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Boris Tadic macht das Rennen in Serbien

Bei den Präsidentschaftswahlen setzt sich der "prowestliche" Amtsinhaber durch

Von Boris Kanzleiter, Belgrad *

In einem harten Rennen um die Präsidentschaft Serbiens setzte sich am Sonntag Amtsinhaber Boris Tadic von der Demokratischen Partei (DS) gegen den Nationalisten Tomislav Nikolic von der Serbischen Radikalen Partei (SRS) durch. Die politischen Turbulenzen sind damit aber nicht beendet. Albanische Nationalisten kündigen die baldige einseitige Unabhängigkeitserklärung Kosovos an.

Es war ein letzter Moment der Ungewissheit. Um 22.15 Uhr trat Tomislav Nikolic im Hauptquartier der Radikalen vor die Presse. »Ich gratuliere dem Sieger Boris Tadic«, sagte Nikolic ruhig. Bei seinen Anhängern machte sich Enttäuschung breit. Noch eine halbe Stunde zuvor hatte ein Sprecher der SRS den Hochrechnungen der Fernsehsender widersprochen und verlautbart, der Kandidat der Radikalen liege vorne. Doch die Glückwünsche machten klar, dass Nikolic das Resultat ohne Proteste anerkennen würde. »Ich wünsche, dass alles friedlich bleibt heute Nacht«, fügte er hinzu. Befürchtete Auseinandersetzungen zwischen Anhängern der beiden Kandidaten auf den Straßen der Hauptstadt blieben aus.

Laut dem vorläufigen Endergebnis liegt Boris Tadic mit 50,6 Prozent fast drei Prozentpunkte vor Nikolic, der 47,7 Prozent der Wähler überzeugen konnte. Ein Kommentator der liberalen Tageszeitung »Danas« sieht den Erfolg des 50-jährigen Psychologen als einen »Sieg für das europäische Serbien«. Tadic hatte die schnelle Integration Serbiens in die EU-Strukturen zum Hauptthema im Wahlkampf gemacht.

Ganz anders interpretieren dagegen die Radikalen das Ergebnis. »Die Angst hat noch einmal gesiegt«, kommentierte Nikolic in der Wahlnacht. Er macht eine Negativkampagne Tadics für seine Niederlage verantwortlich. In Wahl-spots hatte die DS in der Schlussphase des Wahlkampfes schockierende Bilder aus Kriegeszeiten gezeigt und vor einer »Rückkehr in der 90er Jahre« gewarnt, falls Nikolic gewinne.

Wochenlang waren die Wahlen von vielen ausländischen Medien zu einer »Entscheidung zwischen dem Westen und Russland« erklärt worden. Viele serbische Beobachter halten diese Einschätzung dagegen für fragwürdig. Der Soziologe Milan Nikolic weist darauf hin, dass auch Tomislav Nikolic eine Mitgliedschaft Serbiens in der EU grundsätzlich befürworte. Tadic andererseits hat im Wahlkampf nicht zuletzt durch seinen Besuch bei Russlands Präsident Wladimir Putin gepunktet. Am 25. Januar hatten serbische Regierungsfunktionäre in Moskau ein Abkommen unterzeichnet, das Serbien eine zentrale Rolle bei der Energieversorgung Europas mit russischem Erdöl und Gas sichert. Tadic betonte im Wahlkampf, dass die von Serbien angestrebte Mitgliedschaft in der EU nicht im Gegensatz zu einer engen Anbindung an Russland stehe.

Die eigentliche Bedeutung der Wahlen könnte dagegen auf einer innenpolitischen Ebene liegen. Der Politologe Dusan Pavlovic analysiert, dass die Radikalen trotz ihrer knappen Niederlage die Frage der »sozialen Gerechtigkeit« zu einem Hauptthema der politischen Auseinandersetzungen in Serbien gemacht haben. Nikolic hatte auf seinen Kundgebungen Arbeitslosigkeit, Armut und negative Folgen von Privatisierungen in den Mittelpunkt gestellt. Pavlovic, ein bekannter Professor an der Belgrader Universität, ist überzeugt, dass die »soziale Frage« in Zukunft die politische Landschaft in Serbien bestimmen werde.

In den kommenden Wochen wird voraussichtlich aber noch einmal der ungelöste Kosovo-Konflikt im Mittelpunkt stehen. Der ehemalige UCK-Kommandant und neu gewählte Chef der Übergangsregierung Kosovos, Hashim Thaci, kündigte kurz nach Bekanntgabe der Wahlergebnisse in Belgrad eine baldige Unabhängigkeitserklärung der mehrheitlich von Albanern bewohnten südserbischen Provinz an. Kosovos Parlamentspräsident Jakup Krasniqi sagte in Pristina, dies werde noch im Februar geschehen, der Zeitpunkt sei mit den USA und der EU als den »Verbündeten« der Kosovo-Albaner abgestimmt.

Boris Tadic machte in der Wahlnacht dagegen klar, dass er weiter für den Verbleib Kosovos bei Serbien kämpfen wolle. Eine einseitige Unabhängigkeitserklärung ohne die Unterstützung des UN-Sicherheitsrates und der serbischen Regierung erklärte Tadic für »illegal«. Nebelhaft bleibt nur, was er dagegen unternehmen will.

* Aus: Neues Deutschland, 5. Februar 2008

"Respekt" für Serbien

Von Detlef D. Pries

Angeblich hatte Serbien am Sonntag die Wahl zwischen Europa und Isolation. Wobei letztere mit einer engeren Bindung an Russland gleichgesetzt wurde. Jetzt ist der Jubel groß, dass die Serben sich – knapp – für »Europa« entschieden haben. »Das war ein Sieg für die Demokratie«, freut sich EU-Kommissionspräsident José Manuel Barroso. Merke: Demokratie ist, wenn Drohungen und Versprechungen aus Brüssel ihre Wirkung tun, Isolation dagegen, wenn sich ein Staat dem »strategischen Partner« der EU nähert – als solcher gilt Russland immerhin laut politischen Sonntagsreden.

Das Ziel des »europäischen Weges« bleibt jedoch absichtsvoll im Nebel. Eine klare EU-Beitrittsperspektive hat Serbien nicht. Freihandel und Reiseerleichterungen wurden den Serben als Köder hingeworfen, weil Washington und Brüssel endlich die völkerrechtswidrige Abspaltung der Provinz Kosovo durchziehen wollen. Vom »prowestlichen« Boris Tadic erwarten sie keinen größeren Widerstand dagegen, mag der auch tönen, er werde die »Landsleute in Kosovo niemals fallen lassen« und »Respekt« für Serbien fordern. Seine Paten in USA und EU stimmen derweil mit den Albanern in Pristina gerade den Termin für deren einseitige Separation ab.

Die serbische Gesellschaft wird sich ins »Unvermeidliche« schicken müssen. Aber sie wird tief gespalten bleiben, und vergessen wird sie's »Europa« auch nicht.

Aus: Neues Deutschland, 5. Februar 2008 (Kommentar)


Sieg der Angst

Serbien nach der Präsidentschaftswahl

Von Cathrin Schütz, z. Zt. Belgrad

Im Zentrum der Stichwahl zur serbischen Präsidentschaft ging es um eine Grundsatzfrage. Wird sich Serbien auch künftig bedingungslos der EU annähern? Für diesen Kurs stand Amtsinhaber Boris Tadic von der Demokratischen Partei (DS). Oder strebt Belgrad verstärkt nach einer strategischen Partnerschaft mit Rußland? Für diese Position trat sein Herausforderer Tomislav Nikolic von der Serbischen Radikalen Partei (SRS) ein. Dabei orientiert Tadic selbst dann auf eine serbische EU-Mitgliedschaft, wenn Brüssel ein von albanischen Separatisten ausgerufenes unabhängiges Kosovo anerkennt – ein Vorgang, wie in der Geschichte der Diplomatie seit München 1938 nicht mehr geschehen. Nikolic dagegen sah im heutigen Rußland einen Partner bei der Verteidigung der nationalen Rechte.

Der prowestliche Tadic hat die Stichwahl knapp gewonnen. Dieses geschah dank der gleichen propagandistischen Mittel, die schon im Oktober 2000 halfen, den Sturz von Slobodan Milosevic, des damaligen Präsidenten, herbeizuführen. Seinerzeit wurden militärische Aggression wie auch Sanktionen gegen Serbien zu einer Folgewirkung »selbstverschuldeter Isolation« erklärt. Diesmal stützte Tadic seinen Wahlkampf auf Drohungen und dunkle Verheißungen: Warnungen vor einer Wiederkehr der »Isolation« - und damit auch vor neuen Schikanen der westlichen »Partner« für den Fall, daß sein Gegner gewinnen sollte. Verschwiegen wurde dabei freilich stets, daß Serbien dank des erstarkten Rußland einer aggressiven westlichen Politik nicht mehr so schutzlos ausgeliefert wäre wie noch vor Jahren.

Auch auf althergebrachte Tricks wurde im Wahlkampf nicht verzichtet. Dazu zählt die Verlautbarung kosovo-albanischer Regierungskreise, auf einen Wahlsieg Nikolics mit der unmittelbaren Verkündung der Unabhängigkeit zu reagieren, dieses jedoch bei einem Tadic-Erfolg zu überdenken. Originell war auch der Einfall der Veranstalter eines großen Festivals, den mehrheitlich an der westlichen Kultur orientierten jugendlichen Besuchern am Sonntag den Eintritt zu einem Konzert ohne den Nachweis der Stimmabgabe zu verwehren.

Der nur knappe Wahlsieg wird die Handlungsfreiheit des alten und neuen Präsidenten bei der Durchsetzung seiner Pläne beschränken. Bereits Nikolics Vorsprung in der ersten Wahlrunde veranlaßte Tadic, auf die prorussische Stimmung im Land zu reagieren, indem er – sehr zum Verdruß seiner Freunde in der EU –ein weitreichendes Gasabkommen mit Rußland schloß. Wenn die Lostrennung Kosovos mit EU-Unterstützung bald Realität ist, wird sein Rückhalt in der Bevölkerung noch weiter schwinden. Vorerst hat die Angst vor westlicher Rache die Wahl noch einmal entschieden. Doch es ist unverkennbar, daß die serbische Bevölkerung in die Offensive geht. Erstmals seit der Präsidentschaft Milosevics stimmte fast die Hälfte der Wähler für einen Kandidaten, der sich dem Diktat des Westens widersetzt.

Aus: junge Welt. 5. Februar 2008 (Kommentar)




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