Urteil des Verfassungsgerichts in Kosovo führt in die Sackgasse
Dank seiner juristischen Hilfstruppen könnte der abgewählte Regierungschef Hashim Thaci an der Macht bleiben
Von Thomas Roser, Belgrad *
Nach dem umstrittenen Urteil des Verfassungsgerichts, das die Wahl von Oppositionschef Isa Mustafa zum Parlamentschef für nichtig erklärte, droht in Pristina eine Verlängerung der politischen Agonie.
Die Wahl hat er verloren. Aber dank seiner juristischen Hilfstruppen darf sich der an seinem Amt klebende Hashim Thaci in Kosovo doch noch als Sieger fühlen. Das umstrittene Urteil des Verfassungsgerichts, das die vermeintlich verfassungswidrige Wahl von Oppositionschef Isa Mustafa zum Parlamentsvorsitzenden Mitte Juli in der vergangenen Woche für »null und nichtig« erklärte, öffne den »Weg zur Etablierung der neuen Institutionen nach den Willen des Volkes«, jubilierte am Wochenende der bisherige Premier Thaci. Er rufe alle Parteien auf, die Entscheidung zu »akzeptieren«. Zwar hat der 46-jährige Vormann der bislang regierenden PDK bei dem von seinen Gefolgsleuten kontrollierten Gerichtshof erfolgreich die Ansprüche seiner Partei eingeklagt, als stärkste Fraktion auch den Parlamentschef zu stellen. Doch wie die PDK, die bei den vorgezogenen Wahlen im Juni nur auf etwas mehr als 30 Prozent kam, nun eine neue Regierungsmission ohne mehrheitsfähige Partner durchsetzen will, ist völlig schleierhaft.
In einer ersten Stellungnahme des Oppositionsbündnisses aus Mustafas LDK, der Partei von Premiersanwärter Ramush Haradinaj (AKK) und der von der Thaci-Partei abgespaltenen Nisma bekräftigte der abservierte Parlamentschef noch einmal, dass das Urteil des Verfassungsgerichts die Wahlgewinner nicht zu Verlierern machen könne: »Die Gewinner sind die, die über die Mehrheit im Parlament verfügen.«
Doch eine Parlamentsmehrheit scheint in Kosovo zum Regieren nicht genug. Tatsächlich dürfte das Skandalurteil, das die erst Anfang Juni gewählten Volksvertreter zur vermutlich vergeblichen Wiederholung ihrer konstituierenden Sitzung verdammt, die politische Agonie in Pristina nur verlängern – selbst nach neuerlichen Parlamentswahlen. Denn auch die dürften die politischen Kräfteverhältnisse in dem bitterarmen Balkanstaat kaum wesentlich ändern.
Dem angeschlagenen Staatenneuling droht durch die anhaltende Selbstblockade zur Verärgerung seiner Schutzmächte eine politische Hängepartie. Da der von der LDK geführte Oppositionsblock vermutlich als gemeinsame Listenverbindung in etwaige Neuwahlen ziehen dürfte, um sich den Status der stärksten Fraktion zu sichern, scheint Thaci vor allem auf Zeit zu spielen und dabei auf eine Erosion der Oppositionsreihen zu setzen. Sollte er die Abgeordneten der nationalen Minderheiten auf seine Seite ziehen, könnte ihm am Ende eine Handvoll Überläufer für eine neue, allerdings keineswegs solide Mehrheit genügen.
Einige Medien in Pristina spekulierten jetzt bereits über den möglichen »Kauf« von Volksvertretern. Die engen Kontakte der regierenden PDK zur organisierten Kriminalität seien der Grund, warum sie »den Staat nicht loslassen« wolle, kritisierte der stellvertretende AAK-Chef Ardian Gjini. Vertreter der internationalen Gemeinschaft, die vor allem über Thaci verärgert sein sollen, enthielten sich bisher zwar jeden Kommentars zum Urteil des Verfassungsgerichts. Doch Ian Cliff, der britische Botschafter in Pristina, hat die Abgeordneten der serbischen Minderheit in einem Interview bereits davor gewarnt, sich als Zünglein an der Waage instrumentalisieren zu lassen. Ihr Regierungseintritt wäre zwar zu begrüßen, aber es wäre »nicht gut«, falls sie zum entscheidenden Faktor für die künftige Regierung in Kosovo werden sollten.
* Aus: neues deutschland, Dienstag 26. August 2014
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