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Knapper Sieg für Rechte in Serbien

"Fortschrittspartei" gewinnt Parlamentswahlen. Präsidentenstichwahl am 20. Mai

Von Zoran Sergievski *

Eine Flucht nach vorn sollte es werden, als Boris Tadic von der Demokratischen Partei (DS) Anfang April als Präsident Serbiens zurücktrat. Regulär hätte die Abstimmung erst im Herbst stattfinden sollen. Offiziell wollte Tadic unnötige Verzögerungen und Kosten durch die Zusammenlegung mit den Kommunal- und Parlamentswahlen vermeiden. Die Opposition wertete den Abgang als taktisches Manöver. Die Kampagne der DS-Liste »Wahl für ein besseres Leben« war von sozial- und europapolitischen Inhalten geprägt. Bei einer Arbeitslosenquote von 25 Prozent würde nur der Weg nach Brüssel wirtschaftliche Stabilität bringen. Tadic warb unter anderem mit dem Satz, daß die Wähler sich für jene entscheiden sollten, welche »schon immer für ein Serbien in der EU eingetreten« seien. Denjenigen, die erst vor kurzem auf den Zug aufsprangen, sei nicht zu trauen.

Damit verwies er offen auf seinen größten politischen Gegner, Tomislav Nikolic von der rechtspopulistischen Serbischen Fortschrittspartei (SNS). Nikolic hatte im Vorfeld großspurig angekündigt, am Sonntag »endgültig zu siegen«. Es gelang: Laut vorläufigen Hochrechnungen gewann SNS 24,7 Prozent der abgegebenen Stimmen und zieht mit 60 Mandaten in das Parlament ein. Damit liegt die Partei knapp vor der Tadic-Liste, die 23 Prozent (56 Mandate) der Stimmen gewann. Die SNS ist somit die stärkste Fraktion in der Skupstina, der Nationalversammlung Serbiens. Insgesamt traten 18 Parteien und Wahllisten an. Die Kommunalwahlen endeten mit ähnlich knappen Ergebnissen.

Auch die SNS setzte auf eine Wahlliste (»Bewegen wir Serbien«). Auf diese Weise sicherten sich die meist von der DS geführten Regierungen seit der »Wende« von 2000 die Macht. Zuletzt bestand so eine Koalition aus neun Parteien. Die SNS war 2008 aus der nationalistischen Serbischen Radikalen Partei (SRS) hervorgegangen. Letztere verfehlte mit 4,6 Prozent den Wiedereinzug ins Parlament. Sie dürfte die meisten Stimmen an die klerikalfaschistische Sekte Dveri verloren haben. Diese kratzte mit zuletzt 4,7 Prozent an der Fünf-Prozent-Hürde, die für den Einzug in die Skupstina gilt. SRS und Dveri waren die einzigen, welche das Kosovo in ihren Kampagnen zum Thema machten.

Bei der ersten Runde der Präsidentenwahl unterlag Nikolic noch mit 25 Prozent gegenüber Tadic, welcher je nach Quelle 26 bis 28 Prozent der Stimmen gewann. Für die zweite Runde, die am 20. Mai stattfinden soll, prognostizieren Beobachter Nikolic gute Chancen für einen Sieg. Hier wird eine Wahlempfehlung des sozialistischen Innenministers Ivica Dacic ausschlaggebend sein. Dessen Sozialistische Partei (SPS) reüssierte mit überraschenden 16 Prozent bei den Wahlen zur Skupstina. Im Vergleich zur letzten Abstimmung im Jahr 2008 konnten die Stimmen für die Partei damit mehr als verdoppelt werden. Die SPS kommt so auf über 40 Sitze im Parlament. Dies sei »das beste Ergebnis seit dem 5. Oktober 2000« – dem Tag von Milosevics Sturz. Dacic gilt trotz seiner relativ linken Rhetorik als enger Vertrauter Tadics und brachte sich schon als neuer Regierungschef ins Spiel: »Es ist klar, wer Premier wird«, so der Minister.

Insgesamt waren über 6,7 Millionen Wahlberechtigte zur Stimmabgabe aufgerufen. Die Wahlbeteiligung lag bei etwa 59 Prozent, was einen minimalen Rückgang im Vergleich zu 2008 bedeutet.

* Aus: junge Welt, Dienstag, 8. Mai 2012


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