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Den Haag statt Pristina

Im Gespräch: Aleksandar Simic, Berater des serbischen Premiers Kostunica, über die Ohnmacht des EU-Gesandten Ischinger und den Anachronismus der Kosovo-Sezession *

FREITAG: Wie wird Serbien reagieren, wenn das Kosovo seine Unabhängigkeit ausruft?

ALEKSANDER SIMIC: Das Parlament in Belgrad wird feststellen, dass sich die Provinz laut Verfassung nicht für unabhängig erklären darf. Wir bitten dann den Chef der UNMIK in Pristina, Joachim Rücker, die Unabhängigkeitserklärung zu annullieren, die im Übrigen auch nicht von der UN-Resolution 1244 gedeckt wäre. Falls Rücker untätig bleibt, treten wir an seinen Vorgesetzten, den UN-Generalsekretär Ban Ki Moon, heran, der die Resolution ad absurdum führen würde, sollte er nichts unternehmen. Wenn auch das nichts nützt, rufen wir den UN-Sicherheitsrat an: Er soll den Internationalen Gerichtshof in Den Haag einschalten und die Resolution 1244 interpretieren lassen. Wenn Briten und Amerikaner dagegen ein Veto einlegen, stellen sie die Resolution insgesamt in Frage. Auf welcher Grundlage arbeiten dann noch KFOR und UNMIK? In solch einer Lage ist Gewalt nicht mehr auszuschließen.

Meinen Sie Militäroperationen Serbiens?

Es ist möglich, dass es gewisse Bewegungen von einigen Leuten gibt, um zumindest die Serben im Norden des Kosovo und die orthodoxen Klöster dort zu schützen.

Werden Sie auch ökonomisch Druck auf das Kosovo ausüben?

Seit dem Krieg 1999 ist der Handel zwischen der Provinz Kosovo und dem Rest Serbiens gekappt. Die Kosovo-Albaner wie auch die UNMIK brachen viel von dem ab, was zuvor durch Wirtschaft, Infrastruktur und Telekommunikation verbunden war.

Wie stehen Sie dazu, den albanisch dominierten Süden des Kosovo vom serbischen Norden zu trennen?

Unsere Verfassung lässt das nicht zu. Mitrovica, auch das Gebiet nördlich davon, ist vorrangig von Serben bewohnt. Die werden politische Entscheidungen aus Pristina nicht respektieren. Die Albaner können dann de facto keine Kontrolle über diese Region ausüben. Der Norden Kosovos selbst braucht sich nicht für unabhängig von Pris?tina zu erklären. Er betrachtet sich ohnehin als Teil Serbiens.

Die EU wollte mit Wolfgang Ischinger bei einem letzten Verhandlungsversuch einen ehrlichen Makler präsentieren. Ist ihr das gelungen?

Ischinger war ehrgeizig - und er hatte den Misserfolg von Martti Ahtisaari im Kopf, der zu proamerikanisch war, zu eindeutig die Unabhängigkeit des Kosovo favorisiert und sich vorwiegend technischen Fragen gewidmet hatte. Ischinger begriff, wie wichtig es ist, über den Status der Provinz zu sprechen. Aber er unterschätzte wohl, wie schwierig es ist, die Kosovo-Albaner von der Idee eines eigenen Staates abzubringen, wenn sie die Weltmacht USA hinter sich wissen, die einen solchen Staat will. Er hat versucht, per Vertrag einen neutralen Status des Kosovo festzuschreiben, der es den Kosovo-Albanern erlaubt hätte, sich als unabhängig zu betrachten, während Belgrad das Kosovo weiter als eine Provinz in Serbien gesehen hätte. Zugleich sollten beide Seiten bei der Infrastruktur und beim Energiehandel kooperieren.

Auch an Belgrad ist eine solche Lösung gescheitert - warum?

Uns fehlte vor allem die Garantie, dass sich die Provinz Kosovo nicht für unabhängig erklärt und die Staatengemeinschaft zusagt, dass sie in diesem Fall keine diplomatische Anerkennung ausspricht.

Es gibt im Kosovo enorme soziale und demografische Probleme - unglaublich viele junge Menschen sind ohne Arbeit. Die Kosovo-Albaner ignorieren leider, dass sie sich mit Serbien und dem Balkan arrangieren müssen. Es ist doch absurd: Während sich das Gros der Staaten Europas immer enger verflechtet, wird Serbien gespalten.

Das Gespräch führte Dirk Friedrich Schneider

* Aus: Freitag 50, 14. Dezember 2007


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