Der Bürgerkrieg in Sierra Leone - ein gnadenloser Wirtschaftskrieg
Rutil, Bauxit und Diamanten
Unter dem Titel "DIE UNO UND DER WIRTSCHAFTSKRIEG IN SIERRA LEONE" veröffentlichte die Beilage zur Tageszeitung taz, Le Monde diplomatique, am 16. Juni eine ausführliche Analyse über die Hintergründe des Bürgerkriegs in Sierra Leone und über die Mechanismen, die einen Frieden so schwierig machen.
DIE UNO UND DER WIRTSCHAFTSKRIEG IN SIERRA LEONE
DAS Zwischenspiel war von kurzer Dauer. Das Abkommen, das im Juli 1999
zwischen der Regierung in Freetown und der Vereinigten Revolutionären Front
(RUF) unterzeichnet wurde, platzte Anfang Mai 2000, als die Rebellen 300
Blauhelme gefangen nahmen. Die Verhaftung von RUF-Chef Foday Sankoh
durch britische Soldaten am 10. Mai hat die Konfrontation keineswegs beendet.
Tatsächlich spielt sich dieser Bürgerkrieg vor dem Hintergrund eines
gnadenlosen Kampfes ab, den sich die internationalen Unternehmen um die
Kontrolle der Diamantenvorkommen von Sierra Leone liefern.
Von ANDRES PEREZ *
* Journalist
Man hat es schon immer gewusst: Eine verbrecherische Wirtschaft kann
ganze Staaten und Völker aushöhlen. Aber die jüngsten Ereignisse in
Sierra Leone liefern den Beweis, dass mafiose Wirtschaftsgiganten auch
eine von den Weltmächten unterstützte Friedensoperation unter der
Ägide der Vereinten Nationen zu ihren Gunsten umfunktionieren
können. Die United Nations Mission in Sierra Leone (Unamsil) ist mit
9.000 Mann die größte Friedensoperation der UNO und sollte einen
schrecklichen, seit zehn Jahren andauernden Bürgerkrieg1 beenden und
damit eine Hoffnungsbotschaft an ganz Afrika richten, insbesondere im
Hinblick auf die bevorstehende Friedensmission in Kongo-Kinshasa.
Das Scheitern sollte nicht den Falschen in die Schuhe geschoben
werden. Die bis an die Zähne bewaffneten aufgeputschten jungen
Sierra-Leoner haben es nicht etwa allein geschafft, die Unamsil zu
besiegen. Die RUF-Rebellen haben sich zwar wie Barbaren aufgeführt,
aber sie sind nur die Marionetten der wahren Kriegsherren. Die
Vereinten Nationen wurden in eine neuartige, äußerst komplexe Sache
hineingezogen: in die Auseinandersetzung zwischen zwei verfeindeten
Seilschaften von Geschäftsleuten, die es auf die Bodenschätze Sierra
Leones abgesehen haben. Indem der Sicherheitsrat und der
UN-Generalsekretär sich weigerten, ein Embargo gegen die
sierra-leonischen Diamanten zu erlassen - beziehungsweise eine
wirtschaftliche Sperrzone zu schaffen, wie es viele Experten gefordert
hatten2 - haben sie ein freies Feld geschaffen für die Auseinandersetzung
zwischen den verschiedenen mafiösen Gruppen und es zugelassen, dass
ihre Soldaten zu Spielfiguren dieses Wirtschaftskriegs wurden.
Die Rebellen von der Revolutionary United Front (RUF) kontrollieren
die Hälfte des Landes, und in der anderen Hälfte schüren sie die
Unsicherheit, um die industrielle Ausbeutung der Minen durch kleinere
Unternehmen ("junior companies") zu verhindern. Die RUF profitiert
dabei von der (auch "Taylorland" genannten) militärischen und
wirtschaftlichen Einflusszone Charles Taylors, des heutigen Präsidenten
von Liberia.3 Die meisten Geschäfte mit den geschmuggelten
sierra-leonischen Diamanten werden in Monrovia ausgehandelt, der
Umsatz beläuft sich auf etwa 200 Millionen Dollar pro Jahr "im
Zusammenspiel mit dem Waffen- und Drogenhandel sowie der
Geldwäsche in ganz Afrika" und anderswo.4
Die Edelsteine aus Sierra Leone werden automatisch "liberianisch".
Dieses System entspricht den Interessen der großen Unternehmen wie
De Beers oder Lazare Kaplan International, denn die handwerkliche
Ausbeutung der Diamantenfelder in den Rebellen- oder Milizengebieten
von Sierra Leone sowie der Schmuggel ermöglichen es, zu
Niedrigstpreisen Rohdiamanten zu kaufen, die zu den reinsten der Welt
gehören und später ungeschliffen zu durchschnittlich 270 US-Dollar per
Karat gehandelt werden. Wer Zugang zu den Rohsteinen hat, kann
somit die größte Profitmarge erzielen.5
Dem Lager der Rebellen stehen die "legitimen Kräfte" um den
gewählten Präsidenten Ahmed Tejan Kabbah gegenüber. Zu seiner
Regierung gehören der mächtige Vizeverteidigungsminister Samuel
Hinga Norman, der Boss der Kamajor-Milizen, sowie Johnny Paul
Koroma, ein ehemaliger Putschist und Folterer, samt seiner Miliz. Seit
fünfzehn Jahren ist der Staat zusammengebrochen und leistet der
Bevölkerung keinerlei Dienste mehr. Dennoch genießt er weiterhin die
Anerkennung der internationalen Gemeinschaft und kann Abkommen
mit kanadischen, belgischen, US-amerikanischen, britischen und
südafrikanischen Minengesellschaften schließen.
Inzwischen wurde jeder Quadratzentimeter des "nützlichen Sierra
Leone" verschachert, in Form von Konzessionen für Diamanten, Gold,
Bauxit (Rohstoff für die Aluminiumerzeugung) oder Rutil (Titandioxid,
dient u. a. zur Erzeugung von Farben und Lacken).
Vier Unternehmen haben sich den Löwenanteil angeeignet: Global
Exploration Corporation, Rex Mining Corporation, Diamond Works
(Branch Energy und Branch Mining), sowie Sierra Rutile-Nord
Ressources. Zumindest zwei dieser Unternehmen, Rex und Diamond
Works, setzten ihre Konzessionen in Sierra Leone zum Aufstocken
ihrer Börsenkapitalisierung an der Börse von Toronto ein, und zwar
schon 1999, als das Friedensabkommen noch nicht unterzeichnet war
und sie noch keinen Fuß auf das von den Rebellen kontrollierte
Territorium ihrer Konzession setzen konnten. Jede Firma hat ein Netz
lokaler "Agenten", die ihre Installationen vor Ort mehr schlecht als recht
instandhalten.
Die brutale Konfrontation zwischen diesen rivalisierenden Bündnissen
hat jede Hoffnung auf Frieden zerschlagen und die UN-Friedensmission
missbraucht - nach zehn Jahren eines blutigen Krieges, dessen einzige
Opfer die Bevölkerung und ganz besonders die Kinder sind. Bei
alledem geht es nicht um Kleinigkeiten, sondern um Schmuckdiamanten
im Wert von jährlich mehr als einer Milliarde Dollar, um das zweitgrößte
Rutilvorkommen der Welt und um Bauxitreserven, die den
Weltmarktkurs beeinflussen können. Deshalb tritt auch die ehemalige
Kolonialmacht Großbritannien aus der Kulisse und entsendet ein
Militärkontingent zur Unterstützung der sierra-leonischen Staatsmacht.
Damit muss sie sich nicht mehr hinter dem Rauchvorhang der
Söldnertruppe von Sandline International verstecken, wie sie es bislang
getan hatte.
In dieser Phase nun muss der um Anerkennung ringende Charles Taylor
hinnehmen, dass man ihn als de facto Verantwortlichen für die
Sicherheit der Blauhelme betrachtet, die im Mai 2000 von den
RUF-Rebellen als Geiseln genommen wurden.
"The kalashnikov lifestyle is our business advantage" (Der
Kalaschnikow-Lifestyle ist unser Konkurrenzvorteil)6, singen die
Kindersoldaten der RUF, die von diesem Krieg doppelt geschlagen
sind, weil sie zu einem Leben als Schlächter verurteilt sind und jung
sterben werden. Als diese bewaffneten Kinder im März 1999 sahen,
wie die Blauhelme zu den Diamantenzonen vorrückten, waren diese für
sie nicht etwa Vertreter der internationalen Gemeinschaft, die ihre
Entwaffnung überwachen und ihnen Bildung, Gesundheit, sozialen
Schutz und Arbeit bringen sollten. Sie sahen in den UNO-Soldaten nur
eine weitere Kriegspartei, die ihr Territorium übernehmen und ihnen die
Quelle ihres Reichtums und ihre Lebensgrundlage abjagen wollte. Das
wäre das Ende des wirtschaftlichen und militärischen Abenteuers
gewesen, das sie dank Taylorland zu erleben glauben.
Eine Filiale des britischen Secret Service
DIESE Kinder7 sahen keinerlei Unterschied zwischen den Blauhelmen
mit dem UNO-Zeichen und den 1994 von den privaten Unternehmen
angeheuerten Gurkha-Sicherheitswächtern, den Söldnern von Executive
Outcomes (1996), von Sandline International (1997) oder den Life
Guards, die sie seit 1998 bekämpfen. Im Übrigen hatte die BBC im
Dezember 1999 angekündigt, dass Gurkhas zu den indischen
Bataillonen der Blauhelme zählen und in den Diamantenregionen
eingesetzt würden. Bekanntlich gab es im März 1999 sogar ein Treffen
zwischen UN-Vertretern und den Leitern verschiedener Privatarmeen
(darunter Executive Outcomes, Sandline International und Levdan aus
Israel), auf dem man sich um gemeinsame Arbeitsformen bemühte.8
Die Minenkonsortien kappten jede Friedensinitiative schon an der
Wurzel. Zwischen Februar und Juni 1999 bewegte man sich auf das
Abkommen von Lomé zu, das Frieden zwischen RUF und Regierung
stiften sollte. Die kleineren Minenunternehmen konkurrierten erbittert
um die Erneuerung oder Anerkennung von Diamantenkonzessionen bei
der sierra-leonischen Regierung. Die entsprechenden Territorien waren
allerdings immer noch in Rebellenhand.
Nach der Schlacht um Freetown im Sommer 1999 (mit
schätzungsweise 6 000 Toten in zwei Wochen) füllte sich das
Luxushotel Mammy Yoko vom Februar bis zum Juni schon wieder mit
Händlern auf der Suche nach Diamanten, die sie in Antwerpen,
Bombay, Tel Aviv oder Mauritius verkaufen wollten, und mit Vertretern
der junior companies auf der Jagd nach Konzessionen, um nach dem
Ende der Regenzeit die Diamanten ohne größere Investitionen in die
Infrastruktur und mit billigstem Personal praktisch vom Boden
aufklauben zu können. Die im März 1998 von der westafrikanischen
Friedenstruppe Ecomog und den Söldnern von Sandline International -
so etwas wie eine Filiale des britischen Secret Service - wieder in den
Sattel gehievte Regierung verkaufte und bestätigte Konzessionen in alle
vier Himmelsrichtungen.
Die gierigen junior companies erlebten einen neuen Goldrausch, und
die belgischen Firma Rex Mining äußerte heftigen Protest, als die
Regierung ihre Konzession bei Tongo Fields im Süden an die mit den
Söldnern von Executive Outcomes liierten Konkurrenten von Branch
Energy verschacherte (eine auf der britischen Isle of Man eingetragene
Firma, die zu 100 Prozent dem kanadischen Unternehmen Diamond
Works gehört).
Dann entstiegen dem sierra-leonischen Scheiterhaufen ganz neue
Start-up-Unternehmen. Die Global Exploration Corporation (GXC) des
Thailänders Rakesh Saxena, der in seinem eigenen Land wegen
Finanzdelikten verfolgt wird, behauptete zur allgemeinen Verblüffung, in
Kono (Osten) sowie Tongo und Comboya (Süden) Konzessionen
auszubeuten. Der Minenkönig und Multimilliardär Jean-Raymond
Boulle, bekannt vor allem für die Diamantenverträge, die er mit dem
kongolesischen Präsidenten Laurent-Désiré Kabila vor dessen
Machtantritt abgeschlossen hat, interessierte sich mehr für Rutil und
operierte über seine mit Nord Ressources verbündete Firma Sierra
Rutile.
Doch für die fieberhafte Wiederaufnahme der Geschäfte und die
Vergabe von Lizenzen und Verträgen gab es kein grünes Licht vom
eigentlichen Meister, von Corporal Sankoh, dem damaligen Gouverneur
des zu Sierra Leone gehörigen Teils von Taylorland. Das Anfang Juli
1999 unterzeichnete Lomé-Friedensabkommen schien dieses Problem
zu lösen: Es sah die Entwaffnung der Kriegsparteien und Wahlen vor.
Es beinhaltet auch eine Amnestie der Kriegsverbrechen aller Parteien,
einschließlich der Gräueltaten der Sankoh-Leute. Die Minen wurden
zwischen der RUF und der Regierung aufgeteilt.
Die UNO begann ihre Friedensmission und bereitete die schrittweise
Entsendung der Blauhelme vor, beschloss aber kein
Diamanten-Embargo. Foday Sankoh akzeptierte den Posten als
Vizepräsident und Leiter der "Kommission für die Verwaltung der
strategischen Ressourcen, nationalen Wiederaufbau und Entwicklung"
und ließ sich in Freetown nieder. Ende Juli 1999 tauchten die ersten
Blauhelme auf, und genauso behutsam zogen sich die nigerianischen
Ecomog-Truppen zurück. Die amerikanische Außenministerin
Madeleine Albright besuchte Freetown und versprach 55 Millionen
Dollar Kredite unter der Bedingung, dass die Friedensverpflichtungen
eingehalten würden.
Zur allgemeinen Überraschung nahm Sankoh seine Aufgabe ernst und
verlangte eine Überprüfung aller vergebenen Lizenzen sowie die
Kontrolle über neue Verhandlungen mit den ausländischen
Unternehmen. Selbstverständlich predigte er in einer Wüste, die er
selbst mittels Massakern um sich herum geschaffen hatte: Kein einziger
hoher Beamter in Freetown machte in seiner Kommission mit, und die
Unamsil stand ihm feindselig gegenüber. Gleichzeitig beschloss der
UN-Sicherheitsrat, die Blauhelmkontingente zu verstärken und drei
Bataillone zur Kontrolle in die Diamantenregion zu schicken. Die
Friedenstruppe sollte 13.000 Mann stark werden. Das darauffolgende
Wortgefecht zwischen Sankoh und Kofi Annan war von erstaunlicher
Heftigkeit für einen UNO-Generalsekretär.
Im Herbst 1999 verschlechterte sich die Situation rapide. Der
RUF-Chef stellte fest, dass seine prätentiöse Kommission eine leere
Hülse war und kein einziges Mal zusammentrat. Er merkte auch, dass er
seine Truppen von Freetown aus nicht kontrollieren konnte. Andere
starke Männer wie Norman gewannen an Macht. Als Sankoh
feststellte, dass die Unamsil ernst machte und Blauhelme in seiner
Hochburg stationieren wollte, verschwand er aus Freetown und zog sich
in den Busch zurück. Doch das "Taylorland" kann nichts mit nutzlosen
"Gouverneuren" anfangen und lässt sie fallen. Britische Soldaten nahmen
Sankoh gefangen. Die Krise um die Geiselnahme der Blauhelme, die
Stationierung britischer Truppen und die theatralische Gefangennahme
des ehemaligen Rebellenchefs dienten als Rauchvorhang, hinter dem
sich die entscheidenden Tatsachen verbergen.
dt. Christiane Kayser
Fußnoten:
1 Siehe Elisabeth Blunt, "Sierra Leone: Der importierte Bürgerkrieg", Le Monde
diplomatique, Dezember 1999.
2 Siehe den Bericht "The Heart of the Matter: Sierra Leone, Diamonds and Human
Security", von Ian Smillie, Lansana Gberie und Ralph Hazleton im Auftrag der
Organisation Partnership Africa-Canada. Die Organisation wurde von
kanadischen Metallarbeitern und christlichen Vereinen gegründet und wird
teilweise aus öffentlichen Mitteln finanziert. Der Bericht hat die Chefetagen der
Minenkonsortien erbost und die Diamanten-Aufkäufer verunsichert. Teilweise
verfügbar über das Internet unter: http://www.web.net/pac/pacnet-1
www.web.net/pac/pacnet-1.
3 Siehe William Reno, "Corruption and State Politics in Sierra Leone", Cambridge
University Press 1995.
4 "The Heart of the Matter", a.a.O.
5 Siehe François Misser und Olivier Vallée, Les nouveaux acteurs du secteur
minier africain, Maničre de Voir Nr. 51, Afriques en Renaissance, Mai-Juni 2000,
S. 27
6 William Reno, "Warlord Politics and African States", London (Lyne Rienner
Publishers) 1998.
7 Siehe Paul Richards, "Fighting for the Rain Forest. War, Youth and Ressources
in Sierra Leone", Oxford (Heinemann/James Currey) 1996.
8 Zu den Privatmilizen siehe Laurence Mazure, "Südafrika - Die Deregulierung der
militärischen Gewalt, Le Monde diplomatique, Oktober 1996.
Aus: Le Monde diplomatique Nr. 6168 vom 16.6.2000, Seite 7
Zurück zur Seite "Sierra Leone"
Zurück zur Seite "Regionen"
Zurück zur Homepage