Kosovo: Leben im Stand-by-Modus
Unmut der Albaner richtet sich auch gegen die UNMIK-Verwaltung
Von Susanne Götze *
Am Montag in Wien wieder aufgenommen, sollen die Verhandlungen über den künftigen Status Kosovos bis zum 10. Dezember zu einem Ergebnis führen. Aus Sicht der Kosovo-Albaner freilich steht dieses Ergebnis seit langem fest.
Prizren ist eine Kleinstadt im Süden Kosovos. Fast mutet sie wie ein verschlafener Urlaubsort an: das Zentrum klein und anschaulich, der Blick von der alten Steinbrücke über die Bistrica idyllisch. Im Hintergrund ragt die Sinan Pasha auf, die älteste Moschee der Stadt, am Berghang liegen eine serbisch-orthodoxe und eine katholische Kirche. Über 20 verschiedene Bevölkerungsgruppen sollen in Prizren vertreten sein, darunter albanische, türkische und kosovarische Roma, Christen, Orthodoxe und Muslime.
Im scheinbar so friedlichen Prizren hinterließen die Unruhen im März 2004 jedoch die größten Zerstörungen. Ein wilder Mob zog damals durch die Straßen, erzählt Nehari Sharri, Aktivist beim deutschen Forum Ziviler Friedensdienst. 35 serbische Häuser und acht orthodoxe Kirchen wurden zerstört. Von der Altstadt zieht sich das serbische Viertel den Berg hinauf bis zur ehemaligen Burg. Viele der Häuser tragen noch heute Narben von Brand und Zerstörung. Die serbische Schule dagegen, die fast bis auf die Grundmauern ausgebrannt war, ist wieder aufgebaut. Nur leben trotz Rückführungsprogrammen der UN-Mission in Kosovo (UNMIK) kaum mehr Serben in Prizren. 11 000 waren 1991 in der Stadt gemeldet, 2006 waren es nur noch 234. »Viele Serben bauen mit Geldern der UNMIK ihre Häuser wieder auf und verkaufen sie dann teuer an Albaner«, erzählt der Student Dengit Edreneli. Wovon sonst sollten sie sich eine neue Existenz außerhalb Kosovos aufbauen.
Edreneli engagiert sich in der Organisation Fisniket, was so viel heißt wie »Die Aufrechten«. Sie organisieren Integrationscamps, Seminare und Fußballspiele, um Jugendliche verschiedener Ethnien zusammenzuführen – auch Serben und Kosovoalbaner. Er selbst sympathisiert wie viele junge Menschen in Kosovo mit der Unabhängigkeitsbewegung »Vetevendosje« (Selbstbestimmung). Die hat überall in der Provinz ihre Forderung »Jo negociata« (Keine Verhandlungen!) an Häuser, Brücken und Mauern gesprüht. Der Status Kosovos dürfe in den derzeitigen Verhandlungen nicht über die Köpfe der Kosovaren hinweg festgelegt werden, meinen die Jungen, die eine sofortige Unabhängigkeit und Selbst- statt Fremdbestimmung fordern.
Grund für die Sympathien der Bevölkerung zu »Vetevendosje« ist der Verdruss über die UNMIK-Verwaltung, die in den fast acht Jahren nach dem Krieg kaum Erfolge vorzuweisen hat. »Die UN-Verwaltung und das tägliche Leben in Kosovo sind zwei parallele Welten«, weiß Nehari Sharri. Ein Beispiel sei das Lohngefälle: Bei UNMIK bekomme ein Übersetzer 800 bis 1000 Euro monatlich, ein Lehrer an einer kosovarischen Schule dagegen nur knapp 200 Euro. Die Preise orientierten sich jedoch an den Standards der Internationalen, kritisiert Sharri.
Die wirtschaftliche Situation habe sich ebenfalls jahrelang nicht verbessert, die Arbeitslosigkeit liege immer noch bei über 50 Prozent. Weshalb die Unabhängigkeit daran etwas ändern sollte, bleibt unklar. Doch gibt es auch Serben, die glauben, dass Unabhängigkeit das einzige Mittel sei, um längerfristig Frieden und Wohlstand zu erreichen. Völkerrechtlich legitim oder nicht: »Es wäre besser für Serbien, wenn es Kosovo endlich in die Selbstständigkeit entließe«, meint etwa Biljana Todorovic, die in Mitrovica für die UN gearbeitet hat. Die Provinz sei eine zu große finanzielle und politische Bürde für das problembeladene Land.
Indes glaubt niemand so recht daran, dass irgendeine serbische Regierung wagt, Kosovo ohne weiteres in die Unabhängigkeit zu entlassen. Und keine Kosovo-Regierung will sich mit weniger begnügen. »Es ist durchaus möglich, dass es ein neues 2004 gibt«, sagt Biljana Todorovic, die miterlebt hat, wie der Konflikt vor drei Jahren innerhalb weniger Tage auf ganz Kosovo übergriff. Und was die einen fürchten – dass es wieder zu Unruhen kommen könnte –, benutzen andere als drohendes Argument.
Auch wenn die Situation in Prizren derzeit längst nicht so spannungsgeladen ist wie in Mitrovica – einfach weil es nur noch wenige Serben in der Stadt gibt –, ist die Lage noch lange nicht befriedet. »Wir leben in einem Stand-by-modus«, sagt Nehari Sharri. Bis zum 10. Dezember, glaubt er, werden sich die Verhandlungspartner kaum einigen. »Doch die Kosovo-Albaner wollen nicht länger warten und werden, falls die Verhandlungen wieder scheitern, die Unabhängigkeit Kosovos ausrufen.« Aber selbst wenn die ungeachtet aller regionalen und internationalen Folgen von den USA und anderen westlichen Staaten anerkannt würde – bis zu wirklichem Frieden, meint auch Sharri, wird es noch sehr lange dauern.
* Aus Neues Deutschland, 6. November 2007
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