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"Wir haben die Falschen bombardiert"

Ein Band zum Kosovo

Von Gerd Bedszent *

Das Buch »Kosovo. Die UNO als Geisel der Mafia und der USA« ist nur indirekt eine Abrechnung mit dem NATO-Krieg von 1999 gegen Jugoslawien. Die beiden italienischen Journalisten Giuseppe Ciulla und Vittorio Romano haben die Region mehrfach bereist, Kosovaren, Serben, italienische Beamte und Militärs interviewt. Die so entstandenen Artikel und Reportagen haben sie hier zusammengefaßt.

Die Beiträge sind von unterschiedlicher Qualität. Die Autoren gingen zunächst von einer Kriegsschuld serbischer Nationalisten aus, die die angestammte albanische Bevölkerung aus dem Land vertreiben wollten. Je tiefer sie in das Gewirr politischer Kämpfe, Familienfehden und krimineller Bandenkriege eintauchten, die bis heute die kosovarische Gesellschaft entscheidend prägen, wich dies einer differenzierten Einschätzung.

Ciulla und Romano dokumentieren zahlreiche Fälle von Folter und Mord von seiten ehemaliger UCK-Kämpfer, denen auch zahlreiche Anhänger des damaligen kosovarischen Präsidenten Ibrahim Rugova zum Opfer fielen. Das Buch enthält viele Belege wie z.B. Auszüge aus dem Bericht eines UN-Zweigbüros, in dem UCK-Leuten Entführung und Mord zum Zwecke illegalen Organhandels nachgewiesen wurde. Zunächst diente dieser Kannibalismus der Finanzierung eines »Befreiungskrieges«, wurde dann aber zur persönlichen Bereicherung weitergeführt. Andere Dokumente belegen Verwicklungen einer erheblichen Zahl kosovarischer Politiker in kriminelle Aktivitäten, z.B. Schmuggel, Rauschgift- und Frauenhandel sowie in Auftragsmorde an ermittelnden Polizeibeamten.

Eine Ursache für die Eskalation der Kriminalität sehen die Autoren in den fortdauernden Auseinandersetzungen zwischen der albanischen Bevölkerungsmehrheit und den Einwohnern der serbischen Enklaven. Da jede Festnahme von Kriminellen jeweils als Parteinahme zugunsten der »feindlichen« Bevölkerung interpretiert werde, rufe sie sofort einen Aufstand hervor. Die westlichen Besatzungstruppen blieben weitgehend untätig. Auf diese Weise wurde die in eine serbische und eine albanische Hälfte gespaltene Stadt Mitrovica zum wichtigsten Umschlagplatz für Drogen, Waffen, Organe und Medikamente auf dem Balkan.

Das Buch enthält nur wenige Aussagen zur wirtschaftlichen Situation. Klar wird allerdings, daß die (ohnehin nur schwache) Industrie des Kosovo seit der Sezession von 1999 brachliegt. Die von UNO und EU ins Land gepumpten Mittel verschwinden komplett in den Taschen der Mafia. Kriminelle Unternehmungen sind für große Teile der Bevölkerung einziger Erwerbszweig. Da kein kapitalistisches Unternehmen dieser Welt freiwillig in ein Paradies des organisierten Verbrechens ohne nennenswerte Infrastruktur investiert, wird sich daran schwerlich etwas ändern. Die Autoren zitieren einen namentlich nicht genannten italienischen Beamten in Priština: » (Die UNO) hat die Voraussetzungen dafür geschaffen, daß dieses Land seine Unabhängigkeit ausrufen konnte. Sie hat es in einen Mafiastaat verwandelt. Wir haben die Falschen bombardiert.«

Die Bilanz der Autoren ist desillusionierend: Eine funktionierende Justiz gibt es im Kosovo nicht. Die Führungsriege der Mafia ist mit der aus der UCK hervorgegangenen politischen Elite weitgehend identisch und wird von UN und EU gedeckt. Anklageschriften verstauben in den Archiven, Ermittlungen verlaufen im Sande. »Welchen Zweck hat es, ein Fleckchen Erde als ›friedlich‹ zu definieren, während die Mafiosi mit gelben Lamborghinis die Straßen von Priština auf- und abfahren?«

Giuseppe Ciulla/Vittorio Romano: Kosovo - Die UNO als Geisel der Mafia und der USA. Zambon Verlag, Frankfurt am Main 2012, 228 Seiten, 12 Euro

* Aus: junge Welt, Montag, 22. Oktober 2012


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