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Nach Urteil: "Die Schlacht um Kosovo geht weiter"

Serbische Öffentlichkeit über IGH-Spruch enttäuscht und empört

Serbien hat enttäuscht auf die Entscheidung des Internationalen Gerichtshofs (IGH) reagiert, die Unabhängigkeitserklärung Kosovos sei mit dem Völkerrecht vereinbar.

»Die Schlacht um Kosovo geht weiter«, titelte die Zeitung »Press« am Freitag (23. Juli) in Belgrad. »Politische IGH-Entscheidung«, hieß es bei »Blic«, der größten Zeitung im Lande. »Es hat sich gezeigt, dass diejenigen Recht hatten, die warnten, das Gericht sei keine unabhängige Institution.« »Eine unerwartet parteiische Entscheidung«, kritisierte die Zeitung »Novosti« und titelte: »Serbien gibt nicht auf!« Der Leiter des serbischen juristischen Teams vor dem IGH, Tibor Varadi, sprach von »Manipulation«.

Nach Ansicht der Opposition hat Serbien durch das Kosovo-Gutachten »einen völligen Kollaps der Staatspolitik« erlebt. »Danach liegen wir mit der ganzen Welt im Konflikt«, kritisierte Oppositionsführer Tomislav Nikolic. Die Regierung trat zu einer Sondersitzung zusammen. Serbien setze auf die UN-Vollversammlung im September, teilte Staatschef Boris Tadic mit. Dort sollten trotz des IGH-Entscheids neue Verhandlungen über Kosovo durchgesetzt werden.

»Ein Minister liegt mit Russland, der zweite mit Deutschland und der dritte mit den USA im Streit«, kritisierte Oppositionsführer Nikolic die Regierungspolitik. »Haben wir heute irgendwelche Freunde?« Er verlangte, Tadic müsse ein Treffen aller Spitzenpolitiker einberufen, um die Niederlage Belgrads vor dem IGH zu analysieren.

Der IGH-Spruch »ist noch eine Bestätigung, dass die Politik über Recht und Gerechtigkeit steht«, kritisierte die serbische Akademie der Wissenschaften.

»Man versucht, uns unser Jerusalem wegzunehmen, alles Heilige und alle Heiligtümer«, sagte der serbisch-orthodoxe Patriarch Irinej mit Blick auf die vielen historischen serbischen Klöster und Schlachtfelder in Kosovo.

Die Serben im benachbarten Bosnien drohten zugleich, das Gutachten für sich auszunutzen und sich nun ebenfalls abspalten. »Die Serbenrepublik könnte noch heute Abend eine Deklaration über ihre Selbstständigkeit annehmen, die keinen Verstoß gegen das Völkerrecht darstellte«, zitierten die Medien den Regierungschef der serbischen Landeshälfte Bosniens, Milorad Dodik. »Das Urteil ist ein guter Wegweiser für den weiteren Kampf um den Status und die Zukunft«, so Dodik weiter. »Wir sind schon lange nicht mehr glücklich, dass wir uns in Bosnien-Herzegowina befinden.«

Kroatien und Mazedonien begrüßten die Entscheidung des IGH. Das Rechtsgutachten werde »zur Stabilisierung der Region beitragen«, sagte der kroatische Außenminister Gordan Jandrokovic. Kroatiens Staatschef Ivo Josipovic erklärte, die Lösungen für alle offenen Fragen zwischen den Staaten der Region lägen in einer künftigen EU-Mitgliedschaft. Serbien und Kosovo sollten sich einem »konstruktiven Dialog« zuwenden. Das mazedonische Außenministerium erklärte in Skopje, die Entscheidung sei »eine gute Basis und mächtige Ermutigung«, gutnachbarschaftliche Verhältnisse zu entwickeln und die regionale Zusammenarbeit zu verbessern.

* Aus: Neues Deutschland, 24. Juli 2010


Kosovo bleibt Kolonie

Einhelliges Entsetzen in Serbien. UN-Resolutionsentwurf geplant

Von Zoran Sergievski, Belgrad **


Das sonst zerstrittene Parteienspektrum Serbiens reagierte ausnahmsweise einmütig auf das Skandalurteil von Den Haag. Der Entscheid des Internationalen Gerichtshofs (IGH) zur einseitigen Unabhängigkeitserklärung des Kosovo stelle einen Bruch »internationalen Rechts und der Resolution 1244« des UN-Sicherheitsrats dar, erklärte die Skupstina, das nationale Parlament, am späten Donnerstag abend. Präsident Boris Tadic sagte: »Wir werden und können die ethnisch motivierte Sezession des Kosovo niemals anerkennen.« Außenminister Vuk Jeremic meinte, daß sich der IGH nur zu »technischen Details der Unabhängigkeitserklärung« geäußert habe. Antworten auf die Frage nach der Legitimität der einseitigen Abspaltung und alle damit verbundenen - auch weltweiten - politischen Implikationen ständen aus.

In der serbischen Hauptstadt herrschte zudem über Parteigrenzen hinweg Einigkeit, daß schwierige Zeiten auf das Land zukommen. Jetzt gelte es, Entschlossenheit in der Kosovo-Frage zu demonstrieren. Der UN-Vollversammlung soll hierzu im Oktober eine Resolution vorgelegt werden. Man werde niemals von der Position, daß das Amselfeld zu Serbien gehöre, abrücken. Des weiteren werde sich Belgrad mit allen diplomatischen Mitteln dafür einsetzen, daß die »territoriale Integrität und Souveränität« des Landes geachtet werde.

Unterdessen machte die von der EU in den Kosovo entsandte Polizeitruppe EULEX gleich mehrfach von sich reden. Am Donnerstag abend beaufsichtigte sie eine Demonstration gegen den Haager Entscheid von etwa tausend Menschen in der geteilten Stadt Kosovska Mitrovica im Norden der Provinz. Noch im Juni hatte die EU beschlossen, die etwa 3 200 Mann starke EULEX mindestens bis zum 14. Juni 2012 in der Provinz zu belassen. Offiziell soll sie zwar beim Aufbau von Polizei, Justiz und Zoll im Kosovo helfen. Das gelingt ihr bisher kaum. Vielmehr wird sie von Teilen der Bevölkerung als Okkupationsmacht betrachtet - ähnlich wie die 10000köpfige, NATO-geführte Kosovo-Truppe KFOR (Kosovo Force). Diese soll, so der NATO-Beschluß aus dem Juni, »so lange vor Ort bleiben werden, wie es nötig ist«.

Sowohl EULEX als auch die Interimsverwaltung der UN für das Kosovo (UNMIK) sehen sich mit Korruptionsvorwürfen konfrontiert. Letztgenannter wird außerdem politische Willkür angelastet. Tatsächlich redet der EU-Sondergesandte Lamberto Zennier, der die UNMIK leitet, in allen politischen Fragen des Kosovo nach wie vor ein gewichtiges Wort mit.

Das wurde auch am Freitag (23. Juli) deutlich, als Polizisten der EU den Gouverneur der Zentralbank des Kosovo, Hashim Rexhepi, in der Kosovo-Metropole Pristina festnahmen. Es gehe um Korruption, Steuerhinterziehung und Geldwäsche, teilte die EULEX mit. Neben verschiedenen Bankgebäuden seien auch private Wohnungen durchsucht worden. Nach Angaben lokaler Medien drängt EULEX Regierungschef Hashim Thaci zudem, drei seiner Minister wegen Korruption zu entlassen.

** Aus: junge Welt, 24. Juli 2010


Lob der Gewalt

Von Detlef D. Pries ***

Monate vor der einseitigen Unabhängigkeitserklärung Kosovos glaubten Experten des Hamburger Instituts für Friedensforschung und Sicherheitspolitik einen Kompromiss zur Lösung des umstrittenen Völkerrechtsproblems gefunden zu haben: das Andorra-Modell. Das UNO-Mitglied Andorra hat zwei Staatsoberhäupter - den Bischof von Urgell in Katalonien und den französischen Präsidenten. Würde also Kosovo bei faktischer Unabhängigkeit den serbischen Präsidenten und den Chef der EU-Kommission als formale Staatsoberhäupter akzeptieren, hätten alle Seiten ihr Gesicht gewahrt.

Egon Bahr, Mentor und früherer Direktor des Hamburger Instituts, fand den Vorschlag interessant und das Bemühen lobenswert, allein - die Sache sei doch in Washington längst entschieden. So war es. Angesichts der politischen Patenschaft der USA und des militärischen Schutzes der NATO waren die Kosovo-Albaner zu Kompromissen nicht mehr bereit und riefen am 17. Februar 2008 einseitig ihre Unabhängigkeit aus.

Die Sache ist entschieden, fand auch die Mehrheit der IGH-Richter und interpretierten die gewaltsame Verletzung des Staatenrechts auf territoriale Unversehrtheit faktisch als »Weiterentwicklung« des Völkerrechts. Wer nun meint, dieser Fall könne und werde anderen künftig nicht als Vorbild dienen, betreibt Augenwischerei: Das Gutachten des IGH ist geradezu Ansporn, statt geduldiger Suche nach Kompromissen zur Gewalt zu greifen und Krieg zu provozieren.

*** Aus: Neues Deutschland, 23. Juli 2010 (Kommentar)


Unwürdige Wortklauberei

Das Rechtsgutachten des Haager Gerichtshofs zum Kosovo unter der Lupe

Von Cathrin Schütz ****

Nun liegt das mit einiger Spannung erwartete Rechtsgutachten zur Abspaltung des Kosovo von Serbien also vor. Der Internationale Gerichtshof (IGH) in Den Haag erklärte am Donnerstag (22. Juli) lapidar: »Die am 17. Februar 2008 verabschiedete Unabhängigkeitserklärung des Kosovo verstieß nicht gegen das Völkerrecht.« Dass die Bewertung derartig eindeutig ausfiel, kam überraschend. Viele Experten hatten einen »ausgewogenen Text« erwartet, der allen Seiten ein bißchen Recht gibt.

Für ein derartiges Ergebnis sprach einerseits die klare Hervorhebung der »Souveränität und territorialen Integrität der Bundesrepublik Jugoslawien« in der UNO-Sicherheitsratsresolution 1244 von 1999. Diese regelt den Status des Kosovo und die Befugnisse einer Interimsverwaltung. Dem entgegen stand der politische Druck einflußreicher westlicher Staaten, die die Unabhängigkeit der serbischen Provinz forciert hatten.

Die Einholung des Gutachtens war auf Initiative Serbiens im Oktober 2008 von der UNO-Vollversammlung beschlossen worden. Die knapp anderthalb Jahre danach vorgelegte Entscheidung fällte das Gericht keinesfalls einmütig. Sie wurde mit zehn gegen vier Stimmen getroffen. Acht der 14 Richter legten der Entscheidung ihre gesonderten und abweichenden Meinungen bei. In diesen wird die Mehrheitsentscheidung teils scharf kritisiert.

So sehen einige Richter die Voraussetzungen für ein Gutachten des IGH nicht erfüllt. Ihre Begründung: Die UNO-Vollversammlung habe es zu einer Frage beantragt, die seit mehr als zehn Jahren nicht auf ihrer Tagesordnung steht, sondern auf der des UN-Sicherheitsrats. Tatsächlich hätte die serbische Regierung direkt beim IGH gegen alle Staaten, die das Kosovo als unabhängigen Staat anerkennen, klagen können - statt den Umweg über die Vollversammlung zu wählen. Doch verbot sich dieser Konfrontationskurs der westlich orientierten Regierung in Belgrad.

Besonders heftig kritisierten mehrere Richter, dass ihre Kollegen die von der Vollversammlung gestellte Frage, ob »die einseitige Unabhängigkeitserklärung durch die vorläufigen Selbstverwaltungsorgane des Kosovo völkerrechtsgemäß« ist, eigenmächtig umformulierten. Die Unabhängigkeitserklärung sei zwar vom Kosovo-Parlament verabschiedet worden. Doch handelte dieses nicht in seiner eigentlichen Eigenschaft als Parlament. Also wurden aus ihm »Repräsentanten der Bevölkerung des Kosovo außerhalb des Rahmens der Interimsverwaltung«.

Mit dieser bemerkenswerten Argumentation gesteht das Gericht ein, dass das Kosovo-Parlament keine Befugnis hatte, die Unabhängigkeit des Kosovo zu erklären. Doch zogen die Richter daraus nicht etwa den Schluss, dass die gestellte Frage folglich klar beantwortet ist, sondern formulierten sie um. Da das Kosovo-Parlament mit der einseitigen Loslösung von Serbien seine Kompetenzen überschritten habe, hätte es nicht mehr als Teil der »vorläufigen Selbstverwaltungsorgane« gehandelt, von denen in der Anfrage der Vollversammlung die Rede ist.

Peter Tomka, der slowakische IGH-Vizepräsident, findet in seiner der Entscheidung beigefügten Erklärung deutliche Worte für dieses Manöver: »Die Mehrheit (...) gab ihre Antwort jedoch erst, nachdem sie die Frage 'angepasst' hatte. Diese 'Anpassung' war für die gegebene Antwort von entscheidender Bedeutung. Tatsächlich bestimmte sie das Ergebnis voraus.« Festzustellen bleibt, dass der Gerichtshof mit dieser unwürdigen Wortklauberei die eigentliche Frage, ob die Abspaltung des Kosovo von Serbien mit dem Völkerrecht vereinbar ist, gar nicht beantwortet hat.

**** Aus: junge Welt, 24. Juli 2010


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