Testlauf für Sierra Leones fragile Demokratie
Erstmals im unabhängigen Staat wird ein ziviler Präsident von einem zivilen Nachfolger abgelöst
Von Uwe Kerkow *
Wenn heute in Sierra Leone gewählt wird, geht es um viel in dem kleinen westafrikanischen Land.
Obwohl nach 2002 bereits die zweiten Wahlen im Frieden stattfinden, ist der über zehnjährige,
grausame Bürgerkrieg noch nicht vergessen. Verlaufen die Wahlen erfolgreich, wird es das erste
Mal seit der Unabhängigkeitserklärung sein, dass zwei zivile Staatschefs aufeinander folgen.
»Wir denken, dass alles ruhig bleibt.« Diesen Satz hörte man dieser Tage häufig von
Gesprächspartnern in Sierra Leone, wenn man sie zu ihren Erwartungen hinsichtlich des
Urnengangs befragte. Ob es sich dabei um den Polizeichef der Distriktstadt Bo, Parteianhänger und -
funktionäre oder Vertreter religiöser Gruppierungen und Nichtregierungsorganisationen handelte:
Alle versuchten, den Eindruck von Normalität zu vermitteln. Tatsächlich ist es im Verlaufe des
Wahlkampfes vergleichsweise ruhig geblieben. Zwar wurden Häuser angezündet, Kandidaten
verprügelt und mancherorts kam es auch zu direkten Konflikten zwischen den Anhängern
verschiedener Parteien. Doch waren dies einzelne Vorkommnisse. Allerdings haben viele
Unternehmer ihre Importe reduziert und Familienangehörige außer Landes gebracht. Da die mit
»robustem Mandat« ausgestatteten UN-Truppen abgezogen sind, ist Sierra Leone nun allein auf die
Professionalität der eigenen Sicherheitsorgane angewiesen. Fast allen Menschen ist die Sorge um
den Erhalt des Friedens anzumerken.
Die Wahlvorbereitungen verliefen sehr zufriedenstellend. 91 Prozent der Wahlberechtigten, über 2,6
Millionen Menschen, haben sich für den Urnengang registrieren lassen – ein Zeichen dafür, dass die
Bevölkerung sich beteiligen will und kann. Das Ergebnis des Urnengangs ist jedoch noch völlig
offen. Da der bisherige Präsident Ahmad Tejan Kabbah nicht mehr antreten darf, steht allerdings
zumindest ein personeller Wechsel bevor.
Das Rennen ums Präsidentenamt wird im wesentlichen zwischen zwei Parteien ausgetragen: Die
regierende Volkspartei Sierra Leones (SLPP) ist der Empfehlung von Kabbah gefolgt und hat
Solomon Berewa, den Vizepräsidenten, zu ihrem Kandidaten erkoren. Der oppositionelle
Volkskongress (APC) hat Ernest Koroma aufgestellt, der als politisch unerfahren gilt. Beide Parteien
sind ethnisch und regional verankert – die APC gilt als die Partei der Temne im Norden, der SLPP
hängen vornehmlich Mende aus dem Süden und Südosten an.
Zudem sind beide Parteien vorbelastet – wenn auch auf ganz unterschiedliche Art und Weise: Die
APC hat Sierra Leone vor dem Bürgerkrieg lange Zeit in einem Einparteiensystem regiert, die
Meinungsfreiheit unterdrückt und ein Klientelsystem aufgebaut, das als eine der Ursachen für den
Ausbruch des Bürgerkrieges gilt. Die SLPP dagegen, eine Abspaltung der APC, gilt zwar als
erneuernde Kraft, deren Protagonisten zudem den derzeitigen Frieden ermöglicht haben. Allerdings
werfen die Menschen dieser Partei vor, dass sich ihre Führung in den letzten fünf Jahren
hemmungslos bereichert hat. »Warum«, so fragen viele, »sollte sich das nach den Wahlen ändern?«
Die Abstimmung wird von der internationalen Gemeinschaft genau beobachtet. Neben der
Europäischen und der Afrikanischen Union sowie dem Commonwealth sind auch das Carter Center
und das US-amerikanische National Democratic Institute mit Wahlbeobachtermissionen vertreten.
Insgesamt sind etwa 100 internationale Beobachter im Einsatz. Der deutsche Evangelische
Entwicklungsdienst (EED) hat vier Fachkräfte entsandt. Weitere lokale Beobachter kommen von den
einheimischen Nichtregierungsorganisationen National Election Watch (NEW) und Womens Election
Watch sowie von kirchlichen Organisationen Sierra Leones.
Auf den Wahlsieger warten schwierige Aufgaben. Die wichtigste für den künftigen Präsidenten wird
darin bestehen, Diamantenförderung und -handel in den Griff zu bekommen: Im Jahr 2006
exportierte Sierra Leone Steine im Wert von etwa 125 Millionen US-Dollar, verschiedene
Schätzungen gehen jedoch von einer Produktion im Wert von bis zu 400 Millionen Dollar aus. Zehn
Prozent aller Arbeitsplätze hängen von Diamanten ab, sie machen 70 Prozent der Exporteinnahmen
des Landes aus. Nur wenn der Sektor kontrolliert und besteuert wird, kann er zur Entwicklung des
Landes beitragen. Gelingt dies nicht, ist eine weitere Runde im Konflikt um die »Blutdiamanten«
ohne weiteres denkbar. Zu groß sind die Profite, die hier zu machen sind, als dass nicht jemand auf
den Gedanken käme, sie unter Zuhilfenahme von Gewalt zu erwirtschaften.
* Aus: Neues Deutschland, 11. August 2007
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