Auswärtiges Amt: "Resolution 1244 (1999) verbietet eine einseitige Unabhängigkeitserklärung des Kosovo nicht" - Norman Paech: "Weder Resolution 1244 (1999) noch das allgemeine Völkerrecht erlauben die einseitige Unabhängigkeitserklärung des Kosovo"
Im Wortlaut: Gutachten des Auswärtigen Amtes und Gegenstellungnahme des Völkerrechtlers Prof. Dr. Norman Paech
Im Folgenden dokumentieren wir ein Gutachten des Auswärtigen Amtes zum völkerrechtlichen Status der serbischen Provinz Kosovo. Darin wird u.a. die brisante These aufgestellt, eine einseitige Unabhängigkeitserklärung sei durchaus mit dem geltenden Völkerrecht vereinbar. Dagegen meldet sich der emeritierte Völkerrechts-Professor Dr. Norman Paech, Abgeordneter der Fraktion Die LINKE im Bundestag, zu Wort. Auch seine Gegenstellungnahme dokumentieren wir im Anschluss an das Gutachten des AA.
Hier geht es zur viel zitierten Resolution 1244 (1999) (auch als pdf-Datei verfügbar [englisch]).
[Gutachten des Auswärtigen Amtes]
Kosovo
Resolution des Sicherheitsrates 1244 (1999) und eine evtl. Unabhängigkeitserklärung des Kosovo
1. Resolution 1244 (1999) verbietet eine einseitige Unabhängigkeitserklärung und die nachfolgende Anerkennung des Kosovo durch andere Staaten nicht.-
Die in der Präambel sowie im Anhang 2 der Resolution 1244 enthaltene
Verpflichtung der Mitgliedstaaten der VN auf die Wahrung der Souveränität
und territorialen Integrität der Bundesrepublik Jugoslawien (heute: Republik
Serbien) bezieht sich auf das Übergangsregime, das mit der Resolution
eingerichtet wurde.
- Resolution 1244 (1999) trifft keine Aussage über den endgültigen
Rechtsstatus des Kosovo.
- Resolution 1244 (1999) fordert einen politischen Prozess zur Lösung der
Statusfrage. Nachdem alle Möglichkeiten einer Einigung zwischen Serbien
und Kosovaren mit ergebnislosem Abschluß des sog. Troika-Prozesses
ausgeschöpft sind, sind jedoch andere, völkerrechtlich zulässige Möglichkeiten
zur Lösung der Statusfrage nicht länger ausgeschlossen.
- Die Annahme, Resolution 1244 (1999) verbiete jede andere Lösung auch über
das klare und definitive Scheitern eines Verhandlungsprozesses hinaus, würde
dazu führen, daß beim Scheitern dieses Prozesses überhaupt kein anderer Weg
mehr gangbar wäre. Das kann auch der Sicherheitsrat mit dieser Resolution
nicht bezweckt haben.
2. Resolution 1244 (1999) gilt auch über eine evtl. einseitige Unabhängigkeitserklärung des Kosovo hinaus fort.-
Resolution 1244 enthält keine Befristung und keine auflösende Bedingung,
bei deren Ablauf bzw. Eintritt die in ihr enthaltenen Mandate automatisch
erlöschen würden.
- Ziff. 19 dieser Resolution ordnet vielmehr ausdrücklich an, daß die Mandate
der internationalen zivilen und Sicherheitspräsenzen, die die Resolution
vorsieht, solange bestehen, bis der Sicherheitsrat selbst etwas anderes
beschließt.
- Ob der Sicherheitsrat eine Veränderung der Rahmenbedingungen, die in einer
einseitigen Unabhängigkeitserklärung des Kosovo und in der Anerkennung des
Kosovo als unabhängigem Staat läge, wenigstens konkludent zu einem
Beendigungsgrund für seine Resolution machen wollte, ist durch Auslegung
der Resolution selbst zu ermitteln. Diese Auslegung ergibt keine Anhaltspunkte
für einen solchen Willen des Sicherheitsrates:
-
Erfahrungen mit früheren Resolutionen in verschiedenen Bereichen
sprechen dagegen, daß der Sicherheitsrat die Entstehung eines sich für
unabhängig erklärenden Kosovo zur auflösenden Bedingung seiner
Resolution machen wollte. Diese Präzedenfälle demonstrieren im
Gegenteil, daß selbst dort, wo sich die Lage fundamental verändert
hatte (Bsp.: Sturz des Regimes von Saddam Hussein im Irak) der
Sicherheitsrat immer noch Wert darauf legte, selbst die Konsequenzen
für seine Resolutionen zu ziehen (in diesem Beispiel: ausdrückliche
Aufhebung des Sanktionsregimes Irak in einer neuen Resolution und
nicht etwa stillschweigendes Wegfallen der Sanktionen). Es entspricht
der Praxis des VN-Sicherheitsrates, Mandate, sofern sie nicht von
vorneherein befristet sind, formell zu beenden (Beispiel aus jüngerer
Zeit: Beendigung von UNMOVIC im Irak durch Resolution 1762 vom
29. Juni 2007). Auch Ziff. 11 (f) der Resolution 1244 (1999) spricht
dagegen, daß der Sicherheitsrat bereits eine Unabhängigkeitserklärung
des Kosovo als Beendigungsgrund für seine eigene Resolution werten
wollte: Dort ist nämlich von einer Schlußphase die Rede, in der die
Staatsgewalt von den provisorischen Einrichtungen auf die im Rahmen
einer endgültigen Lösung geschaffenen Institutionen übertragen werden
soll. Diese Formulierung ergibt nur dann einen Sinn, wenn auch die
Resolution mindestens so lange gelten soll.
- Noch weniger ist anzunehmen, daß der Sicherheitsrat beabsichtigt hat,
seine Resolution unter die auflösende Bedingung der Anerkennung
eines unabhängigen Kosovo durch andere Staaten zu stellen. Da
verschiedene Staaten zu unterschiedlichen Zeitpunkten und manche
Staaten auch gar nicht anerkennen werden, würde das bedeuten, daß
eine an alle Mitgliedstaaten der VN gerichtete Resolution des
Sicherheitsrates für einige Staaten schneller, für andere langsamer
wegfiele und für wieder andere unbefristet weitergälte. Es kann dem
Sicherheitsrat nicht unterstellt werden, daß er eine derartige
Zersplitterung der Geltung seiner Resolution gewollt oder gebilligt hat.
- Gegen eine solche Auslegung der Resolution 1244 (1999) spricht auch
der große Wert, den der Sicherheitsrat auf seine Autorität als des für
die Wahrung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit
hauptsächlich verantwortlichen Organs (Art. 24 der VN-Charta) legt.
Auch diese Erfahrung spricht dafür, daß der Sicherheitsrat Fragen von
fundamentaler Bedeutung – wie Beginn und Ende von ihm erteilter
Kapitel-VII-Mandate – selbst trifft, wenn die Frage entscheidungsreif
ist, und nicht von möglicherweise sehr unbestimmten Bedingungen
abhängig macht. Dies würde a fortiori gelten, wenn jeder Staat durch
die Entscheidung, ob und wann er ein unabhängiges Kosovo anerkennt,
selbst die Geltungsdauer einer Sicherheitsratsresolution bestimmen
könnte.
- Resolution 1244 (1999) verfolgt das Ziel, für eine Übergangsphase
Frieden und Sicherheit zu gewährleisten und dadurch die
Herbeiführung einer endgültigen Lösung des Kosovo-Problems zu
ermöglichen. Ein „Wegfallen“ der Mandate nach einer
Unabhängigkeitserklärung würde diesem Ziel (Beendigung des
Konfliktes, Gewährleistung von Sicherheit und Ordnung im Kosovo als
einer multiethnischen Gesellschaft) geradezu entgegenwirken. Die
Mission müßte beendet werden, wenn sie am dringendsten gebraucht
würde. Das kann nicht im Sinne des Sicherheitsrates sein.
3. „Einladung“ der internationalen Präsenzen durch das Kosovo ist wünschenswert-
Eine Einladung des Kosovo an die internationale Gemeinschaft, die zivilen und
Sicherheitspräsenzen auf der bisherigen Grundlage weiterzuführen, wäre – für
sich gesehen und unabhängig von Resolution 1244 (1999) – ebenfalls eine
ausreichende völkerrechtliche Grundlage für die Fortführung der Missionen.
- Da Resolution 1244 (1999) fortgilt und weiterhin eine ausreichende Grundlage
für die Missionen darstellt, benötigen wir eine Einladung des Kosovo aus
rechtlichen Gründen nicht.
- Aus politischen Gründen wird eine solche Einladung aber von großer
Bedeutung sein, weil sie klarstellt, daß die Missionen mit Zustimmung und auf
Wunsch von Regierung und Volk des Kosovo weitergeführt werden
Prof. Dr. Norman Paech
"Resolution des Sicherheitsrats 1244 (1999) und eine evtl. Unabhängigkeitserklärung des Kosovo"
Eine Gegenstellungnahme zur Position des Auswärtigen Amtes
Das Auswärtige Amt hat dem Außenpolitischen Ausschuss des Bundestages eine völkerrechtliche Einschätzung der „Resolution des Sicherheitsrates 1244 (1999) und eine evtl. Unabhängigkeitserklärung des Kosovo“ übermittelt. Darin vertritt es angesichts der als unvermeidlich angesehenen Unabhängigkeitserklärung des Kosovo im Frühjahr 2008 im Wesentlichen drei Thesen: 1. Die Resolution 1244 (1999) des UNO-Sicherheitsrats verbiete ebenso wenig die einseitige Unabhängigkeitserklärung des Kosovo wie die anschließende Anerkennung
des Kosovo durch Drittstaaten. 2) Die Resolution 1244 (1999) gelte auch nach einer Unabhängigkeitserklärung des Kosovo weiter, was die Fortwirkung der Mandate für UNMIK und KFOR sicherstelle. 3) Dennoch sei eine ausdrückliche Einladung durch das unabhängige Kosovo für die internationalen Präsenzen wünschenswert.
Angesichts der Entschlossenheit der Kosovo-Albaner und der sie unterstützenden USA sowie der meisten EU-Staaten, die Abtrennung des Kosovo von Serbien voranzutreiben und in den nächsten Monaten durchzusetzen, können die zu ihrer Legitimierung vorgetragenen völkerrechtlichen Argumente nicht unwidersprochen bleiben.
1. Weder Resolution 1244 (1999) noch das allgemeine Völkerrecht erlauben die einseitige Unabhängigkeitserklärung des Kosovo.
Resolution 1244 (1999) betont an verschiedenen Stellen, sowohl in der Präambel und dem
Hauptteil, als auch in Anlage 2 die Verpflichtung aller Staaten, „die Souveränität und territoriale
Unversehrtheit der Bundesrepublik Jugoslawien“ (später Serbien) zu beachten. Diese Verpflichtung
ist eine völkerrechtliche Selbstverständlichkeit, die sich auch ohne Rückgriff auf Resolution 1244
aus Art. 2 UN-Charta ergibt. Sie ist also nicht auf die durch Resolution 1244 eingerichtete
Übergangsverwaltung beschränkt, sondern gilt unabhängig und jenseits von ihr.
Im Rahmen dieser völkerrechtlichen Pflichten ist durchaus eine Abtrennung des Kosovo von
Serbien als endgültige Statuslösung möglich. Sie muss jedoch auf der einvernehmlichen
Übereinkunft beider betroffenen Staatsteile beruhen, wie es z.B. bei der Trennung der alten
Tschechoslowakei der Fall gewesen ist. Sind die Verhandlungen gescheitert, wie es offensichtlich
jetzt angenommen wird, so eröffnet sich nicht automatisch ein Recht auf Sezession. Dies ist
genauso wenig der Fall, wie sich nach einem Veto im UNO-Sicherheitsrat ein Recht auf
militärische Gewaltanwendung eröffnet. Die einseitige Sezession wurde nur den kolonial
unterdrückten Völkern in ihrem Kampf um Unabhängigkeit zur Verwirklichung ihres
Selbstbestimmungsrechts zuerkannt. Nachdem diese Epoche der Dekolonisation bis auf einige
wenige Fälle (z.B. Westsahara) der Geschichte angehört, wird eine einseitige Sezession nur noch
den Völkern zuerkannt, denen nachhaltig die elementaren Grund- und Menschenrechte vorenthalten
werden. Das ist jedoch beim Kosovo trotz aller dort in der Vergangenheit begangener Verbrechen
heute nicht der Fall. Die neue serbische Verfassung vom Oktober 2006 erkennt dem Kosovo
ausdrücklich einen autonomen Status mit weitgehenden Selbstverwaltungsrechten zu.
Der UNO-Sicherheitsrat ist ebenso wie alle Mitgliedstaaten an die Achtung der Souveränität und
territorialen Unversehrtheit gebunden und darf sich gem. Art. 2 Ziffer 7 UN-Charta nicht in die
inneren Angelegenheiten eines Staates einmischen. Die Abtrennung eines Teils wäre aber auf jeden
Fall eine solche unzulässige Einmischung. Eine derart einschneidende Entscheidung wäre auch
nicht auf der Basis von Art. 42 Abs. 2 UN-Charta zur Sicherung oder Wiederherstellung des
Friedens möglich. Die Einrichtung des Jugoslawientribunals oder die Einschränkung der
Souveränität des Irak im kurdischen Norden des Landes durch die Resolution 688 von 1991 sind
zwar auf der Basis von Art. 42 Abs. 2 UN-Charta getroffen worden, sind aber mit Maßnahmen der
Staatenteilung und -neubildung nicht vergleichbar. Auch die berühmte Teilungsresolution 181 von
1947 war keine konstitutive Teilung Palästinas, sondern nur ein Vorschlag.
Die Kontaktgruppe hat in den „Guiding Principles“ vom November 2005 ausdrücklich alle
beteiligten Parteien davon unterrichtet, dass „die Regelung der Kosovo-Frage in voller
Übereinstimmung mit den internationalen Standards der Menschenrechte, der Demokratie und des
Völkerrechts erfolgen und zur regionalen Sicherheit beitragen“ solle, und ferner, dass „jede Lösung,
die einseitig oder mit dem Einsatz von Gewalt herbeigeführt werde, unakzeptabel sei.“ Sie hat also
selber jedes einseitige Vorgehen nicht als Beitrag zu einer friedlichen Lösung angesehen, sondern
als Störung des Friedens abgelehnt.
2. Die Anerkennung einer unzulässigen Sezession ist ein völkerrechtliches Delikt.
Ein Staat bedarf zu seiner Entstehung nicht der Anerkennung der UNO oder anderer Staaten. Er
muss lediglich ein Staatsgebiet, ein Staatsvolk und eine effektive Staatsgewalt vorweisen. Letztere
wäre jedoch beim Kosovo zweifelhaft. Dies vor allem deswegen, weil die Resolution 1244
weiterhin verbindlich ist und der Unabhängigkeitserklärung entgegensteht. Sie ist als Beschluss des
UN-Sicherheitsrats gem. Art. 25 UN-Charta für alle UN-Mitgliedstaaten verbindlich und damit
auch für die EU. Sie verbietet deshalb nicht nur eine Anerkennung des Kosovo als Staat, sondern
auch die Ausbildung und Unterstützung seiner eigenen separaten Staatsgewalt, wie es die USA und
die EU jedoch beabsichtigen. Statt den abgespaltenen Kosovo anzuerkennen, müsste die deutsche
Leitung der UNMIK-Übergangsverwaltung gegen die Unabhängigkeitserklärung vorgehen und ihre
Ungültigkeit erklären. Der Leiter der UNMIK ist gleichsam der von den Staaten bestellte Garant
von Recht und Ordnung, der Wahrer des Völkerrechts, der nicht tatenlos seine eigene Entmachtung
durch ein nicht legitimiertes Provinzparlament hinnehmen dürfte. So haben die Vorgänger des
gegenwärtigen Leiters der Protektoratsbehörde im Kosovo schon bei weitaus geringeren Verstößen
von Politikern des Kosovo von ihren Amtsvollmachten Gebrauch gemacht und die Akte per Dekret
aufgehoben.
Die Regierung in Belgrad hat angekündigt, gegen eine Anerkennung des Kosovo vor dem
Internationalen Gerichtshof in Den Haag zu klagen. Ihr zentrales Argument wäre der Bruch des
Völkerrechts durch die Anerkennung, da mit ihr das in der UN-Charta verankerte Prinzip der
territorialen Unversehrtheit der Staaten verletzt wäre. Es ist derzeit nichts ersichtlich, was einen
solchen Verstoß gegen das Völkerrecht rechtfertigen könnte – auch nicht die immer wieder
beschworenen Unruhen, die bei einer weiteren Hinauszögerung der endgültigen Entscheidung über
den Status des Kosovo zu erwarten wären.
Die Staaten der EU würden mit einer Anerkennung zudem gegen ihre eigenen Prinzipien verstoßen.
Die faktische Sezession Nordzyperns haben sie unter Hinweis auf das Völkerrecht ebenso nicht
anerkannt, wie sie die Sezessionsbestrebungen der Kurden, Katalanen und der Basken ablehnen.
Das Prinzip der territorialen Integrität geht in allen diesen Fällen dem Selbstbestimmungsrecht der
Völker in der Form des Sezessionsrechts vor. Das Selbstbestimmungsrecht beschränkt sich auf die Einräumung von Autonomierechten, wie sie z.B. den Katalanen und Basken in weitgehendem
Maße, den Kurden aber in gar keiner Weise eingeräumt worden sind.
3. Resolution 1244 (1999) kann eine einseitige völkerrechtswidrige Unabhängigkeitserklärung nicht überdauern.
Es ist zwar richtig, dass Resolution 1244 keine Befristung und keine auflösende Bedingung enthält.
Sie dauert solange fort, bis der UN-Sicherheitsrat selbst eine neue Resolution beschließt. Dazu wird
es auf Grund der unterschiedlichen Positionen vor allem der Veto-Mächte in absehbarer Zeit nicht
kommen. Die Ansicht des Auswärtigen Amtes allerdings, dass der Sicherheitsrat auch nicht die
einseitige Unabhängigkeitserklärung sowie die anschließende Anerkennung durch Drittstaaten zu
einem Beendigungsgrund für seine Resolution machen wollte, sie also als Mandat für die UNMIKVerwaltung
wie die KFOR-Truppen fortbestehen würde, geht an der Realität vorbei. Es ist
unverständlich, wie das Auswärtige Amt, ganz abgesehen davon, dass Deutschland seinerzeit nicht
Mitglied im Sicherheitsrat war und es auch derzeit nicht ist, zu dieser Interpretation des Willens des
Sicherheitsrats kommen kann.
Die Übergangsverwaltung, welche Resolution 1244 (1999) organisieren und garantieren sollte,
wäre mit der Unabhängigkeit des Kosovo definitiv vorbei. Die Intention des Sicherheitsrats, den
Endstatus mittels einer Vereinbarung zu erreichen, wäre durchkreuzt. Für ihn stand nie eine
einseitige Unabhängigkeitserklärung, da völkerrechtswidrig, zur Debatte. Der Resolution 1244
(1999) wäre der faktische Boden entzogen, sie müsste durch eine neue Resolution ersetzt werden.
Denn die Mandate für UNMIK und KFOR bezogen sich auf die Sicherung der
Übergangsverwaltung. Sie können nicht nach der völkerrechtswidrigen Beendigung des
Protektorats umstandslos für die neuen Aufgaben der Sicherung eines von dem Sicherheitsrat so
nicht vorgesehenen Zustandes verwendet werden.
Die Anerkennung der Unabhängigkeit durch die USA und die Mehrheit der EU-Staaten würde an
dieser rechtlichen Situation zunächst nichts ändern. Solange der Sicherheitsrat keine neue
Resolution verabschiedet, besteht die alte Resolution zwar fort. Allerdings vermag sie auf Grund
der veränderten Situation nicht mehr das Verbleiben von UNMIK und KFOR im Kosovo auf der
bisherigen Grundlage zu legitimieren. Wenn beide nicht in der Lage sind, den völkerrechtsgemäßen
Zustand zu gewährleisten, oder es nicht wollen, müssten sie sich zurückziehen.
Eine „Einladung“ durch ein „unabhängiges“ Kosovo an die internationale Staatengemeinschaft, ihre
Truppen im Kosovo zu belassen, würde den Widerspruch zwischen völkerrechtswidrigem Status
und politischer Entscheidung zunächst nicht auflösen können. Sie könnte allerdings ein Beleg für
eine erstarkende effektive (kosovarische) Staatsgewalt sein und unterstreichen, dass der Prozess der
Abtrennung faktisch vollzogen ist. Die militärischen Kontingente, die bislang als KFOR-Truppen
fungiert haben, könnten ihre Legitimation aber nicht mehr auf die Resolution 1244 gründen.
4. Anstatt die Entwicklung bis zu diesem Punkt kommen zu lassen, die eine „kalte“ Aushebelung der Res. 1244 darstellen würde, müsste alles getan werden, um sie im letzten Augenblick noch zu verhindern.
Gegen den erklärten Willen der Kontaktgruppe und der USA dürften die Politiker im
Kosovo es nicht wagen, ihre Unabhängigkeit von Serbien zu erklären. Sollten sie es dennoch tun,
wäre die unmittelbar folgende Anerkennung das falsche Signal. Auf jeden Fall hätte sie
schwerwiegende Folgen für die Glaubwürdigkeit der Ordnungs- und Friedenspolitik der NATOStaaten.
Sie haben schon 1999 unter Verletzung des Völkerrechts Jugoslawien bombardiert und
würden nun eine staatliche Neugründung fördern, die sie zwar für unvermeidbar halten, die aber
erneut das Völkerrecht missachtet. Eine solche Politik untergräbt nicht nur ihre eigene
Glaubwürdigkeit und führt zu neuen internationalen Spannungen, sondern trägt zur Erosion
zentraler Prinzipien des Völkerrechts bei, wie die Gleichheit und Souveränität der Staaten, die
territoriale Integrität und die Unversehrbarkeit der Grenzen. Insofern ist die Stellungnahme des
Auswärtigen Amtes kein Beitrag zu einer Friedenslösung sondern das Gegenteil davon. Sie steht in
diametralem Widerspruch zu dem ausdrücklichen Bekenntnis des Auswärtigen Amtes zum
Völkerrecht als Grundlage seiner Außenpolitik. Eine wiederholte Missachtung des Völkerrechts
führt nämlich zu seiner Schwächung und zeitigt negative Konsequenzen für die Lösung anderer
vergleichbarer Konflikte. Sie wird sich schließlich auch gegen die Staaten selbst wenden, die seine
Prinzipien jetzt unterlaufen. Vor einer solchen Politik ist dringend zu warnen.
Hamburg, 3. Januar 2007
Prof. Dr. Norman Paech, MdB
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