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Ohne Russland ist das Kosovo-Problem nicht zu lösen

Von Alla Jaskowa *

US-Präsident George Bush und der russische Präsident Wladimir Putin haben bei ihrer Begegnung keine Vereinbarungen über das Kosovo-Problem getroffen. Es entstand aber der Eindruck, dass die europäischen Politiker ihrerseits versucht haben, dieser Angelegenheit zu einem abermaligen "Durchbruch" zu verhelfen.

Schon am 3. Juli erklärte Cristina Gallach, Sprecherin des Hohen EU-Vertreters für Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik (GASP), in einem Interview für die meistgelesene Belgrader Zeitung "Vecernji novosti": "Über die Zukunft des Kosovo wird nicht Russland, sondern Europa entscheiden." Noch am Abend desselben Tages behauptete der stellvertretende Staatssekretär im französischen Außenministerium Gerard Arnaud im Moskauer Carnegie-Zentrum ebenfalls, die Unabhängigkeit des Kosovo sei bereits eine vollendete Tatsache, die Kosovaren würden nie einem anderen Status zustimmen, deshalb täten unverzügliche Beschlüsse im Sinne der Realpolitik not.

Die Argumente der europäischen Politiker und Massenmedien bezüglich des Kosovo-Problems erscheinen widersprüchlich. Wenig überzeugend sind unter anderem die Behauptungen, Europa werde den "Kosovo-Knoten" durchhauen und so die "Stabilität und Prosperität des Balkans" erreichen. Mit ziemlicher Sicherheit kann im Gegenteil das Anwachsen der Spannungen vorausgesagt werden, und zwar sowohl zwischen Serbien und seinem ehemaligen autonomen Gebiet als auch in den Beziehungen des Kosovo zu den benachbarten Regionen von Mazedonien und Montenegro. Die Instabilität könnte auch auf Bosnien übergreifen, zu dem die Republika Srpska (Serbische Republik) gehört, diese fühlt sich aber zu Serbien hingezogen. Ganz zu schweigen davon, dass aus dem Kosovo, falls es unabhängig wird, die dort noch übrig bleibenden Einwohner nicht albanischer Nationalität (etwa 150 000) werden ausziehen müssen. Dann könnte Europa wieder einmal eine "humanitäre Katastrophe" erleben. Das Problem der Erhaltung der Denkmäler der mittelalterlichen serbischen Kultur auf dem Territorium des Kosovo wird aus irgendwelchen Gründen überhaupt nicht einmal erwähnt.

Mehr als sonderbar wirken auch Versuche, Moskau von der Lösung des Kosovo-Problems "abzudrängen", denn das Kosovo und die Balkan-Region "erwarten nicht russische, sondern europäische Perspektiven", sagt Gallach, um sich zugleich der Zustimmung des UN-Sicherheitsrates zur Gewährung der Unabhängigkeit an das Gebiet zu versichern. In Europa scheint man vergessen zu haben, dass Russland in besagtem Rat den Status und die Rechte eines Ständigen Mitglieds hat. Wenn die gegensätzlichen Positionen von Moskau und Washington in Bezug auf die Kosovo-Frage weiter unverändert bleiben, dürfte es den Europäern schwer fallen, "gute Beziehungen zu beiden Seiten aufrechtzuerhalten", womit sie, so Gallach, bei der Lösung des Kosovo-Problems rechnen. So oder so werden sie zwischen der russischen und der amerikanischen Position wählen müssen, und besser wäre es, wenn ihr Beschluss nicht auf der Basis von politischen Konstruktionen, sondern der realen Fakten gefasst wird.

Russlands Einstellung zur Kosovo-Frage beruht darauf, dass ihre Lösung den Interessen sowohl von Belgrad als auch von Pristina entsprechen muss: Sonst kann es in Serbien und auf dem ganzen Balkan keinen stabilen Frieden geben. Auch muss sich diese Lösung auf die noch voll gültigen Bestimmungen der Resolution 1244 des UN-Sicherheitsrates (Juni 1999) stützen. Außerdem ist Moskau gegen eine künstliche Begrenzung des Zeitraums für die Lösung des Kosovo-Problems. Was die Möglichkeit betrifft, die Unabhängigkeit des Kosovo einseitig zu verkünden, so würde das zur Entstehung eines weiteren Territoriums mit einem von der Weltgemeinschaft nicht anerkannten Status führen und ungerechtfertigte Hoffnungen erwecken, darunter in einigen Regionen Europas.

Schließlich sieht die inzwischen recht weit verbreitete These, Russland habe mit den Angelegenheiten des Balkans nichts zu tun, mehr als sonderbar aus, und das erst recht im Lichte der Beschlüsse des Balkan-Gipfeltreffens zu Energieproblemen, das am 24. Juni in Zagreb stattfand. Wie Präsident Putin erklärte, ist Russland bereit, zur Lösung der Energieprobleme der Region alles Mögliche zu tun, darunter durch Ausdehnung des Netzes der Gasrohrleitungen bis Albanien und Südserbien, einschließlich des Kosovo. Die russische Geschäftswelt ist ihrerseits zu einem gegenständlichen Gespräch bereit, um auf dem Wege von Kompromissen alle anfallenden Probleme lösen zu können.

Deshalb kann behauptet werden, dass sich Russland in seiner Balkan-Politik nicht nur von historischen Erinnerungen leiten lässt, sondern auch von weit gehenden Geschäftsinteressen, auf deren Schutz es das volle Recht hat. Was nun die europäischen Perspektiven der Region angeht, so wäre da an einen längeren konstruktiven Dialog über die Möglichkeit einer gleichzeitigen Integration Serbiens und des Kosovo in die Europäische Union zu denken. Dem Letzteren müsste schon jetzt der Status einer assoziierten Region gewährt werden, der das höchste Niveau der inneren Selbstständigkeit bei gleichzeitigem Zusammenwirken mit Serbien in Fragen der Außen- und der Verteidigungspolitik sowie der Lage der nationalen Minderheiten vorsieht. Eben dem sollte die Aufmerksamkeit der Europäer gelten und nicht den Anstrengungen, Russland vom Balkan zu isolieren. Schon deshalb nicht, weil die Integration dieser Region in die einheitliche europäische Familie den Interessen von Moskau in keiner Weise widerspricht.

* Unsere Autorin Alla Jaskowa ist Leiterin des Mittelmeer-Schwarzmeer-Zentrums am Europa-Institut der Russischen Akademie der Wissenschaften.

Die Meinung der Verfasserin muss nicht mit der von RIA Novosti übereinstimmen.

* Quelle: Russische Nachrichtenagentur RIA Novosti, 6. Juli 2007



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