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Kopf-an-Kopf-Rennen in Sierra Leone

Präsident Ernest Bai Koroma hat in Julius Maada Bio einen ernsthaften Herausforderer

Von Markus Schönherr, Kapstadt *

Überschattet von Korruptionsvorwürfen gegen Regierungsmitglieder finden in Sierra Leone heute Wahlen statt. Es ist die dritte Abstimmung seit Ende des Bürgerkriegs. Bei der Präsidentenwahl wird ein Kopf-an- Kopf-Rennen zwischen Amtsinhaber Ernest Bai Koroma und Herausforderer Julius Maada Bio erwartet.

Menschen mit verstümmelten Gliedmaßen und Straßenkinder sind in Freetown unübersehbar. Auch zehn Jahre nach dem Bürgerkrieg in Sierra Leone sind die Gräuel von damals allgegenwärtig. In diesem Szenario finden in dem Land im Westen Afrikas die dritten freien Wahlen nach dem Krieg statt, bei dem 1991 bis 2002 etwa 75 000 Menschen getötet wurden.

2007 hatte der All People’s Congress (APC) die Sierra Leone People’s Party (SLPP) nach 21 Jahren an der Regierung abgelöst. Präsident Ernest Koroma hat dem Staat seitdem relative Stabilität gebracht. Wie fragil die ist, zeigen Berichte von neuer Gewalt.

»Das Erbe des Krieges ist immer noch erkennbar, überall im Alltag«, sagt Thomas Cargill, Afrikanologe bei der Organisation Chatham House, »von Baugerippen im ganzen Land bis hin zu abgetrennten Gliedmaßen.« Die Regierung erzielte in den vergangenen Jahren zwar Erfolge in Landwirtschaft und Infrastruktur, in der Hauptstadt Freetown sollen 2014 die Ketten Hilton und Radisson Hotels eröffnen. Aber die Bevölkerung profitierte bisher kaum davon. Auf dem UNO-Index der Menschlichen Entwicklung rangiert das Land auf Platz 180 von 187. 60 Prozent der Einwohner leben von weniger als 1,25 Dollar pro Tag. »Der Krieg hat zudem soziale Normen und Werte zerstört«, sagt Cargill. Das seien Dinge, die sich nicht so schnell wiederherstellen ließen. Sareta Ashraph, die als UN-Mitarbeiterin fünf Jahre in Freetown lebte, sagte »nd«: »Der Krieg löste einen Flüchtlingsstrom in die Städte aus. Heute leben die Menschen hier in Slums. Viele wohnen in der Nähe ihrer Vergewaltiger oder wissen, wo sie sich aufhalten.«

Im Bürgerkrieg rebellierten die Paramilitärs der Revolutionary United Front (RUF) unter der Führung Foday Sankohs gegen die Regierung in Freetown. Minderjährige wurden mit Hilfe von Drogen gefügig gemacht. Es kam zu Massakern und Massenvergewaltigungen. Ashraph: »Die Geschlechtskrankheiten von vergewaltigten Frauen blieben größtenteils unbehandelt und die Kindersoldaten sind heute erwachsen und ein soziales Problem.« In abgelegenen Regionen rekrutierte die RUF Arbeitssklaven, die unter unmenschlichen Bedingungen nach Diamanten suchen mussten.

Die UNO entsandte 1999 die Friedensmission UNAMSIL, um die RUF zurückzudrängen. Durch eine Intervention Großbritanniens wurden die Rebellen 2002 besiegt, kurz danach wurde gewählt. Der UNO-Sondergerichtshof für Sierra Leone fahndet bis heute nach Kriegsverbrechern der 90er Jahre. Sankoh starb 2003 nach einem Schlaganfall, bevor er verurteilt werden konnte.

Die Angst vor weiterer Gewalt ist groß. Die vergangenen Wochen verliefen relativ friedlich, in den letzten zwei Jahren kam es aber immer wieder zu Scharmützeln und Anschlägen. Ende 2011 steckten Kriminelle Parteibüros in Brand, sowohl die der APC als auch die der SLPP. Auch die Häuser von Oppositionellen wurden angegriffen. Präsident Koroma verurteilte die Gewalt und versicherte: »Die Verbrechen werden aufgeklärt.« Laut Cargill sind die Faktoren, die den Krieg angefacht hatten, heute immer noch präsent: Korruption, schlechte Regierungsführung, schwächelnde Behörden.

Politologen erwarten ein Kopfan- Kopf-Rennen zwischen Präsident Koroma und seinem SLPP-Herausforderer Maada Bio. Bio führt seit 2007 die Opposition und genießt deren breite Unterstützung. Seine mutmaßliche Rolle im Bürgerkrieg könnte ihm allerdings zum Verhängnis werden. Angeblich war Bio in den Putsch verwickelt, durch den 1992, zu Beginn der Bürgerkriegswirren, der Präsident gestürzt wurde.

* Aus: neues deutschland, Samstag, 17. November 2012


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