Dieser Internet-Auftritt kann nach dem Tod des Webmasters, Peter Strutynski, bis auf Weiteres nicht aktualisiert werden. Er steht jedoch weiterhin als Archiv mit Beiträgen aus den Jahren 1996 – 2015 zur Verfügung.

Kosovo-Serben nun mit eigenem Parlament

Selbstbewußtsein demonstriert. Perspektivische Rückkehr zu Serbien oder nur ein symbolischer Akt?

Von Cathrin Schütz *

Die Serben im Kosovo haben am Samstag (28. Juni) ihr eigenes Parlament gebildet. Zur konstituierenden Sitzung in Kosovska Mitrovica im Norden des Landes kamen 30 von 45 vorgesehenen Delegierten zusammen. An der Sitzung nahmen auch Minister der scheidenden Regierung Serbiens teil, darunter Kosovo-Minister Slobodan Samaridz. Dieser sagte in einer Rede vor den Abgeordneten, er sei sich sicher, »daß Serbien, der serbische Staat, mit Hilfe dieses Parlaments zum Kosovo zurückkehren« könnte.

Laut einem am Samstag (28. Juni) gefaßten Beschluß soll das Parlament Erklärungen und Resolutionen verabschieden sowie Gesetze vorschlagen, »die für das Leben der Bürger in der Provinz« (im Kosovo) »wichtig sind«. Die Serben des Kosovo demonstrieren mit der Bildung ihrer eigenen Volksvertretung die Ablehnung der Unabhängigkeit des Kosovo. Die Abgeordneten waren am 11. Mai von den Kosovo-Serben gewählt worden. Am Samstag beteiligten sich allerdings lediglich die Parteien der Radikalen, der Demokraten sowie der Sozialisten. Die eindeutig EU-orientierten Gruppierungen entschuldigten ihr Fehlen mit dem Argument, in Belgrad müsse zunächst eine Regierung gebildet werden. Ob der Boykott der EU-Kräfte Auswirkungen auf die zur Koalition in Belgrad entschlossenen Sozialisten des verstorbenen Expräsidenten Slobodan Milosevic haben wird, bleibt abzuwarten.

Die Regierung in Pristina verurteilte die Bildung des Parlaments im unruhigen Norden des Kosovo. Dieser Schritt sei »illegal und inakzeptabel«, sagte Vizekabinettschef Rame Manaj. Das Kosovo hatte im Februar einseitig seine Unabhängigkeit von Belgrad erklärt --ohne völkerrechtliche Legitimation.

Die Gründung der »Assembly of the Union of Municipalities of Kosovo and Metohija« fand symbolträchtig am panslawischen Feiertag Vidovdan (St.-Veits-Tag) statt. Genau vor sieben Jahren war zu Vidovdan Slobodan Milosevic unter Bruch der jugoslawischen Verfassung aus Belgrad nach Den Haag entführt und in Untersuchungshaft genommen worden. Am Vidovdan 1989 hatte Milosevic anläßlich des 600. Jahrestags der Schlacht auf dem Amselfeld die später vielzitierte und häufig falsch interpretierte Rede gehalten, in der er vor einer Zerschlagung Jugoslawiens und einem damit verbundenen Blutvergießen eindringlich gewarnt hatte. Während am Samstag auf dem Amselfeld, das nunmehr kosovo-albanisch kontrolliert wird, 2000 Serben zusammenkamen, wurden im Belgrader Pressezentrum der Nachrichtenagentur Tanjug die soeben erschienenen Bücher mit den gesammelten Reden von Slobodan Milosevic von 1989 bis 2000 vorgestellt.

* Aus: junge Welt, 30. Juni 2008


Kommentar:

Gegenmacht

Serbisches Parlament in Mitrovica

Von Werner Pirker *


In der südserbischen Stadt Mitrovica ist ein Parlament gebildet worden, welches das illegitime Staatsgebilde Kosovo nicht anerkennt und darauf Anspruch erhebt, »die Republik Serbien in der autonomen Provinz Kosovo« zu repräsentieren. Wie Parlamentspräsident Marko Jaksic erklärte, soll die aus 45 Mitgliedern bestehende Nationalversammlung als Gegenkraft zur »Errichtung eines zweiten albanischen Staates auf dem Balkan« in Erscheinung treten. Auch die das eigentliche Machtzentrum in Pristina bildende EU-Rechtsstaatsmission EULEX wird von der Volksvertretung der Kosovo-Serben nicht anerkannt.

Die unter der Vorherrschaft der EU stehende albanische Kosovo-Regierung ist außerstande, sich flächendeckend durchzusetzen. Das auf der Zerstörung der serbischen territorialen Integrität beruhende Abspaltungsprodukt hat seine territoriale Integrität als Provinz bereits eingebüßt.

Am Konstituierungsakt in Mitrovica nahmen der scheidende Kosovo-Minister der Belgrader Regierung, Slobodan Samardzic von der Demokratischen Partei Serbiens (DSS), und Mitglieder der von Slobodan Milosevic gegründeten Sozialistischen Partei Serbiens (SPS) teil, jedoch keine Vertreter der vom serbischen Präsidenten Boris Tadic geführten Demokratischen Partei (DS).

Wollte man daraus auf die Arbeitsteilung der künftigen Koalitionsregierung aus Rechtsliberalen und Sozialisten schließen, dann hätten die Milosevic-Erben für die patriotische Geste zu sorgen, hinter der sich der von den Liberalen betriebene nationale Ausverkauf vollzieht. Ein Ausverkauf, der seine symbolische Verdichtung in der Auslieferung von Slobodan Milosevic nach Den Haag am Jahrestag der serbischen Tragödie auf dem Amselfeld gefunden hat.

Nun könnten die von Ivica Dacic (irre)geführten Sozialisten anführen, daß sie ihre Regierungsbeteiligung als Auftrag zur Verhinderung einer Politik des Ausverkaufs ansehen. Doch dieses Auftrages hat sich die SPS schon entledigt, als sie mit ihrem Seitenwechsel zu den Kräften des nationalen Nihilismus die Bildung einer Regierung der patriotischen Mehrheit verhinderte. Daß sie statt dessen für eine »proeuropäische« Mehrheit sorgte, ist ein Kniefall vor der antiserbischen Allianz. Die Dacic-Partei tritt für die Unterzeichnung des Kooperations- und Stabilisierungsabkommens mit der EU ein, was auf eine Anerkennung des Brüsseler Diktats über das Kosovo hinausläuft. Wie ihr westfinanzierter Koalitionspartner setzt sie auf eine EU-Mitgliedschaft um fast jeden Preis. Doch noch bevor Serbien in der EU ist, ist die EU als illegale Kosovo-Besatzungsmacht bereits in Serbien.

Die Ausrufung einer serbischen Gegenmacht zum Protektoratsregime auf dem Amselfeld zeigt jedoch, daß die Verhältnisse auf dem Balkan von den Westmächten nicht beliebig beherrschbar sind. Das sollte einer Partei, deren früherer Vorsitzender in Den Haag die Grenzen imperialistischer Siegerjustiz aufgezeigt hatte, doch noch bewußt sein.

* Aus: junge Welt, 30. Juni 2008


Zurück zur Serbien-Seite

Zurück zur Homepage