Thatcher heißt auf Serbisch Alexander Vucic
Gewerkschaften protestieren gegen Reform des Arbeitsgesetzes und neoliberalen Kahlschlag
Von Boris Kanzleiter, Belgrad *
Serbiens Regierungschef Alexander Vučić empfing am Donnerstag seinen rumänischen Kollegen Victor Ponta. derweil hatten Gewerkschaften zum Generalstreik gegen seine Politik aufgerufen.
Aus dem Sturm auf das Parlament, den sich manche Gewerkschafter wünschten, wurde am Ende nichts. Auch der Aufruf zum Generalstreik wurde nur in wenigen Betrieben befolgt. Aber immerhin gelang es serbischen Gewerkschaften, in Belgrad eine große Demonstration für Arbeitnehmerrechte zu organisieren. Sie meldeten damit deutlichen Widerstand gegen die Reform des Arbeitsgesetzes und neoliberalen Kahlschlag an.
Gründe für Protest gibt es genug: »Alle Änderungen im neue Arbeitsgesetz gehen zu Lasten der Arbeitnehmer«, erklärte der Vorsitzende des Gewerkschaftsbundes SSSS, Ljubiša Orbović. Der Kündigungsschutz wird aufgeweicht, Arbeitsverhältnisse sollen »flexibler« werden. Gleichzeitig sollen Sozialleistungen abgebaut werden, die reale Lohnkürzungen zu Folge haben. »Serbien soll ein Billiglohnland werden«, beklagte Orbović.
Aber es ist nicht nur die Verschlechterung der Arbeitsverhältnisse, die die Gewerkschaften auf die Barrikaden treibt, sondern auch die Art und Weise, wie sie von der Regierung durchgesetzt wird. Monatelang wurden den Gewerkschaften immer wieder neue Entwürfe der Reformen vorgelegt, um die Positionsfindung zu erschweren. Als die Gewerkschaften Anfang Juli schließlich deutlich machten, dass sie den Änderungen nicht zustimmen würden, suspendierte die Regierung das gesetzlich vorgeschriebene Anhörungsverfahren. Im Eilverfahren wurde das Gesetz am vergangenen Dienstag ins Parlament eingebracht und soll nun durchgesetzt werden.
Premierminister Alexander Vučić von der konservativen Serbischen Fortschrittspartei (SNS) rechtfertigt das autoritäre Vorgehen mit dem Ziel, neue Arbeitsplätze schaffen zu wollen. »Serbien muss ausländische Investitionen anziehen«, heißt sein wirtschaftspolitisches Leitmotiv. Die Reformen machten Serbien »wettbewerbsfähig«. Unterstützung bekommt er dabei vor allem aus dem Ausland. Die Amerikanische Wirtschaftskammer und die regierungsamtliche »Hilfsorganisation« USAID unterstützten die Ausarbeitung des Gesetzes tatkräftig. Der Internationale Währungsfonds (IWF) und die EU-Kommission betrieben Lobbyarbeit. Anfang Juni machte bei einem Besuch Vučićs in Berlin auch Bundeskanzlerin Angela Merkel deutlich, dass sie dessen Reformen unterstütze.
Deregulierung und Flexibilisierung der Arbeitsverhältnisse sind nur ein Teil des neoliberalen Reformprojekts der im März gewählten serbischen Regierung. Vučić will auch ein neues Privatisierungsgesetz und ein neues Insolvenzgesetz durch das Parlament peitschen. Damit soll unter anderem die Abwicklung von 158 staatlichen Unternehmen mit 80 000 Beschäftigten ermöglicht werden. Außerdem sollen im Herbst die Gehälter im Öffentlichen Dienst und die Renten um 15 bis 20 Prozent gesenkt werden.
Der Streik am Donnerstag könnte also nur der Auftakt für weitere Proteste gewesen sein. Die Gewerkschaften stehen aber mit dem Rücken zur Wand. In Serbien sind über 25 Prozent der Bevölkerung offiziell arbeitslos, bei Jugendlichen liegt die Rate bei 50 Prozent. Seit Ausbruch der Wirtschafts- und Finanzkrise 2008 sind die Reallöhne gesunken, sie liegen jetzt im Durchschnitt bei nur wenig über 400 Euro im Monat. Viele Serben arbeiten in der Schattenwirtschaft und verfügen nicht über reguläre Arbeitsverträge.
Nicht nur die schlechte sozio-ökonomische Situation macht es den Gewerkschaften schwer, die Beschäftigten zu organisieren. Sie sind überdies in konkurrierende Dachverbände gespalten, die von Parteien manipuliert werden. Die Anliegen der Gewerkschaften stoßen auf eine Medienblockade. Auch die sonst redseligen liberalen Intellektuellen schweigen, wenn es um soziale Rechte geht.
Die serbische Linke steht nicht besser da. Denn die beiden sich als links bezeichnenden Parteien sind Mitglieder der Regierungskoalition unter Vučić. Der Vorsitzende der Sozialistischen Partei Serbiens (SPS), Ivica Dačić, erklärte, das Arbeitsgesetz müsse durchgesetzt werden, selbst wenn er auf Belgrads Hauptstraße von Protestierenden »verbrannt« würde. Der Vorsitzende der Bewegung der Sozialisten (PS), Alexander Vulin, der sich gern als »kämpferischer Linker« bezeichnet, fungiert gar als Arbeitsminister. Er setzt die neoliberalen Reformen operativ um.
So sind es neben den Gewerkschaften nur die nichtparlamentarischen linken Organisationen, die sich den Protesten anschließen. Unterstützung kommt auch vom Europäischen Gewerkschaftsbund ETUC. Dessen Generalsekretärin Bernadette Ségol unterstützte die Demonstration und rief die Regierung zur Rückkehr an den Verhandlungstisch auf.
* Boris Kanzleiter ist Büroleiter der Rosa-Luxemburg-Stiftung in Belgrad.
Aus: neues deutschland, Freitag 18. Juli 2014
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