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Nato hat Ermittlungen zu Organhandel im Kosovo verhindert

Serbische Medien erheben schwere Vorwürfe - Andrej Fedjaschin (RIA Novosti) zu den Hintergründen


Seit längerem wird der kosovarische Ministerpräsident Hashim Thaci, der zur Zeit des NATO-Kriegs gegen Jugoslawien die UCK befehligte, beschuldigt, in Verbrechen der Kosovo-Mafia verstrickt zu sein. Die Vorwürfe richten sich vor allem auf den illegalen Organhandel, an dem Thaci entweder indirekt beteiligt gewesen sein soll oder von dem er zumindest gewusst habe. Westliche Medien halten sich weitgehend bedeckt oder beschuldigen ihrerseits serbische und russische Medien, die Vorwürfe konstruiert zu haben. Die beiden folgenden Artikel habe wir der Russischen Nachrichtenagentur RIA Novosti entnommen.

Serbische Medien: Nato hat Ermittlungen zu Organhandel im Kosovo verhindert *

Die Nato und die UN-Interimsverwaltungsmission UNMIK haben serbischen Medienberichten zufolge die Ermittlungen zum Organhandel im Kosovo unmöglich gemacht.

Das Internationale Kriegsverbrechertribunal für Ex-Jugoslawien (ICTY) habe bereits 2004 Hinweise auf illegale Transplantationen von menschlichen Organen bekommen, habe jedoch „wegen zahlreicher Hindernisse“ nicht dazu ermitteln können, meldete die serbische Agentur Tanjug am Mittwoch (1. Feb.) unter Hinweis auf die damalige ICTY-Chefanklägerin Carla del Ponte.

„Die Nato und die UNMIK haben uns wichtige Unterlagen verweigert, während die Behörden Albaniens uns nicht erlaubt haben, einzureisen und die Gräber zu untersuchen“, wurde Carla del Ponte zitiert.

Del Ponte hatte als eine der ersten auf den illegalen Organhandel im Kosovo verwiesen, der ihr selbst als damalige Chefanklägerin des Internationalen Gerichtshofs in Den Haag (1999-2007) bekannt gewesen sei. In ihrem Buch „La Caccia. Io e i criminali di guerra“ („Die Jagd. Ich und die Kriegsverbrecher“) schrieb Del Ponte 2008, dass Serben entführt und nach Albanien gebracht worden seien, wo ihnen Organe entnommen wurden, die an westliche Kunden verkauft wurden.

Laut Del Ponte konnte sie nichts unternehmen, weil es im Kosovo unmöglich war, Beweise zu sammeln, wo eine Mafia das Sagen gehabt hätten und Zeugen eingeschüchtert worden seien. Selbst die Richter in Den Haag hätten Angst vor den kosovarischen „Freiheitskämpfern“ gehabt. „Ich denke, dass einige Richter des Gerichtshofs für das ehemalige Jugoslawien Angst hatten, dass die Albaner kommen und mit ihnen abrechnen würden“, schrieb Del Ponte.

Im Dezember 2010 legte PACE-Sonderberichterstatter Dick Marty einen Bericht vor, dem zufolge der jetzige kosovarische Ministerpräsident Hashim Thaci Ende der 1990er Jahre Boss einer albanischen Mafia-Gruppierung war, die mit Waffen, Organen und Menschen gehandelt sowie Auftragsmorde verübt haben soll.

Thaci wies alle Anschuldigungen von sich und drohte Berichterstatter Marty mit einer Verleumdungsklage. Die EU-Kommission forderte Marty auf, die monströsen Vorwürfe mit Beweisen zu belegen. Moskau und Belgrad warnten davor, die schweren Anschuldigungen gegen den kosovarischen Premier zu ignorieren. Im Rahmen der EU-Mission im Kosovo (EULEX) ist eine Ermittlungsgruppe mit US-Diplomat John Clint Williamson an den Spitze gebildet worden.

* Aus: Russische Nachrichtenagentur RIA Novosti, 19. Januar 2012


Organhandel und Morde im Kosovo: Moskau sucht Beweise

Von Andrej Fedjaschin, RIA Novosti **

Russlands Außenminister Sergej Lawrow hat am Mittwoch (18. Jan.) versprochen, dass Russland alles daran setzen werde, dass die Ermittlungen zur Teilnahme der kosovarischen Behörden am illegalen Organhandel zu Ende geführt werden.

Obwohl Moskaus Möglichkeiten sehr begrenzt sind, wird der Fall dadurch auf ein neues Niveau gebracht – von der europäischen (EU-Ermittlungen) auf die internationale Ebene. Zudem gibt es unter den Geschädigten auch russische Bürger. Wie Wladimir Markin vom russischen Ermittlungskomitee vor einigen Tagen betonte, verfügt Russland über Aussagen von zwei Russen, die 2008 Opfer der illegalen Transplantationen waren.

Ihnen wurde enorm viel Geld versprochen, wenn sie ihre Nieren verkaufen. Doch sie wurden betrogen und mit wenig Geld nach Hause geschickt. Auch Bürger aus der Türkei, Kasachstan, Moldawien, Aserbaidschan wurden auf betrügerische Weise zum Nierenverkauf gezwungen. Die Dokumente hätten der EU-Rechtsstaatlichkeitsmission im Kosovo (EULEX) bereits in der vergangenen Woche übergeben werden müssen. Doch Verzögerungen verhinderten die Übergabe.

Organspenden-Massaker

Im Herbst wurde ein Gerichtsverfahren gegen die Medicus-Klinik in Pristina eingeleitet. Die Klinik geriet nach der Veröffentlichung des Buches der früheren Chefanklägerin des Internationalen Gerichtshofs in Den Haag, Carla Del Pontem in den Fokus. Das Verfahren gegen die Medicus-Klinik ist nur die Spitze des Eisbergs. Seit Herbst werden ähnliche Fälle aus der zweiten Hälfte der 1990er Jahre vom Sonderermittler der EU-Mission im Kosovo, John Williamson, untersucht, die im Bericht des Europarat-Berichterstatters, Dick Marty, im Dezember 2010 beschrieben wurden.

Im Januar billigte die Parlamentarische Versammlung des Europarates (PACE) eine Sonderresolution zu diesem Dokument und forderte Ermittlungen, die anschließend von der EULEX begonnen wurden. Am 25. Januar 2011 hatte die PACE den Bericht von Dick Marty als offizielles Dokument angenommen. Am 25. oder 26. Januar soll die UN-Versammlung eine Gerichtsverhandlung beginnen. Die Verhandlung wird wohl mehrere Monate dauern. Russlands Unterstützung bei der Suche nach Zeugen ist dringend notwendig, weil diese im Kosovo kaum zu finden sind.

Alles begann während des jugoslawischen Bürgerkriegs und des Kosovo-Konflikts Ende der 1990er Jahre, als die Serben zu Stützpunkten der kosovarischen Befreiungsarmee UCK gebracht wurden, darunter im Nordalbanien. Ihnen wurden dort die Organe herausoperiert.

Laut dem Bericht von Dick Marty könnten 300 Serben Organe entnommen worden sein. Den Serben zufolge handelt es sich um mindestens 2000 Opfer. In Serbien wussten viele bereits in den 1990er Jahren über diese Vorgänge Bescheid. Darüber schrieben Zeitungen in Serbien, in den USA und in Großbritannien.

Doch Ende der 1990er Jahre und am Anfang der 2000er Jahre war es nicht erlaubt, den Serben Glauben zu schenken. Dies hätte das Image der Serben als die Bösewichte auf dem Balkan begraben können. Zudem wurde im Marty-Bericht erwähnt, dass der jetzige Kosovo-Regierungschef Hashim Thaci Boss einer Mafiabande war, die mit Organen und Menschen gehandelt haben soll.

Marty hat seinen Bericht zusammen mit den Experten im Laufe von zwei Jahren erstellt. Im Prinzip fand er nichts neues, sondern sammelte Fakten und Beweise über die Straftaten der albanischen und kosovarischen Mafia. Laut dem Bericht war Thaci der Chef des mächtigsten Clans in der kosovarischen Befreiungsarmee. Zudem wurde bekannt, dass die FBI, CIA und fünf europäische Drogenfahndungsbehörden bereits in den 1990er Jahren gewusst haben, dass Thaci in Verbindung mit dem Drogenhandel steht.

Organspender

Die Ereignisse in den 1990er Jahren und der Medicus-Fall stehen in einem direkten Zusammenhang. Laut vorhandenen Informationen sind illegale Transplantationen bis 2008 durchgeführt worden. Dies kam zufällig ans Licht, als ein Türke am Flughafen Pristina in Ohnmacht fiel. Es stellte sich heraus, dass ihm eine Niere herausoperiert worden war.

Der illegale Organhandel war selbst der damaligen Chefanklägerin des Internationalen Gerichtshofs in Den Haag (1999-2007), Carla Del Ponte, bekannt. Del Ponte hatte Anfang 2008 das Buch „La Caccia. Io e i criminali di guerra“ („Die Jagd. Ich und die Kriegsverbrecher“) veröffentlicht, das später ins Englische und Deutsche übersetzt wurde. Ihr zufolge sollen Serben entführt und nach Albanien gebracht worden sein, wo ihnen die Organe herausgenommen wurden, die an westliche Kunden verkauft wurden.

Laut Del Ponte konnte sie nichts unternehmen, weil es im Kosovo unmöglich ist, Beweise zu sammeln, wo Mafia das Sagen hat und Zeugen eingeschüchtert werden. Selbst die Richter in Den Haag hatten Angst vor den kosovarischen „Freiheitskämpfern“.

„Ich denke, dass einige Richter des Gerichtshofs für das ehemalige Jugoslawien Angst hatten, dass die Albaner kommen und mit ihnen abrechnen werden“, schrieb Del Ponte.

Die Hauptperson im Medicus-Fall, der türkische Chirurg Yusuf Ercin Sönmez, auch als „Dr Frankenstein“ bekannt, wurde am 11. Januar in Istanbul auf Interpol-Haftbefehl festgenommen. Sönmez war bereits Ende der 1990er Jahre wegen illegaler Organverpflanzung von der türkischen Polizei in Gewahrsam genommen worden. Er hinterließ auch Spuren in Aserbaidschan und in der Ukraine. Sönmez landete in Istanbul mit einem Flugzeug aus Baku, um seine Familie zu besuchen.

Laut kosovarischen Gesetzen sind Transplantationen in Privatlliniken streng verboten. Zudem muss daran erinnert werden, dass die illegalen Operationen zu einem Zeitpunkt vorgenommen wurden, als das Kosovo unter UN-Schirmherrschaft stand. Alle Rechtsschutz- und Justizorgane waren von den Beamten der UN-Mission in Kosovo geleitet worden, die von der EULEX-Mission 2008 abgelöst wurden.

Die Medicus-Klinik hatte einen Sonderstatus. Sie befand sich unter der Schirmherrschaft des kosovarischen Gesundheitsministeriums. Die Klinik hatte Lizenzen für Operationen. Die Organe wurden an Patienten aus Kanada, Israel, Polen, Deutschland, den USA und anderen Ländern verkauft. Den Organspendern aus der Türkei, Kasachstan, Moldawien, der Ukraine, Aserbaidschan, Russland wurden zwar 15.000 bis 20.000 Euro versprochen, jedoch nichts gezahlt. Danach wurden die Organe für 80.000 bis 100.000 Euro verkauft. In einem Jahr gab es bis zu 30 Operationen in der Klinik.

Kommt die Wahrheit ans Licht?

Die Liste mit der Lage der Massengräber der Serben und die Adressen der Geheimgefängnisse im Kosovo und in Nordalbanien sind dem Internationalen Gerichtshof in Den Haag bereits 2001 von den serbischen Behörden übergeben worden; zusammen mit einer Vermissten-Liste. Doch nichts wurde unternommen. Es ist zudem fraglich, womit die aktuellen Ermittlungen von Williamson enden.

Das Kosovo ist ein spezielles Gebiet. Dessen Legitimität im europäischen Sinne des Wortes endet hinter den Türen der EULEX-Mission in Pristina. Alles andere verläuft unter Kontrolle der kosovarischen Behörden und Sicherheitsstrukturen, die aus der kosovarischen Befreiungsarmee UCK erwachsen sind. Viele Zeugen, die wagten, sich zu diesem Fall zu äußern, sind spurlos verschwunden.

Der jetzige Zustand des Kosovo kann mit einem Beispiel beschrieben werden. Der Apparat von John Williamson befindet sich nicht im Kosovo, sondern in Brüssel. Williamson selbst besuchte nur einmal Serbien, Kosovo und Albanien. Carla Del Ponte hatte wohl Recht, als sie in ihrem Buch schrieb, dass sich die Richter möglichst weit vom Kosovo aufhalten sollten.

Williamson wird es wohl nicht schaffen, die Faktenlage aus dem Bericht von Dick Marty zu untermauern. Die Stützpunkte und illegale Kliniken in den 1990er Jahren sind von der Bildfläche verschwunden. Zudem ist es mühselig, Zeugen aufzutun.

Es wird auch peinlich sein, wenn sich herausstellt, dass nach dem Kosovo-Konflikt von 1999 eine Verbrechergruppe an die Macht kam, die sich mit der Entführung von Menschen, Organ-, Drogen-, und Waffenhandel befasste.

Die Meinung des Verfassers muss nicht mit der von RIA Novosti übereinstimmen.

** Aus: Russische Nachrichtenagentur RIA Novosti, 19. Januar 2012


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