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Die "Unabhängigkeit" des Kosovo ist völkerrechtswidrig und gefährlich - Dringlichkeitssitzung des UN-Sicherheitsrats / Security Council holds emergency talks on Kosovo

Übersicht: Separatistische Bewegungen in Europa - Abchasien und Südossetien wollen sich von Georgien lossagen - Weitere Fälle nicht ausgeschlossen

UNO-Sicherheitsrat ohne Einigung

Von Russland beantragte Dringlichkeitssitzung - Ban Ki Moon sieht Fortdauer von Mandat im Kosovo - Weitere Beratungen am Montag

Nach der Unabhängigkeitserklärung des Kosovo in Pristina hat eine Dringlichkeitssitzung des Weltsicherheitsrates am Sonntag die Meinungsverschiedenheiten der Staatengemeinschaft in dieser Frage offenbart. Während Russland wie Serbien die Unabhängigkeit ablehnt und eine Annullierung der Erklärung forderte, unterstützen die USA, Großbritannien und Frankreich das Vorgehen der Kosovo-Albaner.

Die Sitzung vom Sonntag (17. Februar) wurde von Russland beantragt, das die Unabhängigkeitserklärung als Verstoß gegen eine UN-Resolution von 1999 betrachtet. Damals wurde das Kosovo im Anschluss an den Krieg der NATO unter die Verwaltung der Vereinten Nationen gestellt, aber auch die völkerrechtliche Zugehörigkeit zu Serbien bestätigt.

Weitere Beratungen am Montag

Am Montag wollte das höchste UN-Gremium erneut zu Beratungen zusammenkommen. An der Sitzung werde auch Serbiens Präsident Boris Tadic teilnehmen, kündigte Tschurkin an. Russland lehnt als traditioneller Verbündeter Serbiens die Abspaltung des Kosovos ebenso ab wie China. Beide Länder haben ein Vetorecht im Sicherheitsrat.

UN-Generalsekretär Ban Ki Moon sagte, diese Resolution bleibe weiter in Kraft. Die Vereinten Nationen würden "ihr Mandat im Lichte der sich entwickelnden Umstände weiter erfüllen". Ban rief alle Seiten auf, sich jeglicher Aktionen oder Erklärungen zu enthalten, die den Frieden und die Sicherheit im Kosovo und auf dem Balkan gefährden könnten.

"Gefährlicher Präzedenzfall"

Der russische UN-Botschafter Witali Tschurkin sagte vor Journalisten, seine Regierung sei "sehr besorgt" über die Erklärung des Parlaments in Pristina. Da die UN-Resolution von 1999 weiter Bestand habe, sei es nicht ersichtlich, was die rechtliche Grundlage für die Unabhängigkeitserklärung sein könnte. Moskau sorge sich um die Sicherheit der 120.000 im Kosovo lebenden Serben und anderer Minderheiten. Das Vorgehen des Kosovos schaffe einen gefährlichen Präzedenzfall für separatistische Bewegungen in anderen Regionen der Welt.

Der stellvertretende UN-Botschafter der USA, Alejandro Wolff, sagte, die Situation schaffe keine Präzedenzfall. Die USA sähen keinen Anlass zu besonderer Sorge. Washington begrüße die Zusicherungen der Regierung im Kosovo, dass die religiösen und ethnischen Gemeinschaften respektiert würden.

Die von Georgien abtrünnigen Regionen Abchasien und Südossetien kündigten unterdessen an, dass sie dem Schritt des Kosovo folgen wollen. Positiv reagierten auch die baskische Regionalregierung und die "Union für Südtirol".

Agenturmeldungen vom 17. Februar 2008

Security Council holds emergency talks on Kosovo

17 February 2008 – At the request of the Russian Federation, the United Nations Security Council today held an emergency closed-door session to discuss Kosovo's declaration of independence from Serbia, with a formal meeting slated for Monday.

The Council was briefed today by Secretary-General Ban Ki-moon on the latest developments in Kosovo, the Serbian province run by the UN since Western forces drove out Yugoslav forces amid inter-ethnic fighting in 1999.

Speaking to reporters afterwards, Mr. Ban said he had been informed by his Special Representative and Head of the UN Interim Administration Mission in Kosovo (UNMIK), Joachim Rücker, that the Assembly of Kosovo's Provisional Institutions of Self-Government earlier today adopted a resolution declaring Kosovo's independence.

In addition, the President of Serbia had informed the Secretary-General in a letter that his country had adopted a decision which states that the declaration of independence by Kosovo “represents a forceful and unilateral secession of a part of the territory of the Republic of Serbia and does not produce any legal effect either in the Republic of Serbia or in the international legal order.”

Other than a reported explosion in north Mitrovica, Mr. Ban said the situation in Kosovo remains “calm and no other major incidents are reported.” In addition, Serbian government officials, with the help of UNMIK, are visiting several locations in Kosovo.

The Secretary-General called on all sides “to reaffirm and act upon their commitments to refrain from any actions or statements that could endanger peace, incite violence or jeopardize security in Kosovo and the region.”

Russian Ambassador Vitaly Churkin told reporters that he expected the UN to declare the Kosovo's “unilateral proclamation of independence null and void,” based on existing Security Council resolutions and relevant documents.

“Our concern is for the safety of Serbs and other minorities in Kosovo,” he stated, adding that Russia will “strongly warn against any attempts at repressive measures should Serbs in Kosovo decide not to comply with this unilateral proclamation of independence.”

Tomorrow's meeting comes at the request of Russia and Serbia, and Mr. Churkin said he expects President Boris Tadic of Serbia to participate.

Kosovo's final status has been the subject of months of negotiations led by the troika – comprising the European Union, Russia and the United States – but to no avail. Belgrade and Pristina were unable to reach agreement with the province's Albanian leadership favouring independence while Serbia opposes it.

“Today's events thus represent the conclusion of a status process that has exhausted all avenues in pursuit of a negotiated outcome,” Ambassador Johan Verbeke of Belgium told reporters after the closed-door meeting, adding that “it sets no wider precedent.”

Speaking on behalf of the European Union members of the Council (Belgium, France, Italy and United Kingdom), as well as Croatia, Germany and the United States, he regretted the failure to secure a mutually agreed solution. “But the status quo had become unsustainable and a coordinated and stable process with international support is better than prolonged instability,” he said.

Mr. Verbeke added that European Union foreign ministers will meet tomorrow in Brussels to determine “how to react to today's developments.”

Quelle: Website der Vereinten Nationen; www.un.org

Was sagt das Völkerrecht?

Einseitige Unabhängigkeitserklärung im Spannungsverhältnis zu UNO-Charta und KSZE-Schlussakte

Für das Völkerrecht läutet die Unabhängigkeit der mehrheitlich von Albanern bewohnten Provinz Kosovo eine neue Epoche ein, mutmaßt der Wiener "Standard" in einer Analyse. Um dem Selbstbestimmungsrecht eines Volkes zum Durchbruch zu verhelfen, wird erstmals das Prinzip der territorialen Integrität (Unversehrtheit) eines Staates verletzt. Dieses Prinzip der Weltordnung ist unter anderem in der UNO-Charta (1945) und der Schlussakte der Konferenz für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (KSZE) von 1975 festgeschrieben. Das Selbstbestimmungsrecht der Völker wird in der UNO-Charta als Zielbestimmung erwähnt, aber nicht weiter ausformuliert. Dies geschieht erst in der Resolution 2625 der UNO-Generalversammlung (1970), die jedoch rechtlich nicht bindend ist.

Der "Standard" zitiert die einschlägigen Dokumente:

TERRITORIALE INTEGRITÄT

UNO-Charta, Artikel 2, Absatz 4:
"Alle Mitglieder unterlassen in ihren internationalen Beziehungen jede gegen die territoriale Unversehrtheit oder die politische Unabhängigkeit eines Staates gerichtete oder sonst mit den Zielen der Vereinten Nationen unvereinbare Androhung oder Anwendung von Gewalt."

KSZE-Schlussakte, Artikel 1, Punkt III. (Unverletzlichkeit der Grenzen)
"Die Teilnehmerstaaten betrachten gegenseitig alle ihre Grenzen sowie die Grenzen aller Staaten in Europa als unverletzlich und werden deshalb jetzt und in der Zukunft keinen Anschlag auf diese Grenzen verüben. Dementsprechend werden sie sich auch jeglicher Forderung oder Handlung enthalten, sich eines Teiles oder des gesamten Territoriums irgendeines Teilnehmerstaates zu bemächtigen.

KSZE-Schlussakte, Artikel 1, Punkt IV. (Territoriale Integrität der Staaten)
"Die Teilnehmerstaaten werden die territoriale Integrität eines jeden Teilnehmerstaates achten. Dementsprechend werden sie sich jeder mit den Zielen und Grundsätzen der Charta der Vereinten Nationen unvereinbaren Handlung gegen die territoriale Integrität, politische Unabhängigkeit oder Einheit eines jeden Teilnehmerstaates enthalten, insbesondere jeder derartigen Handlung, die eine Androhung oder Anwendung von Gewalt darstellt. Die Teilnehmerstaaten werden ebenso davon Abstand nehmen, das Territorium eines jeden anderen Teilnehmerstaates zum Gegenstand einer militärischen Besetzung oder anderer direkter oder indirekter Gewaltmaßnahmen unter Verletzung des Völkerrechts oder zum Gegenstand der Aneignung durch solche Maßnahmen oder deren Androhung zu machen. Keine solche Besetzung oder Aneignung wird als rechtmäßig anerkannt werden."

SELBSTBESTIMMUNGSRECHT DER VÖLKER

UNO-Charta, Artikel 1, Absatz 2:
"Die Vereinten Nationen setzen sich folgende Ziele (...): freundschaftliche, auf der Achtung vor dem Grundsatz der Gleichberechtigung und Selbstbestimmung der Völker beruhende Beziehungen zwischen den Nationen zu entwickeln und andere geeignete Maßnahmen zur Festigung des Weltfriedens zu treffen."

Resolution 2625 der UNO-Generalversammlung:
"Jeder Staat hat die Pflicht, sowohl gemeinsam mit anderen Staaten als auch jeder für sich, die Verwirklichung des Grundsatzes der Gleichberechtigung und Selbstbestimmung der Völker im Einklang mit den Bestimmungen der Charta zu fördern und die Vereinten Nationen bei der Erfüllung der ihnen mit der Charta übertragenen Aufgaben hinsichtlich der Anwendung dieses Grundsatzes zu unterstützen, a) um freundschaftliche Beziehungen und Zusammenarbeit zwischen den Staaten zu fördern und b) um dem Kolonialismus unter gebührender Berücksichtigung des frei geäußerten Willens der betroffenen Völker ein rasches Ende zu bereiten, eingedenk dessen, dass die Unterwerfung von Völkern unter fremde Unterjochung, Herrschaft und Ausbeutung eine Verletzung dieses Grundsatzes und eine Verweigerung grundlegender Menschenrechte darstellt und im Widerspruch zur Charta steht."

"Die Gründung eines souveränen und unabhängigen Staates, die freie Assoziation mit einem unabhängigen Staat, die freie Eingliederung in einen solchen Staat oder der Eintritt in einen anderen, durch ein Volk frei bestimmten politischen Status sind Möglichkeiten der Verwirklichung des Selbstbestimmungsrechts durch das betreffende Volk."

"Jeder Staat hat die Pflicht, jede Gewaltmaßnahme zu unterlassen, welche die Völker, auf die sich die Erläuterung dieses Grundsatzes bezieht, ihres Rechts auf Selbstbestimmung, Freiheit und Unabhängigkeit beraubt. Bei ihren Maßnahmen und ihrem Widerstand gegen solche Gewaltmaßnahmen im Bemühen um die Ausübung ihres Selbstbestimmungsrechts sind diese Völker berechtigt, im Einklang mit den Zielen und Grundsätzen der Charta Unterstützung zu suchen und zu erhalten."

Darüber hinaus gilt die Resolution 1244 (1999) des UN-Sicherheitsrats vom 10. Juni 1999:
(...) in Bekräftigung des Bekenntnisses aller Mitgliedstaaten zur Souveränität und territorialen Unversehrtheit der Bundesrepublik Jugoslawien und der anderen Staaten der Region, wie dies in der am 1. August 1975 in Helsinki unterzeichneten Schlußakte der Konferenz über Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa und in Anlage II dieser Resolution zum Ausdruck kommt (...)



Kosovo-Unabhängigkeit und separatistische Bewegungen

Auszüge aus der in Wien erscheinenden Zeitung "Der Standard"

BASKENLAND: Das Baskenland umfasst Gebiete in Nordspanien und dem Südwestzipfel Frankreichs von der Größe Sloweniens (20.664 Quadratkilometer). Von den drei Millionen Einwohnern des Baskenlands (davon 2,5 Millionen in Spanien) sprechen jedoch nur 700.000 bis 800.000 die baskische Sprache. Der bewaffnete Kampf der baskischen Untergrundorganisation ETA für einen unabhängigen Baskenstaat begann in den 1960er Jahren während der faschistischen spanischen Franco-Diktatur. Nach dem Übergang zur Demokratie gaben sich die Separatisten mit der 1979 eingerichteten weitgehenden Autonomie des Baskenlands innerhalb Spaniens nicht zufrieden. Der Kampf der ETA hat bisher mehr als 800 Todesopfer gefordert. Um den Separatisten den Wind aus den Segeln zu nehmen, hat die von gemäßigten Nationalisten geführte baskische Regionalregierung für Oktober 2008 ein Referendum über die Unabhängigkeit der Region angekündigt, doch wurde dieser Plan von Madrid als verfassungswidrig zurückgewiesen. Umfragen zufolge sind die meisten Bewohner für einen Verbleib der Region bei Spanien.

KATALONIEN: Die Region (7,2 Millionen Einwohner, mit 32.114 Quadratkilometer doppelt so groß wie die Steiermark) gilt als Wirtschaftslokomotive Spaniens. 1978 erhielt Katalonien den Autonomiestatus zurück, den es bis ins 18. Jahrhundert innerhalb Spaniens hatte. Trotzdem sehen viele Bewohner der Region ihre Identität bedroht, vor allem wegen des Zuzugs Hunderttausender Bürger aus Südspanien in den vergangenen Jahrzehnten. Die Unabhängigkeitsbestrebungen in Katalonien sind seit dem Regierungseintritt der separatistischen "Republikanischen Linken" (ERC) im Aufwind. Ihr Chef Josep-Lluis Carod-Rovira, der auch Stellvertreter von Regionalpräsident Jose Montilla ist, hat sich erst vor wenigen Monaten für ein Unabhängigkeitsreferendum bis zum Jahr 2014 ausgesprochen. Die katalanische Sprache wird von knapp acht Millionen Menschen in Katalonien, den benachbarten Regionen Valencia und Aragon sowie auf den Balearen, in Südostfrankreich und Andorra gesprochen.

SCHOTTLAND: Seit dem Sieg der separatistischen Schottischen Nationalpartei (SNP) bei der Regionalwahl im Mai 2007 stehen die Zeichen auf eine Unabhängigkeit der von 5,1 Millionen Menschen bewohnten Region, die fast so groß wie Österreich ist (78.772 Quadratkilometer). Die SNP-Regionalregierung hat nämlich für 2011 ein Unabhängigkeitsreferendum versprochen. Vom Rest Großbritanniens unterscheidet sich Schottland durch seine bedeutende katholische Minderheit und den stärker ausgebauten Sozialstaat. Bis 1707 war Schottland ein eigenes Königreich und ein großer Teil der Bevölkerung hat sich nie mit der Vereinigung mit England abgefunden. Der Fund reichhaltiger Ölvorkommen vor der schottischen Küste trug in den vergangenen Jahrzehnten zum Erstarken der Unabhängigkeitsbewegung bei. Als Reaktion darauf gewährte die Labour-Regierung Schottland im Jahr 1997 eine bescheidene Autonomie und setzte ein eigenes Regionalparlament ein.

NORDIRLAND: Der jahrzehntelange blutige Konflikt zwischen pro-britischen Protestanten und den Anschluss an Irland fordernden Katholiken, der 3.500 Todesopfer forderte, wurde im Jahr 1998 mit dem "Karfreitags-Abkommen" grundsätzlich beigelegt. Die politischen Streitigkeiten gingen jedoch weiter und erst im vergangenen Mai gelang es, eine paritätisch besetzte Regionalregierung zu bilden. Bei den Regionalwahlen 2007 gewannen auf beiden Seiten die radikalen Gruppierungen, und die katholische Sinn Fein tritt weiterhin für eine "Wiedervereinigung" der zu Großbritannien gehörenden Region (1,7 Mio. Einwohner, mit 13.843 Quadratkilometer etwas größer als Tirol) mit Irland ein.

FLANDERN: Der bevölkerungsreichere und wohlhabendere der beiden belgischen Landesteile von der Größe Tirols (13.522 Quadratkilometer) strebt schon seit längerem nach mehr Autonomie. Vielen der 6,2 Millionen Flamen sind die milliardenschweren Transferzahlungen für die von hoher Arbeitslosigkeit geprägte französischsprachige Wallonie ein Dorn im Auge. Seit der Parlamentswahl im vergangenen Juni steckt Belgien in einer politischen Krise, weil Wahlsieger Yves Leterme von den flämischen Christdemokraten für seine weitgehenden Autonomiepläne keine Mehrheit findet. Der ausländerfeindliche und rassistische Vlaams Belang fordert daher eine Volksabstimmung über die Unabhängigkeit der Region, die etwas kleiner als die Steiermark ist. Ein Problem ist dabei jedoch der Status der Hauptstadt Brüssel. Sie ist von Flandern umgeben, aber mehrheitlich französischsprachig. Daher kursiert bereits der Vorschlag, die Stadt als Sitz der EU-Institutionen zu einem "District of Europe" nach Vorbild der US-Bundeshauptstadt Washington zu machen.

KORSIKA: Seit mehr als drei Jahrzehnten kämpfen korsische Separatisten für eine Unabhängigkeit der "Insel Napoleons", die seit Mitte des 18. Jahrhundert zu Frankreich gehört. Sie verübten jährlich Hunderte Anschläge gegen Verwaltungsgebäude und Ferienhäuser, was den Tourismus als wichtigsten Erwerbszweig der Insel stark in Mitleidenschaft zog. Daher wird der Separatismus mittlerweile von vier Fünftel der Korsen abgelehnt, und im Jahr 2003 stimmte die Inselbevölkerung sogar mit 51 Prozent gegen ein Autonomiestatut, für das die Pariser Zentralregierung und die Unabhängigkeitskämpfer in seltener Einmütigkeit geworben hatten. Mit 8.680 Quadratkilometer ist Korsika etwa so groß wie Kärnten, hat aber nicht einmal halb so viele Einwohner (281.000). Da Korsika viele Jahrhunderte unter italienischem Einfluss stand, ist die korsische Sprache eng mit dem Italienischen verwandt. Von 1755 bis 1769 war Korsika ein eigenständiger Staat.

NORDZYPERN: Nach jahrelangen ethnischen Spannungen auf der Mittelmeerinsel diente ein von Athen gesteuerter Militärputsch im Jahr 1974 der Türkei als Anlass, den Nordteil der Insel zu besetzen. 160.000 griechische Zyprioten flohen in den Süden, rund 50.000 Türken in den Norden. Etwa 1.800 Menschen kamen ums Leben. Im Jahr 1983 erklärte sich die "Türkische Republik Nordzypern" für unabhängig, doch wurde sie nur von Ankara anerkannt, das 40.000 Soldaten auf der Insel stationiert hat. Mehrere Anläufe zur Wiedervereinigung der beiden Landesteile scheiterten, jüngst 2004, als die griechischen Zyprioten kurz vor dem EU-Beitritt Zyperns einen entsprechenden Plan von UNO-Generalsekretär Kofi Annan ablehnten. Nordzypern ist in Größe und Bevölkerungszahl etwa mit dem Burgenland vergleichbar: 264.000 Menschen leben auf 3.355 Quadratkilometern. Die Türkei soll seit der Invasion schätzungsweise 100.000 Festlandtürken auf der Insel angesiedelt haben. Auf der von UNO-Soldaten überwachten Demarkationslinie zwischen den beiden Inselteilen kam es immer wieder zu gewaltsamen Zwischenfällen.

KURDISTAN: Die Schaffung eines Kurdenstaates war im Friedensvertrag von Sevres (1920) mit dem Osmanischen Reich vorgesehen, doch erreichte die Türkei drei Jahre später eine Revision dieser Bestimmung. Damit sind die 26 Millionen Kurden, deren Siedlungsgebiet sich auf Teile der Türkei, des Irak, des Iran und Syriens erstreckt, immer noch die größte Nation der Welt ohne eigenen Staat. Je nach Definition umfasst Kurdistan 490.000 bis 530.000 Quadratkilometer, was in etwa der Größe Spaniens entspricht. 14 Millionen Kurden leben in der Türkei. Dort hat der Ende der 1980er Jahre von der linksgerichteten Kurdischen Arbeiterpartei (PKK) entfesselte Unabhängigkeitskampf bereits mehr als 30.000 Tote gefordert. Die knapp fünf Millionen Kurden im Irak haben seit dem Ende des ersten Golfkriegs im Jahr 1991 eine Autonomie und seit dem Sturz von Saddam Hussein im Jahr 2003 gelten die Kurdischen Autonomiegebiete als einziges funktionierendes Gemeinwesen des im Chaos versinkenden Irak.

TRANSNISTRIEN: Die mehrheitlich von Slawen bewohnte Region am linken Dnjestr-Ufer hat sich von der rumänischsprachigen Ex-Sowjetrepublik Moldawien losgesagt, nachdem diese im Jahr 1990 die Unabhängigkeit erlangt hatte. Im transnistrischen Unabhängigkeitskampf kamen mehrere Hundert Menschen ums Leben. Nach der Intervention der russischen Armee stimmte Moldawien im Juni 1992 einem Waffenstillstand zu. Die Region von der halben Größe Salzburgs (3.567 Quadratkilometer) hat nur 555.000 Einwohner, beherbergt aber ein Drittel aller Industriebetriebe Moldawiens. Der ungeklärte internationale Status der Region hat dazu beigetragen, dass sie zu einer Drehscheibe für Menschen-, Drogen- und Waffenschmuggel geworden ist. Bei einem international nicht anerkannten Referendum im Oktober 2006 stimmten 97 Prozent der Bürger für einen Anschluss an Russland.

ABCHASIEN: Die autonome georgische Republik sagte sich im Juni 1992 von der Ex-Sowjetrepublik los. Im anschließenden Krieg, in dem sich Russland gegen die georgische Armee stellte, starben rund 7.000 Menschen, mehr als 200.000 Georgier flüchteten aus der Region am Schwarzen Meer. Seit 1994 gilt ein Waffenstillstand, über dessen Einhaltung UNO-Truppen wachen. Mit 8.600 Quadratkilometer ist Abchasien etwas kleiner als Kärnten und hat rund 250.000 Einwohner, knapp die Hälfte davon sind Abchasen.

SÜDOSSETIEN: Die Region südlich des Kaukasus-Hauptkammes sagte sich im Jahr 1990 von Georgien los. Bei von Russland unterstützten Kämpfen mit georgischen Nationalisten starben etwa 2.000 Osseten, 100.000 flüchteten nach Russland. Im Juni 1992 wurde ein Waffenstillstand geschlossen, über den eine 1.500 Mann starke Friedenstruppe wacht. Südossetien ist mit 3.885 Quadratkilometer so groß wie das Burgenland, hat aber nur 75.000 Einwohner. Bei einem international nicht anerkannten Referendum sprachen sich im November 2006 99 Prozent der Südosseten für die Unabhängigkeit von Georgien aus.

NAGORNY-KARABACH: Der älteste Nationalitätenkonflikt der Ex-Sowjetunion ist bereits vor dem Zerfall des Vielvölkerstaates ausgebrochen. Zwischen 1988 und dem Waffenstillstand 1994 starben rund 20.000 Menschen in dem Kampf um das von Armeniern bewohnte Gebiet innerhalb Aserbaidschans. Die Region ist mit 4.400 Quadratkilometern etwas größer als das Burgenland und hat 145.000 Einwohner. Die international nicht anerkannte "Republik Nagorny-Karabach" lehnt sich eng an Armenien an und verwendet unter anderem dessen Währung, den Dram. Die Verhandlungen über eine Lösung des Berg-Karabach-Konflikts zwischen Baku und Eriwan verlaufen seit Jahren im Sande.

TSCHETSCHENIEN: Seit Ende des 18. Jahrhunderts im russischen Einflussgebiet gelegen, lehnten sich die muslimischen Tschetschenen mehrmals gegen Moskau auf, unter anderem im Zweiten Weltkrieg. Während des Zerfalls der Sowjetunion formierte sich eine Unabhängigkeitsbewegung, die ihren Höhepunkt im ersten Tschetschenien-Krieg (1994 bis 1996) erreichte. Schätzungen zufolge kamen in dem blutigen Krieg bis zu 100.000 Menschen ums Leben. 1999 lehnten sich tschetschenische Rebellen erneut gegen Moskau auf, doch wurde ihr Kampf vom damaligen russischen Ministerpräsidenten Wladimir Putin innerhalb weniger Wochen mit eiserner Hand niedergeschlagen. Seitdem ist die Lage in der immer noch kriegszerstörten Region von der Größe der Steiermark (15.300 Quadratkilometer), die von 1,1 Millionen Menschen bewohnt wird, vergleichsweise ruhig.

Nach: Der Standard, 18. Februar 2008


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