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Mitrovica – der gefährlichste Platz Kosovos

Die serbische Enklave im Albanergebiet blickt in eine ungewisse, düstere Zukunft

Von Hannes Hofbauer, Kosovska Mitrovica *

Kosovska Mitrovica ist derzeit der wohl gefährlichste Platz Kosovos. Aus dem Süden der Stadt wurden die letzten serbischen und Roma-Familien vertrieben, ein albanischer Mob wütete unter den Augen der KFOR. Die Brücke über den Fluss Ibar symbolisiert die ethnische Trennung der Stadt. Warnschilder, die das Versammlungsverbot in Erinnerung rufen, und Panzerbesatzungen der KFOR-Truppen geben dem Platz ein martialisches Gepräge. Pkw dürfen diese Zonengrenze nur mit Sondergenehmigung passieren oder müssen genaue Gründe dafür angeben. Zuletzt traf am 26. August 2006 eine vom Süden her abgefeuerte Granate das kleine, am Nordende der Brücke gelegene serbische Café.

Der Ibar, auf Albanisch Ibër, trennt die Stadt Mitrovica mit ihren 115 000 Einwohnern in einen Nord- und einen Südteil. Laut Schätzungen der OSZE leben im Süden 95 000 Albaner. Im kleineren nördlichen Teil drängen sich 20 000 Einwohner, 17 000 sind Serben. Etwa 7000 gelten als »intern Vertriebene«, kommen also entweder aus dem Süden der Stadt oder aus den ethnisch gesäuberten Dörfern der Umgebung. Der Großteil der Albaner musste bereits 1999 aus dem Norden fliehen. Nur noch knapp 1500 harren im so genannten bosnischen Viertel aus.

Bei meinem Besuch ist es ruhig. Das serbische Kaffeehaus nahe der Brücke serviert Kuchen und einen exzellenten türkischen Kaffee. Die alte orthodoxe Kirche, Sveti Sava, steht verlassen, südlich des Ibar im albanischen Siedlungsgebiet. Auch der traditionelle serbisch-orthodoxe Friedhof in der Nähe ist verwaist. Umgekehrt liegt, dem Zufall geschuldet, der große muslimische Friedhof nördlich des Flusses. Auch hier finden keine Begräbnisse statt, Totengedenken wird nur unter KFOR-Schutz durchgeführt. Über 3500 ausländische Soldaten stehen unter französischem Kommando in der Stadt und ihrer Umgebung.

Seit Jahren bemüht sich die UNMIK vergeblich, ihre Verwaltung auf den Norden auszudehnen. Zwar wurden 2002 die serbischen »Brückenwächter«, eine Art Bürgerwehr des nördlichen Stadtteils, aufgelöst, aber in der zivilen Administration fassen die »Internationalen« nur sehr mühsam Fuß. Bislang boykottieren die 17 000 verbliebenen Serben die Wahlen in Kosovo. Die ausschließlich albanische Stadtverwaltung hat dennoch im Norden keinen Einfluss. Dort hat die UNMIK die serbischen Pa-rallelstrukturen zwar de jure aufgelöst, muss sie aber da facto tolerieren. Geschaffen wurde ein »Serbischer Nationalrat«, der inoffiziell weiterhin die Geschicke des Nordteils von Mitrovica bestimmt.

Wie sehr bei der serbischen Bevölkerung die Angst umgeht, beschreibt ein Passant nahe der neu aufgebauten orthodoxen Kirche. Wenn Kosovo von der UNO eine vollständige Unabhängigkeit zugesprochen erhält, dann fürchtet er einen Exodus. Auf dem Weg zu seinem Haus erzählt er, dass er nicht wenige Leute kenne, die für den Fall eines albanischen Angriffs schon gepackt hätten. »Was empfehlen Sie mir zu tun, wenn hier ein albanisches Schulsystem eingeführt würde? Meine drei Kinder lernen lassen, dass wir Serben Kriegsverbrecher sind?«

Von Wien oder Berlin aus betrachtet, mag die Angst des Mannes als übertrieben ausgelegt werden. Am Ort scheint sie berechtigt. »Eines der Probleme nach der Festlegung des Status«, meint der als moderat geltende Abgeordnete der Partei ORA, Ylber Hysa, bei einem Gläschen Schnaps in einem Lokal in Priština, »wird die Integration der nördlichen Territorien in das kosovarische Staatsgebiet sein.« Auf meine Frage, was wohl passiert, wenn sich die Serben dagegen wehren, fällt ihm eine schreckliche Analogie ein, die wie eine Drohung wirkt: »Denken Sie daran, was in Kroatien passiert ist!« In Slawonien und der Krajina wurden 1995 in zwei militärischen Aktionen 300 000 Serben vertrieben. Präsident Franjo Tudjman übergab seinen Nachfolgern ein serbenfreies Land.

Auch Strategen der KFOR-Truppen und des Kosovo Police Service (KPS) beginnen bereits, auf Post-Status-Schwierigkeiten mit militärischen und polizeilichen Planspielen zu reagieren. Im Falle einer die kosovo-albanische Seite nicht zufriedenstellenden Statusentscheidung bereiten sich KFOR und KPS auf Unruhen und Ausschreitungen gegen serbische Wohngebiete vor. Hohe Militärs und Polizeioffiziere rechnen damit, dass radikale Albaner den Norden von Mitrovica überfallen könnten. Andererseits könnte es zu einem antialbanischen Aufstand kommen, wenn Kosovo eine vollständige Unabhängigkeit erhielte. Ende des Monats wird der UN-Sonderbeauftragte Martti Ahtisaari in New York seine Vorschlag für einen neuen Status Kosovos vorlegen.

Die einzigen Bereiche, wo die Integration zwischen Serben und Albanern funktioniert, sind die zentralen Verwaltungseinrichtungen von UNMIK und KFOR sowie die organisierte Kriminalität. In beiden Bereichen gibt es genug zu verdienen, so dass der Hintergrund für den ethnischen Hass, nämlich die soziale Entrechtung, wegfällt.

* Neues Deutschland, 23. Januar 2007


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