Dieser Internet-Auftritt kann nach dem Tod des Webmasters, Peter Strutynski, bis auf Weiteres nicht aktualisiert werden. Er steht jedoch weiterhin als Archiv mit Beiträgen aus den Jahren 1996 – 2015 zur Verfügung.

Serbien entschuldigt sich für Srebrenica

Parlamentsresolution vermeidet den Begriff "Völkermord" / Opferangehörige äußern sich beleidigt

Das Parlament der Republik Serbien entschuldigte sich in der Nacht zum Mittwoch (31. März) in einer Resolution für die von Serben im Juli 1995 begangenen Verbrechen an bosnischen Muslimen aus Srebrenica. Die Bezeichnung »Völkermord« wurde in dem Dokument vermieden. Angehörige von Opfern nannten die Entschuldigung daher »bedeutungslos«.

Nach 13-stündiger Debatte stimmten 127 von 173 anwesenden Abgeordneten – insgesamt hat Serbiens Parlament 250 Sitze – für eine Resolution, in der die Gräueltat während des Bürgerkriegs in Bosnien (1992-95) »auf das Schärfste« verurteilt wird. Das Parlament drückte den Familien der Opfer sein Mitgefühl aus und entschuldigte sich dafür, dass Belgrad seinerzeit nicht genug unternommen habe, um das Verbrechen zu verhindern.

Truppen der bosnisch-serbischen Armee und Paramilitärs waren im Juli 1995 in die unter dem Schutz niederländischer UN-Blauhelme stehende muslimische Enklave Srebrenica einmarschiert und hatten mehr als 7000 Männer und Jungen verschleppt. Die meisten wurden in den folgenden Tagen an verschiedenen Orten Bosniens getötet. Der mutmaßliche Hauptverantwortliche, der frühere bosnisch-serbische Armeechef Ratko Mladic, ist bis heute flüchtig.

Das Internationale Jugoslawientribunal (ICTY) und der Internationale Gerichtshof (IGH) in Den Haag hatten das »Massaker von Srebrenica« als einzigen Fall von Völkermord während des Bosnienkrieges bewertet. Der IGH urteilte 2007 zugleich, dass Serbien keine direkte Verantwortung für die Verbrechen trage, die in diesem Krieg begangen wurden. Es müsse sich jedoch eine indirekte Mitverantwortung für die Geschehnisse zurechnen lassen, weil es nicht alle seine Möglichkeiten genutzt habe, um Kriegsverbrechen und Völkermord zu unterbinden.

Die von der serbischen Regierung – einer Koalition von Demokratischer und Sozialistischer Partei – eingebrachte Resolution vermeidet das Wort »Völkermord«. Andernfalls wäre die Mehrheit für den Beschluss kaum zustande gekommen. Ohnedies kritisierte die Opposition, dass der Text der gesamten serbischen Bevölkerung die Schuld an den Morden gebe. Die Serben würden wieder als »ewig Schuldige« angeprangert, der »eigene Staat« werde in den Schmutz gezogen. Die Kritiker hatten verlangt, auch die serbischen Kriegsopfer zu erwähnen. Dies soll nach Berichten serbischer Medien nun in einer weiteren Resolution geschehen. Der sozialistische Innenminister Ivica Dacic kündigte an, diese zweite Resolution werde schnell vom Parlament verabschiedet werden, weil diesmal alle Parteien zustimmten.

Für einige Anhänger der Regierungskoalition ging die Entschuldigung in der Srebrenica-Resolution indessen nicht weit genug. Der Abgeordnete Nenad Canak sagte, es handle sich nur um »die Spitze des Eisbergs der Vergangenheit, der wir uns stellen müssen«. Serbische Menschenrechtler sprachen von einem »Zeichen für Belgrads Entschlossenheit, auf dem europäischen Weg weiterzugehen«. Tatsächlich dient die Resolution nach dem Willen ihrer Initiatoren vor allem der Annäherung Serbiens an die EU. Belgrad will im kommenden Jahr den Status eines Beitrittskandidaten zugesprochen bekommen. So verspricht die Entschließung denn auch eine Fortsetzung der Zusammenarbeit mit dem Internationalen Strafgerichtshof für das ehemalige Jugoslawien. Davon und von einem Erfolg bei der Fahndung nach Ratko Mladic macht die EU Fortschritte im Beitrittsprozess abhängig.

Hinterbliebene der Opfer wiesen die serbische Entschuldigung dagegen als »bedeutungslos« zurück. Da in der Resolution das Wort »Völkermord« fehle, »bedeutet das für uns wirklich nichts«, sagte Hajra Catic, Vorsitzende der »Frauen von Srebrenica« in Sarajevo, »für uns ist das eine Beleidigung und für die Opferfamilien wäre es besser, eine solche Deklaration wäre gar nicht verabschiedet worden.«

* Aus: Neues Deutschland, 1. April 2010

Lesen Sie auch

DECLARATION OF THE NATIONAL ASSEMBLY OF THE REPUBLIC OF SERBIA CONDEMNING THE CRIME IN SREBRENICA
Im Wortlaut: Erklärung des Serbischen Parlaments zu Srebrenica (englisch)




Zurück zur Serbien-Seite

Zur Bosnien-Seite

Zur Jugoslawien-Seite

Zurück zur Homepage