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Vucic beherrscht Serbiens politische Bühne

Chef der Fortschrittspartei will Ministerpräsident werden

Von Boris Kanzleiter, Belgrad *

In Serbien wurden für den 16. März vorzeitige Parlamentswahlen anberaumt. Der zum Pro-Europäer gewandelte ehemalige Führer der Rechtsextremisten, Aleksandar Vučić, will Regierungschef werden.

Er dominiert auch heute schon die politische Bühne in Serbien. Aleksandar Vučić ist bisher zwar nur stellvertretender Regierungschef, aber er ist allgegenwärtig. Vučić lässt in spektakulären Razzien korrupte Geschäftsleute verhaften, verhandelt mit arabischen Ölscheichs über Direktinvestitionen und rettet vor laufenden Kameras Kinder aus Schneewehen. Gleichzeitig ist Vučić der Joker bei den Verhandlungen mit der Europäischen Union. Brüssel schätzt ihn, weil er »liefert, was er verspricht«, wie ein Diplomat aus der EU-Kommission sagt.

Jetzt will der 43-jährige Vorsitzende der Serbischen Fortschrittspartei (SNS) seinen bisherigen Koalitionspartner Ivica Dačić von der Sozialistischen Partei (SPS) aus dem Amt des Ministerpräsidenten verdrängen und hat Neuwahlen durchgesetzt. Schon bei den vergangenen Wahlen im Mai 2012 schnitt Vučićs Fortschrittspartei deutlich besser ab als Dačićs Sozialisten. Damals wollte die Koalition aber den Westen nicht zu sehr erschrecken und stellte Dačić an die Spitze. Vučić galt vor zwei Jahren noch als radikaler Nationalist. Ein Image, das er mittlerweile abgelegt hat.

Vučićs Chancen stehen gut. Nach Meinungsumfragen wird die SNS bei den Wahlen am 16. März mit über 40 Prozent und großem Abstand zur stärksten Kraft in der neuen Skupština, dem serbischen Parlament, avancieren. Die Stärke der Fortschrittspartei ist vor allem die Schwäche der anderen politischen Kräfte. Am besten hält sich noch die Sozialistische Partei. Sie kann mit 13 Prozent rechnen.

Das Lager der liberalen Kräfte ist dagegen hoffnungslos zerstritten. Die einst mächtige Demokratische Partei (DS) wird nur noch mit sieben Prozent gehandelt. Mit einem ähnlich mageren Resultat können die von der DS abgespaltene Neue Demokratische Partei (NDS) unter dem ehemaligen Präsidenten Boris Tadić und die nationalistische Demokratische Partei Serbiens (DSS) von Vojislav Koštunica rechnen. Chancen, die Fünf-Prozent-Hürde zu überspringen, hat auch die neoliberale Liberaldemokratische Partei (LDP).

Aleksandar Vučić steht damit vor dem größten Triumph seiner bemerkenswerten politischen Karriere. 1993 wurde er als nur 24-jähriger Heißsporn von Paramilitärführer Vojislav Šešelj zum Generalsekretär der rechtsextremistischen Serbischen Radikalen Partei (SRS) ernannt. Unter Slobodan Milošević war er Informationsminister. Zur großen Wende kam es 2008. Vučić überwarf sich mit Šešelj. Zusammen mit Tomislav Nikolić gründeten die beiden bekanntesten »Radikalen« die neue Serbische Fortschrittspartei. Nikolić wurde 2012 in Direktwahl zum Präsidenten gewählt.

Vučić ist ein Meister der politischen Kommunikation. Während im Nachbarland Bosnien-Herzegowina ein sozialrevolutionärer Volksaufstand die politische Kaste zum Zittern bringt, hat er es geschafft, die auch in Serbien verbreitete Unzufriedenheit mit der desaströsen sozialen Lage für sich zu kanalisieren. Möglich wurde das durch eine geschickt inszenierte Kampagne gegen die »organisierte Kriminalität« und die mafiösen »Tycoons«. Die SNS hat sich so an die Spitze der unartikulierten Proteststimmung gesetzt und sie damit politisch neutralisiert.

Gleichzeitig haben Vučić und Nikolić den Gewalt propagierenden Extremismus der 90er Jahre abgeworfen, als habe er nie existiert. Mit den Erzfeinden aus dem Westen verbindet sie heute nur noch Freundlichkeit. Vučić hat den Italiener Franco Frattini, der als neuer NATO-Generalsekretär gehandelt wird, zum Chefberater ernannt. In Bezug auf den Kosovo-Konflikt zeigt die SNS eine Flexibilität, die man selbst von liberalen Kräften in Serbien kaum erwartet hätte. Die Europäische Union belohnte den Kosovo-Kompromiss im Januar mit dem Beginn der Beitrittsverhandlungen. Es ist ein Paradox: Die Kräfte, die in den 90er Jahren Krieg führten, sind heute Stabilitätsgaranten.

* Boris Kanzleiter ist Chef des Büros der Rosa-Luxemburg-Stiftung für Südosteuropa in Belgrad.

Aus: neues deutschland, Dienstag, 25. Februar 2014



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