schließen, oder aber sind nicht in der Lage, die notwendigen Ersatz- oder Modernisierungsinvestitionen vorzunehmen. (. . .)

In Simbabwe ist die Zeit reif für Veränderungen, Versprechungen allein stellen die Bevölkerung nicht mehr zufrieden. Viele junge Menschen wollen handeln. Dass sie dabei bereitwillig mitmachen, feudalen Großgrundbesitz zu besetzen - Inseln offensichtlichen Luxus in einem Meer von Armut -, sollte nicht verwundern. Die soziale Frage braucht eine Antwort.

Ausblick

Die Krise in Sbabwe muss entsprechend der Komplexität der zugrundeliegenden Ursachen bewertet werden. Für die nationale politische Entwicklung kann man als externer Beobachter nur auf die letztendliche Durchsetzung friedlicher Konfliktlösungsmuster hoffen. Selbstverständlich sollte dieser Weg so weit wie möglich von außen unterstützt werden. (. . .)

Die ökonomische und soziale Entwicklung konnte 1980 mit guten Vorsätzen und wichtigen Entscheidungen einen vorbildlichen Start verzeichnen. Allerdings wäre für diese Anstrengungen eine ausreichende Unterstützung durch die ehemalige Kolonialmacht und anderen Nutznießer des Kolonialismus im Norden wünschenswert gewesen. (. . .)

Die aktuellen Probleme werden auch nach der Wahl nicht gelöst sein, soziale Ungleichheit und Armut brauchen klare Lösungsansätze, konfliktbereite und ungeduldige junge Menschen brauchen Aktionsprogramme, aus denen sich für sie klare Perspektiven ableiten lassen, u. a., aber nicht nur, in der Landfrage. Deutliche Forderungen aus der Wissenschaft, von Frauenverbänden und von Basisinitiativen weisen immer wieder darauf hin, dass eine Landreform ländliche Arme ohne Land, entlassene Farmarbeiter, städtische Obdachlose genauso berücksichtigen muss wie produktive Kleinbäuerinnen und Kleinbauern oder kommerzielle Farmer, die hauptsächlich Marktproduktion betreiben wollen (so z. B. Forderungen des simbabweschen Ökonomen und Landpolitik-Experten Sam Moyo). Und keine Landreform darf ohne ein verbessertes Landzugangsrecht für Frauen durchgeführt werden, die die meiste Last bei der Bestellung des Bodens, aber die geringste Sicherheit bzgl. ihrer individuellen, von Männern, Vätern oder Brüdern unabhängigen, Nutzungsrechte haben. (. . .)

Die Sackgasse, in die die simbabwesche Politik geraten ist, lässt sich nur dann öffnen, wenn auf allen Seiten eine neue Bereitschaft zur Zusammenarbeit entsteht. Allerdings kann diese Zusammenarbeit nur dann Früchte tragen, wenn Partikularinteressen zumindest auf der politischen Bühne (im Süden wie im Norden) zurückgestellt werden und das Wohlergehen aller Menschen in Simbabwe wieder in das Zentrum der Anstrengungen rückt.
Quelle: Frankfurter Rundschau, 13.07.2000

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