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Sieger Thaçi hat noch nicht gewonnen

Kosovos Premier steht unter Verbrechensverdacht, hält jedoch wieder einmal die stärksten Trümpfe in der Hand

Von Thomas Roser, Belgrad *

Bei Kosovos vorgezogenen Parlamentswahlen hat sich die regierende PDK als stärkste Partei behauptet. Premier Hashim Thaçi braucht aber Umfaller, die ihm die Amtsverlängerung ermöglichen.

Zumindest der Zählsieger von Kosovos Parlamentswahl sieht Grund zur Zufriedenheit. »Die Demokratie in Kosovo funktioniert«, freute sich Premierminister Hashim Thaçi trotz kläglicher Wahlbeteiligung von 43 Prozent über den relativ ruhigen Verlauf des vorgezogenen Urnengangs, der »den Standard friedlicher skandinavischer Wahlen« erreicht habe: »Der Staat und die Bürger Kosovos haben gesiegt.« Thaçi fühlte sich und seine Demokratische Partei (PDK) trotz leichter Verluste mit 31 Prozent der Stimmen bestätigt. 200 000 neue Arbeitsplätze hatte er den Kosovaren versprochen.

Tatsächlich könnte der 46-jährige ehemalige Kommandant der »Befreiungsarmee« UCK seine Amtsverlängerung schneller erwirken als vor dem 8. Juni erwartet. Im Wahlkampf hatten alle Oppositionsparteien ein Bündnis mit dem seit 2008 regierenden Thaçi ausgeschlossen. Doch schon am Tag nach der Wahl klangen andere Töne durch. Die Allianz für die Zukunft Kosovos (AAK) unter Ramush Haradinaj, die auf knapp 10 Prozent kam, sonderte eine windelweiche Erklärung zum erfolgreichen Ablauf der Wahl ab. Und Fatmir Limaj, Chef der Initiative für Kosovo (NK), ließ die Möglichkeit einer Koalition auffällig offen. Dabei hatte sich die NK erst im Februar von der PDK abgespalten. Auf Anhieb übersprang sie knapp die 5-Prozent-Hürde. »Die Regierungsteilnahme ist wichtiger als persönliche Animositäten oder Absichtserklärungen«, erklärte dazu Leon Malazogu, Direktor eines Politikforschungsinstituts in Priština.

Eine Koalition der PDK mit der zweitstärksten Partei, der Demokratischen Liga Kosovos (LDK) unter Isa Mustafa, die mit 26 Prozent leicht zulegte, gilt dagegen als unwahrscheinlich. In der Wahlnacht zeugten handgreifliche Auseinandersetzungen zwischen LDK- und PDK-Anhängern in Priština von der tiefen Kluft zwischen den Parteien, die Kosovo zwischen 2008 und 2010 gemeinsam, aber keineswegs immer einig regiert hatten.

Die drittgrößte Partei Vetevendosjë (Selbstbestimmung), die mit 13,6 Prozent ihren Stimmenanteil leicht ausbauen konnte, will auf keinen Fall mit der PDK ins Koalitionsbett steigen. Shpend Ahmeti, Vetevendosjë- Bürgermeister von Priština, rief die anderen Parteien am Montag dazu auf, das im Wahlkampf gelobte »Nein« zu Thaçis PDK nicht zu brechen: »Wenn sich alle Oppositionsparteien treu bleiben, wird die PDK nicht in der Lage sein, die Regierung zu bilden.«

Doch sein Appell findet wenig Gehör: Nach der Wahl scheint die Front der Verweigerer zu bröckeln. Obwohl sein bisheriger Koalitionspartner, die Allianz Neues Kosovo (AKR) des Millionärs Behgjet Pacolli, mit nur 4,7 Prozent aus dem Parlament gepoltert ist, hat der PDK-Chef dank der uneinigen Opposition die besten Trümpfe in der Hand. Gewonnen hat Thaçi das Tauziehen aber noch nicht.

Sollte er ein Regierungsbündnis mit AAK, NK und dem Großteil der Minderheitenparteien schmieden, könnte er auf etwa 66 der 120 Parlamentarier bauen. Thaçi hält eine Regierungsbildung vor dem Sommer »für keineswegs mehr ausgeschlossen«.

Unter Kosovos Serben lag die Wahlbeteiligung nur bei 33 Prozent. Bis zuletzt hatte die Belgrader Regierung ihre Empfehlung zur Stimmabgabe hinausgezögert. Die Serbische Liste kam schließlich auf 4,2 Prozent der Stimmen. Zehn Sitze sind den Serben ohnehin reserviert.

Gefahr droht Thaçi von anderer Seite: Ein Sondergericht in Den Haag soll unter anderem den Vorwurf des Organhandels während des Bürgerkriegs in den 90ern aufarbeiten. Auf der Liste der Beschuldigten steht auch Thaçi. Was geschieht, wenn EU-Polizisten kosovarische Spitzenpolitiker verhaften? Andererseits: Auch Ramush Haradinaj und Fatmir Limaj sind einer Bestrafung trotz schwerer Verbrechensvorwürfe stets entgangen.

* Aus: neues deutschland, Mittwoch 11. Juni 2014


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