Proteste gehören zum Alltag
Wirtschaftliche Krise, schamlose Bereicherung: Am Jahrestag der Unabhängigkeit gibt es nichts zu feiern
Von Hannes Hofbauer *
Am 17. Februar jährt sich zum fünften Mal die einseitige Unabhängigkeitserklärung Kosovos. Zuvor stand das Gebiet ein knappes Jahrzehnt unter UN-Verwaltung, nachdem die NATO 1999 die gewaltsame Abtrennung der mehrheitlich albanisch besiedelten südserbischen Provinz vom damaligen Jugoslawien unterstützt hatte. Umstritten ist die Unabhängigkeit Kosovos nach wie vor, unbestritten bleibt seine
Zum 5. Jahrestag der einseitig ausgerufenen Unabhängigkeit am 17. Februar gibt es in Kosovo nicht viel zu feiern. Selbst hart gesottene albanische Nationalisten sehen ihre Träume in weite Ferne gerückt. Die UN-Resolution 1244, nach der Kosovo ein »integraler Bestandteil Jugoslawiens« bleibt, ist nach wie vor in Kraft, und mit ihr die sogenannte »Statusneutralität« des kleinen Balkanlandes, womit die Weltgemeinschaft ihre Ratlosigkeit in Bezug auf die Lösung der Statusfrage juristisch umschreibt. Immer noch tummeln sich Tausende »Internationale« in allerlei zivilen, rechtlichen und militärischen Missionen und dokumentieren mit dicken Allradautos und fetten Gehältern den kolonialen Charakter ihres Aufenthalts.
Noch nicht einmal eine nationale Telefonvorwahl konnte erreicht werden, weshalb man seit Jahren mit monegassischen Mobiltelefonnummern operiert. Und seit das Parlament in Prishtinë (serbisch Priština) vor eineinhalb Jahren die Einführung von islamischem Religionsunterricht sowie das Tragen von Kopftüchern für Mädchen an den Schulen verboten hat, ist die Zahl der Staaten, die Kosovo anerkennen, sogar zurückgegangen: Das arabische Sultanat Oman interpretierte die religionskritischen Töne offensichtlich als islamfeindlich und zog sein Anerkennungsschreiben »mangels Vollzug«, wie es hieß, zurück.
Protektorat der EU: Zahlen und Fakten
Das Gebiet Kosovos war mehrfach Schauplatz von Unruhen und bewaffneten Konflikten. Albaner beanspruchen als »Urbevölkerung« die ältesten Rechte, Serben betrachten die Region als Wiege ihrer Nation.
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97 (von 193) UN-Mitgliedstaaten sehen in Kosovo einen unabhängigen Staat, selbst innerhalb der EU herrscht in dieser Frage keine Einigkeit. Die größten Probleme liegen jedoch im wirtschaftlichen und sozialen Bereich. Europaweit führend ist das 1,8 Millionen Einwohner zählende Land bei der Arbeitslosigkeit. Offiziell wird sie mit 44 Prozent ausgewiesen, die Gewerkschaft BSPK spricht von 60 Prozent. Die Armutsstatistik folgt dem Befund vom faktisch nicht existierenden Arbeitsmarkt: Jeder sechste Kosovare hat weniger als einen Euro pro Tag zur Verfügung. Arbeiterlöhne liegen zwischen monatlich 200 und 300 Euro, Renten von 50 Euro sind keine Seltenheit. Ohne regelmäßige Überweisungen von Familienmitgliedern aus der kosovarischen Diaspora, die jährlich mit schätzungsweise 500 Millionen Euro zu Buche schlagen, könnten viele Menschen hier nicht überleben.
Proteste gegen Preiserhöhungen und die korrupte politische Elite gehören mittlerweile zum Alltag. Zuletzt waren am 7. Februar wieder knapp 2000 Menschen auf den Straßen, um gegen die Verdoppelung des Strompreises innerhalb eines Jahres zu protestieren. Der einzige Stromversorger des Landes, die KEK, hat unter neuer türkischer Eigentümerschaft die Preisschraube angezogen. Daraufhin versuchten die Demonstranten, die Zentrale des Strommonopolisten zu stürmen, wurden aber - wie schon im Oktober 2012, als 66 Personen verhaftet worden waren - von der Polizei zurückgedrängt.
Der billige Ausverkauf ehemals sozialisierter Betriebe stößt vor allem bei der links-nationalen Gruppe Vetëvendosje (VV - Selbstbestimmung), die bei den vergangenen Wahlen 12,5 Prozent Zustimmung erhielt, auf Widerstand. Zu schamlos und offensichtlich bedienen sich ehemalige Weggefährten aus den Zeiten, in denen gemeinsam Krieg gegen Belgrad geführt wurde, an den wenigen Filetstücken der kosovarischen Wirtschaft.
Die schamlose Bereicherung findet indes nicht nur vermittels mafiotischer Strukturen innerhalb der albanischen Elite statt, sondern auch die Alliierten des Jahres 1999 sind daran beteiligt. So ritterte die US-Firma »Albright Capital Management« der gleichnamigen ehemaligen US-Außenministerin um den Mehrheitsanteil des Post- und Telekomunternehmens PTK und der frühere NATO-Oberkommandierende Wesley Clark hält als Vorsitzender des Konzerns Envidity die Hand über große Kohlevorkommen in Kosovo. Für US-amerikanische Kriegsherren hat sich der Einsatz für Kosovo also auch persönlich gelohnt, die Mehrheit der Kosovaren lebt heute allerdings schlechter als zu jugoslawischen Zeiten.
* Aus: neues deutschland, Freitag, 15. Februar 2013
Mit Sternchen und Fußnote
Noch scheinen die Differenzen zwischen Belgrad und Priština unüberbrückbar zu sein
Von Detlef D. Pries **
Niemals werde Serbien einen unabhängigen
Staat Kosovo anerkennen,
verkünden die Regierenden in Belgrad
seit Jahren – auch nicht im
Tausch für die Aufnahme in die EU.
Den EU-Beitritt hat Belgrad inzwischen
jedoch zur »Priorität« erklärt.
Woraus ein wahrer Eiertanz in der
Kosovo-Frage resultiert.
Als Serbiens ehemaliger Präsident
Boris Tadic im Juli 2012 bei einer
Konferenz im kroatischen Dubrovnik
dem kosovarischen Regierungschef
Hashim Thaci die Hand
gab, erboste sich Ivica Dačić – damals
noch nicht als Ministerpräsident
bestätigt: »Das ist mir ein absolutes
Rätsel.« Wie könne man
einem Mann wie Thaci, der im
Verdacht steht, in den illegalen
Handel mit Organen getöteter Serben
verstrickt zu sein, auf solche
Weise Legitimität zuerkennen!
Inzwischen ist Dačić Regierungschef
und selbst bereits viermal mit
Thaci zusammengetroffen. Unter
Aufsicht der EU-Außenbeauftragten
Catherine Ashton wurden in
Brüssel »Verfahrensfragen« erörtert.
Ein Ergebnis war die Einrichtung
gemeinsamer Kontrollen an
Übergängen zwischen dem serbischen
Kerngebiet und Kosovo, das
laut serbischer Verfassung als
»Autonome Provinz Kosovo und
Metochien« nach wie vor Teil der
Republik Serbien ist. An den
Übergängen – darauf bestand Belgrad
– dürfen keine Symbole der
»Republik Kosovo« gezeigt werden.
Schon vorher war vereinbart
worden, dass Vertreter aus Priština
hinter dem Namensschild »Kosovo*
« (ohne »Republik«) an regionalen
Treffen teilnehmen und
Abkommen unterzeichnen dürfen.
Das Sternchen steht für eine Fußnote,
in der es heißt: »Dieser Name
präjudiziert nicht den Status Kosovos
und steht im Einklang mit
der Resolution 1244 des UN-Sicherheitsrates
und der Meinung
des Internationalen Gerichtshofs
(IGH) über die Unabhängigkeitserklärung
Kosovos.« Während die
Resolution aus dem Jahre 1999
Kosovo als Teil des damaligen Jugoslawiens
bestätigte, interpretierte
der IGH Kosovos Unabhängigkeitserklärung
2010 als nicht
rechtswidrig. Das eine widerspricht
dem anderen.
Am 6. Februar setzten sich in
Brüssel erstmals sogar die Präsidenten
Serbiens und Kosovos, Tomislav
Nikolić und Atifete Jahjaga,
mit Frau Ashton an einen Tisch
(genauer gesagt drei Tische). Jahjaga
ließ keinen Zweifel an ihrer
Auffassung, dass es sich um ein
Treffen der Staatsoberhäupter
zweier »souveräner, unabhängiger
Staaten« handelte. Wogegen
Nikolić bekräftigte: »Kosovo kann
kein unabhängiger Staat sein und
ich verstehe nicht, warum nicht
auch andere Lösungen diskutiert
werden sollten.« Belgrad wäre bereit,
der autonomen Provinz eine
unabhängige Justiz, Präsidentschaft,
Regierung und Parlament
zuzugestehen, verlangt aber auch
weitgehende Autonomie für die
serbischen Gemeinden in Kosovo,
insbesondere die rund 40 000
Serben, die nördlich des Flusses
Ibar und der faktisch geteilten
Stadt Kosovska Mitrovica als kompakte
Gemeinschaft leben. Gerade
dieses Gebiet, in dem Serbien bis
heute Polizei, Justiz und Verwaltung
finanziert, will die Regierung
in Priština aber endlich unter ihre
Kontrolle bringen – und wird darin
von der EU unterstützt.
Serbiens Regierung hat indes
kein wichtigeres Ziel als die EUMitgliedschaft.
Sehnlichst hofft
man in Belgrad, dass die Union im
Juni ein Datum für den Beginn von
Beitrittsverhandlungen nennt. Um
Belgrad zu größeren Zugeständnissen
zu bewegen, lassen die EUGewaltigen
jedoch offen, bis zu
welchem Grad sie die Kosovo-Frage
vorher geklärt sehen wollen.
Dabei erkennen auch die EU-Staaten
Griechenland, Rumänien, Slowakei,
Spanien und Zypern die
Unabhängigkeit Kosovos nicht an.
Ivica Dačić wird sich am 19.
und 20. Februar in Brüssel erneut
mit Hashim Thaci zusammensetzen.
Thema sollen die »parallelen
Institutionen« Serbiens im Norden
Kosovos sein. Die dortigen Serben
hatten in einem Referendum vor
einem Jahr einhellig die Unterordnung
unter die Regierung in Priština
abgelehnt. Nun fürchten sie,
dass sie letztlich doch für die EUBeitrittsverhandlungen
geopfert werden. Dačić dürfe keine weiteren
Zugeständnisse machen, fordert
Krstimir Pantić, der serbische
Bürgermeister von Kosovska Mitrovica.
** Aus: neues deutschland, Freitag, 15. Februar 2013
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