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"Hier geht es um den Frieden in Europa"

Bundesaußenminister Westerwelle in Kosovo *

Bundesaußenminister Guido Westerwelle hat Serbien und Kosovo zur baldigen Lösung ihres Grenzkonflikts aufgerufen und die Bedeutung des Problems für ganz Europa betont.

»Hier geht es um den Frieden in Europa«, sagte Westerwelle am Donnerstag nach einem Treffen mit dem kosovarischen Ministerpräsidenten Hashim Thaci in Pristina. Die Zeit gewaltsamer Auseinandersetzungen entlang ethnischer Linien in Europa müsse zu Ende sein. »Das ist unser Kernanliegen.« Westerwelle ist der erste hochrangige EU-Politiker, der sich seit der Eskalation des Grenzkonflikts des Balkanlandes mit Serbien ein Bild von der Lage vor Ort macht. Vor zwei Wochen war es zu gewaltsamen Ausschreitungen an zwei Grenzposten gekommen, bei denen ein kosovarischer Polizist getötet wurde. Seitdem kontrolliert die internationale Schutztruppe KFOR die Grenze.

Eine von dem deutschen KFOR-Kommandeur Erhard Bühler vermittelte Übergangslösung in dem Konflikt wird zwar von den Regierungen in Belgrad und Pristina mitgetragen, die serbische Minderheit in Kosovo hat sich aber noch nicht zur Zustimmung durchringen können.

Westerwelle mahnte alle Seiten, auf diesen Kompromiss einzugehen. Europa habe »ein massives Interesse an einer friedlichen und einer kooperativen Entwicklung« in der Region. Der Außenminister wandte sich gegen jede Anzweiflung der bestehenden Grenzen auf dem Balkan. »Wir sind der Überzeugung, dass die Landkarte in dieser Region gezeichnet ist.«

Thaci bedankte sich für die Vermittlung der KFOR in dem Konflikt. Gleichzeitig machte er klar, dass die Auseinandersetzung aus seiner Sicht notwendig war, »um eine neue Realität für die Rechtsstaatlichkeit« zu schaffen. In dem Streit geht es um Handelsblockaden und Zollfragen.

Kosovo ist seit 2008 ein unabhängiger Staat, Serbien will ihn aber unter keinen Umständen anerkennen und die abtrünnige Provinz möglichst wieder eingliedern. Die Bevölkerung in Kosovo ist zu mehr als 90 Prozent albanisch, im Norden des Landes gibt es allerdings eine serbische Mehrheit. Die Regierung in Pristina hat auf dieses Gebiet kaum Einfluss. Sowohl Serbien als auch Kosovo streben in die EU. Serbien hofft, noch in diesem Jahr Kandidatenstatus zu erlangen. In der EU gibt es keine einheitliche Haltung in der Kosovo-Frage. Von den 27 Mitgliedern haben nur 22 die Unabhängigkeit anerkannt, darunter Deutschland. Die unter EU-Vermittlung laufenden Gespräche zwischen Serbien und Kosovo sind auf Eis gelegt.

Westerwelle warb in der kosovarischen Hauptstadt dafür, den Dialog »so schnell wie möglich« wieder aufzunehmen.

In Kosovo schließt Westerwelle seine dreitägige Balkanreise ab. Die ersten Stationen waren Montenegro und Kroatien. Die serbische Hauptstadt Belgrad stand nicht auf seinem Reiseprogramm. Dorthin will Kanzlerin Angela Merkel in zwei Wochen reisen.

* Aus: Neues Deutschland, 12. August 2011


Westerwelles Hegemonie: Biedermann und die Brandstifter

Von Sevim Dagdelen **

Oft wird behauptet, Außenminister Westerwelle wären die Schuhe seines Vorgängers Genscher zu groß. Angesichts der Balkanreise des Liberalen kann man aber jetzt schon sagen: Westerwelle schaut zumindest schon mal, ob sie nicht doch passen. Hatte Genscher Anfang der 90er Jahre mit seiner Anerkennungspolitik gegenüber Slowenien und Kroatien, gegen alle internationale Kritik, die Kriege auf dem Balkan regelrecht mit heraufbeschworen, hört man jetzt von Westerwelle, nachdem mit deutscher Hilfe so viele Grenzen neu gezogen wurden, die territoriale Integrität der Staaten in der Region sei für Deutschland »unverhandelbar«. Ein Zynismus ohnegleichen.

Wieder einmal ist es die deutsche Außenpolitik, die auf dem Balkan vorprescht. Als erster Außenminister nach den schweren Unruhen im Norden des Kosovo, wegen der erneuten Provokationen der kosovo-albanischen Administration mit Hilfe des deutschen NATO-Generals Bühler, besucht Westerwelle die Region. Und er trifft sich mit dem »Regierungs­chef« Hashim Thaci. In einem Bericht des Europarates werden dem früheren UCK-Kommandeur zahlreiche Verbrechen gegen die Menschlichkeit vorgeworfen. Westerwelles politische Gespräche sind ein offener Affront gegen diejenigen EU-Mitgliedstaaten, die die völkerrechtswidrige einseitige Unabhängigkeitserklärung des Kosovo nicht anerkannt haben, wie Zypern, Spanien, Griechenland, Rumänien und die Slowakei. Als Gipfel der Provokationen besucht Westerwelle auch noch einen der umstrittenen Posten im Nordkosovo – an jener »Grenze«, die seine Soldaten schützen, nachdem er an deren Ziehung beteiligt war.

Offensichtlich will Westerwelle damit auch die Politik der Einschüchterung der serbischen Bevölkerung zelebrieren. Sie soll ihren Widerstand gegen NATO und UCK-Administratoren endlich aufgeben und sich in ihr Schicksal fügen. Die Botschaft ist unmißverständlich: Deutschland ist auf dem Balkan wieder die hegemoniale Macht.

In zwei Wochen soll Kanzlerin Merkel bei ihrem Besuch in Belgrad die Serben ins Gebet nehmen. Entweder ihr verzichtet auf das Kosovo oder ihr kommt nicht in die EU, so das Berliner Diktat. Es bleibt abzuwarten, welche Antwort die serbische Regierung dem deutschen Ultimatum geben wird. Eine Zustimmung zu einer derartigen völkerrechts- und europarechtswidrigen Erpressung würde bedeuten, daß Serbien seiner demokratischen Verpflichtung, seine Bürger und sein Territorium im verfassungs- und völkerrechtlichen Sinne zu schützen, nicht nachkommt. Und schlimmer: Es würde den Schlußstein setzen für die deutsche Hegemonie auf dem Balkan. Deutschland hätte erfolgreich eine Politik der Drohungen und Gewalt an die Stelle des Völkerrechts gesetzt.

** Die Autorin ist Mitglied im Auswärtigen Ausschuß des Bundestages und Sprecherin für Internationale Beziehungen der Fraktion Die Linke

Aus: junge Welt, 12. August 2011 (Gastkommentar)



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