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Der Erpresser

Kosovo: US-Präsident Bush will auf dem Balkan eine erste Front im neuen Kalten Krieg eröffnen und die EU vor sich her treiben

Von Jürgen Elsässer *

"Woher kommen diese Albaner eigentlich?", fragte Otto von Bismarck auf der Berliner Balkankonferenz 1878. "Wir sind eine kleine Fliege, die der ganzen Welt den Magen umdrehen wird", antwortete der türkisch-albanische Diplomat Abdullah Fraseri. Bekanntlich kam es nicht genauso, aber ähnlich: Nicht Albanien, wohl aber eine benachbarte Provinz des Osmanischen Reiches war der Zündfunke für den Ersten Weltkrieg. Deutschland und die anderen Großmächte hatten 1878 einen Formelkompromiss bei der Neuordnung Südosteuropas gefunden: Bosnien sollte de jure weiterhin türkisch bleiben, de facto aber von den Österreichern verwaltet werden. 1908 brach Wien diesen Vertrag und annektierte die Provinz auch de jure. Aus Rache wurde 1914 Thronfolger Franz Ferdinand in Sarajevo erschossen.

Ungefähr 100 Jahre später versuchten es die NATO-Mächte mit einem ähnlichen Formelkompromiss: Nach ihrem Angriffskrieg gegen Jugoslawien 1999 setzten sie im UN-Sicherheitsrat die Resolution 1244 durch, die das Kosovo de jure dem südslawischen Staat beließ, de facto aber der Verwaltung der Vereinten Nationen unterstellte. In der Folge befürworteten die Westmächte jedoch die völlige Abtrennung der Provinz und ihre von der EU kontrollierte Übergabe an die albanische Bevölkerungsmehrheit. Dies wäre völkerrechtlich möglich, sofern entweder Belgrad zustimmt oder wenigstens der Sicherheitsrat eine solche Lösung billigt. Sind beide Bedingungen nicht gegeben, kann sich das Kosovo nur einseitig, also durch einen Akt illegaler Willkür, zu einem selbstständigen Staat erklären. Genau das hat George Bush am Sonntag nach dem G 8-Gipfel bei seinem Besuch in Tirana vorgeschlagen. Es dürfe "keine endlosen Verhandlungen über ein Thema geben, zu dem wir uns bereits eine Meinung gebildet haben." Und weiter: "Eher früher als später muss man sagen: Genug ist genug. Kosovo ist unabhängig."

Das Besondere am Vorstoß des Texaners - er wurde ohne Rückendeckung vorgetragen. In Heiligendamm hatte sich nämlich kein anderes Bild ergeben als bei den Verhandlungen im UN-Sicherheitsrat: Die Großmächte sind zerstritten. Russland lehnt eine Abspaltung des Kosovo gegen den Willen Serbiens strikt ab, weil das ein Exempel für ähnliche Konflikte statuieren würde.

Die Worte des US-Präsidenten in Tirana dürften nun eine Kettenreaktion auslösen: Sollte der neue Staat Kosova in den nächsten Monaten nicht proklamiert werden, wie von Bush angekündigt, werden die Albaner die USA des Verrats bezichtigen. Im Zorn könnten sie das Amselfeld in Brand setzen und - anders als bisher - nicht nur Serben und Roma anzünden, sondern auch NATO- und insbesondere US-Soldaten. Oder - und das ist wahrscheinlicher - Bush hält Wort. Dann müssen die Europäer ihre Schaukelpolitik - Ja zu Amerika, aber auch nicht Nein zu Russland - aufgeben und Farbe bekennen: Wollen sie mit dem Texaner das Völkerrecht brechen oder es mit dem Moskowiter verteidigen? Eine solche Entscheidung zu einem neuen Kalten Krieg jetzt zu erzwingen - und nicht erst in ein paar Jahren, wenn die Stationierung der US-Raketen in Polen und Tschechien ansteht -, dürfte das Kalkül des Bush-Vorstoßes in Tirana gewesen sein.

* Aus: Freitag 24, 15. Juni 2007


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